"Kunst ist etwas, was für den Menschen typisch ist, alle Menschen heute haben Kunst und legen auch viel Wert darauf. Das heißt der Verdacht, dass sie eine Funktion hat, ist sehr groß und Darwin hat gesagt, ja wir müssen einfach mal vermuten, dass es einen Sinn hat."
Dass auch Kunst eine biologische Basis hat, mag Kulturwissenschaftler und Philosophen irritieren. Denn gehört nicht die Kunst ins Reich der Freiheit, die den Menschen über seine Natur erhebt?
Schon Darwin hatte allerdings gemeint, Kunst sei zu wichtig und zu weit verbreitet, als dass sie biologisch nutzlos sein könnte. Und die Evolutionsbiologen Thomas Junker und Sabine Paul wollen in ihrem neuen Buch zeigen, dass Kunst - und übrigens auch Religion - möglicherweise sogar entscheidend waren für das Überleben des Homo Sapiens. Schon das Bedürfnis nach Schönheit, nach Luxus und Verschwendung habe - übrigens nicht nur bei Menschen - eine natürliche Basis. Und zwar: auf sich aufmerksam zu machen. Um dann - was sonst? - möglichst viele Sexualpartner zu erobern und seine eigenen Gene erfolgreich weiter zu geben. Professor Thomas Junker:
"Und zwar kann man es am besten erkennen, wenn man ins Tierreich guckt, es gibt erst mal überflüssige Merkmale für das Leben, das berühmteste ist der Pfauenschwanz oder Paradiesvogelfedern und da weiß man, dass die dazu dienen, um in der Gruppe, vor allem in der sexuellen Auslese wollen Männchen Weibchen demonstrieren, wie lebenskräftig sie sind durch diese überflüssigen Merkmale. Und je überflüssiger ein Merkmal ist und das Tier kann trotzdem überleben, um so eher zeigt das Tier, wie stark es ist."
Im Tierreich kann man nachweisen, dass Weibchen genau auf jene Typen stehen, die "was hermachen". Im Experiment klebte man Hähnen besonders tolle Kämme oder besonders lange Schwanzfedern an - und die Hühner waren begeistert. Der tiefere Sinn dieses buchstäblichen "Gockelverhaltens" sei, meint Thomas Junker, die eigene genetische Qualität möglichst "fälschungssicher" zu dokumentieren. Also, letztlich überflüssige, aber zugleich schwer kopierbare Attribute zu entwickeln, um damit auf seine besonderen Eigenschaften hinzuweisen.
" Man kann zeigen, wie gesund man ist, durch glänzende Federn, zum Beispiel aber ... auch von diesen Signalen können viele gefälscht werden, ... und ... es ist ganz wichtig, dass diese Signale, die auf die genetischen Qualitäten hinweisen, fälschungssicher sind. Und das geht dann, wenn sie schwierig sind. Also es geht darum, ein Signal zu produzieren, das schwer ist. Eine Möglichkeit ist Kunst; etwas zu machen, was schön aussieht. Das kann aber auch anderes sein: andere Leute klettern auf den Mount Everest, das ist auch sehr schwierig."
Kunst ist aufwändig und schwer herzustellen - und noch dazu ist sie der Welt der banalen Gebrauchsgegenstände ein Stück weit enthoben. Und das bedeutet: die Produktion wie auch der Besitz von Kunst zeigen: hier hat jemand mehr Ressourcen, als er für den täglichen Überlebenskampf braucht. Er kann sozusagen auch "unnütze Kosten" verkraften. Dies aber ist ein Selektionsvorteil im fortwährenden Kampf um die besten Lebensbedingungen. Und übrigens: je schwerer Kunst herzustellen ist, meint Thomas Junker, desto anerkannter sei sie auch:
O-Ton Junker: " Was ist das Besondere bei Kunst? Ein wichtiges Element ist ja, dass sie schwierig ist, die muss kreativ sein ... "
Frage Autorin: " Also nicht die Fettecke von Beuys?"
O-Ton Junker: " Kann auch schwierig sein im Sinne von neu, aber man sieht's ihr nicht so richtig an. Deswegen ist meine Theorie, dass Kunstwerke, die leicht nachgemacht werden können, es schwieriger haben, sich durchzusetzen. ".
Diese ursprünglich zum Zweck der sexuellen Auslese entstandene Kunst, so die Autoren des "Darwin Codes", hätten bereits den frühen Sammler- und Jäger-Gemeinschaften einen ungemeinen Zusammenhalt verliehen. Und da der Mensch, wie alle Primaten, nur in der Gruppe überleben kann, ist dieser Zusammenhalt überlebenswichtig. Wurden Holzschnitzereien, Körperbemalungen, Gesänge oder Höhlenmalereien also bereits vor Zehntausenden von Jahren kreiert, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken? Wurde die Kunst, die übrigens bei früheren Menschenformen wie dem Neandertaler nicht zu finden ist, "zur Geheimwaffe" des Homo Sapiens? War sie, die eine hoch entwickelte Gehirnanatomie voraussetzt, möglicherweise jener zentrale "Selektionsvorteil", der dem modernen Menschen zum Sieg über seine Vorfahren verhalf?
Eine ähnliche Funktion sei später dann der Religion zugekommen. Als die Gesellschaft der Jäger und Sammler sich zu größeren, stabileren Gruppen niederließ, bedurfte es umfassenderer Ordnungssysteme, die die Gemeinschaft zusammenhielten. Für Thomas Junker und Sabine Paul bedeutet Religion allerdings einen Absturz in die Repression: Während Kunst die Gruppe durch ästhetische Aufwertung stärkt, droht Religion und untergräbt das Selbstwertgefühl der Menschen.
" Der Unterschied zwischen Kunst und Religion liegt wohl darin, dass Religion immer einen Zwangscharakter hat, was Kunst nicht hat. Kunst ist freiwillig, Religion ist zwanghafter. Und wo man einen stark hierarchischen Staat hat, sind die Unterschiede zwischen Herrschern und Beherrschten so groß, dass es schwierig ist, dies nur auf Freiwilligkeit zu basieren."
Fressen, überleben, fortpflanzen! Das also soll, ein wenig eleganter zwar als bei Schimpansen, auch das genetische Kernprogramm der Menschen des 21. Jahrhunderts sein? Der tiefste Grund für Kunst und Kultur? Da wundert man sich schon: denn gerade in unseren Breiten scheint Fortpflanzung eher unmodern zu werden. Siegt also heute nicht doch die Freiheit des Menschen über die Gesetze der Biologie? Doch auch hier hat Thomas Junker eine Erklärung, die keineswegs die Gesetze der Evolution außer Kraft setzt:
" Wenn man sich überlegt, wie das unter den Jäger- und Sammler-Bedingungen war, da war es schon wichtig, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, wo man sich reproduziert. Wenn man das gemacht hat in Phasen, wo es nicht genug Nahrung gab, sind die Kinder gestorben. Das heißt Menschen haben auch Mechanismen, die dafür sorgen, dass man sich nicht zu jeder Zeit fortpflanzt. ... Das wurde im Naturzustand ausgeglichen durch den Sexualtrieb, das sexuelle Begehren, das kam dann eben trotzdem zu Nachwuchs, auch wenn die Situation vielleicht nicht optimal war. Und jetzt haben wir ne andere Situation, weil wir das sexuelle Begehren entkoppeln können, ... man sorgt immer, wartet auf den optimalen Zeitpunkt, da dieses sexuelle Begehren abgekoppelt ist... kommt der dann nie. Das beschreiben ja auch viele, jetzt macht man erst die Ausbildung, und dann das Häuschen abbezahlt werden, und dann ist es zu spät....,"
Dann also - ist es irgendwann zu spät. Dann wird die Gruppe von Menschen, die sich sozusagen gegen die Natur zur Kinderlosigkeit entschied - irgendwann - einfach ausgestorben sein. Und damit hat die Biologie dann wieder über die Freiheit gesiegt!
Literaturhinweis:
Thomas Junker / Sabine Paul: Der Darwin-Code. Die Evolution erklärt unser Leben, Beck 2009
Dass auch Kunst eine biologische Basis hat, mag Kulturwissenschaftler und Philosophen irritieren. Denn gehört nicht die Kunst ins Reich der Freiheit, die den Menschen über seine Natur erhebt?
Schon Darwin hatte allerdings gemeint, Kunst sei zu wichtig und zu weit verbreitet, als dass sie biologisch nutzlos sein könnte. Und die Evolutionsbiologen Thomas Junker und Sabine Paul wollen in ihrem neuen Buch zeigen, dass Kunst - und übrigens auch Religion - möglicherweise sogar entscheidend waren für das Überleben des Homo Sapiens. Schon das Bedürfnis nach Schönheit, nach Luxus und Verschwendung habe - übrigens nicht nur bei Menschen - eine natürliche Basis. Und zwar: auf sich aufmerksam zu machen. Um dann - was sonst? - möglichst viele Sexualpartner zu erobern und seine eigenen Gene erfolgreich weiter zu geben. Professor Thomas Junker:
"Und zwar kann man es am besten erkennen, wenn man ins Tierreich guckt, es gibt erst mal überflüssige Merkmale für das Leben, das berühmteste ist der Pfauenschwanz oder Paradiesvogelfedern und da weiß man, dass die dazu dienen, um in der Gruppe, vor allem in der sexuellen Auslese wollen Männchen Weibchen demonstrieren, wie lebenskräftig sie sind durch diese überflüssigen Merkmale. Und je überflüssiger ein Merkmal ist und das Tier kann trotzdem überleben, um so eher zeigt das Tier, wie stark es ist."
Im Tierreich kann man nachweisen, dass Weibchen genau auf jene Typen stehen, die "was hermachen". Im Experiment klebte man Hähnen besonders tolle Kämme oder besonders lange Schwanzfedern an - und die Hühner waren begeistert. Der tiefere Sinn dieses buchstäblichen "Gockelverhaltens" sei, meint Thomas Junker, die eigene genetische Qualität möglichst "fälschungssicher" zu dokumentieren. Also, letztlich überflüssige, aber zugleich schwer kopierbare Attribute zu entwickeln, um damit auf seine besonderen Eigenschaften hinzuweisen.
" Man kann zeigen, wie gesund man ist, durch glänzende Federn, zum Beispiel aber ... auch von diesen Signalen können viele gefälscht werden, ... und ... es ist ganz wichtig, dass diese Signale, die auf die genetischen Qualitäten hinweisen, fälschungssicher sind. Und das geht dann, wenn sie schwierig sind. Also es geht darum, ein Signal zu produzieren, das schwer ist. Eine Möglichkeit ist Kunst; etwas zu machen, was schön aussieht. Das kann aber auch anderes sein: andere Leute klettern auf den Mount Everest, das ist auch sehr schwierig."
Kunst ist aufwändig und schwer herzustellen - und noch dazu ist sie der Welt der banalen Gebrauchsgegenstände ein Stück weit enthoben. Und das bedeutet: die Produktion wie auch der Besitz von Kunst zeigen: hier hat jemand mehr Ressourcen, als er für den täglichen Überlebenskampf braucht. Er kann sozusagen auch "unnütze Kosten" verkraften. Dies aber ist ein Selektionsvorteil im fortwährenden Kampf um die besten Lebensbedingungen. Und übrigens: je schwerer Kunst herzustellen ist, meint Thomas Junker, desto anerkannter sei sie auch:
O-Ton Junker: " Was ist das Besondere bei Kunst? Ein wichtiges Element ist ja, dass sie schwierig ist, die muss kreativ sein ... "
Frage Autorin: " Also nicht die Fettecke von Beuys?"
O-Ton Junker: " Kann auch schwierig sein im Sinne von neu, aber man sieht's ihr nicht so richtig an. Deswegen ist meine Theorie, dass Kunstwerke, die leicht nachgemacht werden können, es schwieriger haben, sich durchzusetzen. ".
Diese ursprünglich zum Zweck der sexuellen Auslese entstandene Kunst, so die Autoren des "Darwin Codes", hätten bereits den frühen Sammler- und Jäger-Gemeinschaften einen ungemeinen Zusammenhalt verliehen. Und da der Mensch, wie alle Primaten, nur in der Gruppe überleben kann, ist dieser Zusammenhalt überlebenswichtig. Wurden Holzschnitzereien, Körperbemalungen, Gesänge oder Höhlenmalereien also bereits vor Zehntausenden von Jahren kreiert, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken? Wurde die Kunst, die übrigens bei früheren Menschenformen wie dem Neandertaler nicht zu finden ist, "zur Geheimwaffe" des Homo Sapiens? War sie, die eine hoch entwickelte Gehirnanatomie voraussetzt, möglicherweise jener zentrale "Selektionsvorteil", der dem modernen Menschen zum Sieg über seine Vorfahren verhalf?
Eine ähnliche Funktion sei später dann der Religion zugekommen. Als die Gesellschaft der Jäger und Sammler sich zu größeren, stabileren Gruppen niederließ, bedurfte es umfassenderer Ordnungssysteme, die die Gemeinschaft zusammenhielten. Für Thomas Junker und Sabine Paul bedeutet Religion allerdings einen Absturz in die Repression: Während Kunst die Gruppe durch ästhetische Aufwertung stärkt, droht Religion und untergräbt das Selbstwertgefühl der Menschen.
" Der Unterschied zwischen Kunst und Religion liegt wohl darin, dass Religion immer einen Zwangscharakter hat, was Kunst nicht hat. Kunst ist freiwillig, Religion ist zwanghafter. Und wo man einen stark hierarchischen Staat hat, sind die Unterschiede zwischen Herrschern und Beherrschten so groß, dass es schwierig ist, dies nur auf Freiwilligkeit zu basieren."
Fressen, überleben, fortpflanzen! Das also soll, ein wenig eleganter zwar als bei Schimpansen, auch das genetische Kernprogramm der Menschen des 21. Jahrhunderts sein? Der tiefste Grund für Kunst und Kultur? Da wundert man sich schon: denn gerade in unseren Breiten scheint Fortpflanzung eher unmodern zu werden. Siegt also heute nicht doch die Freiheit des Menschen über die Gesetze der Biologie? Doch auch hier hat Thomas Junker eine Erklärung, die keineswegs die Gesetze der Evolution außer Kraft setzt:
" Wenn man sich überlegt, wie das unter den Jäger- und Sammler-Bedingungen war, da war es schon wichtig, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, wo man sich reproduziert. Wenn man das gemacht hat in Phasen, wo es nicht genug Nahrung gab, sind die Kinder gestorben. Das heißt Menschen haben auch Mechanismen, die dafür sorgen, dass man sich nicht zu jeder Zeit fortpflanzt. ... Das wurde im Naturzustand ausgeglichen durch den Sexualtrieb, das sexuelle Begehren, das kam dann eben trotzdem zu Nachwuchs, auch wenn die Situation vielleicht nicht optimal war. Und jetzt haben wir ne andere Situation, weil wir das sexuelle Begehren entkoppeln können, ... man sorgt immer, wartet auf den optimalen Zeitpunkt, da dieses sexuelle Begehren abgekoppelt ist... kommt der dann nie. Das beschreiben ja auch viele, jetzt macht man erst die Ausbildung, und dann das Häuschen abbezahlt werden, und dann ist es zu spät....,"
Dann also - ist es irgendwann zu spät. Dann wird die Gruppe von Menschen, die sich sozusagen gegen die Natur zur Kinderlosigkeit entschied - irgendwann - einfach ausgestorben sein. Und damit hat die Biologie dann wieder über die Freiheit gesiegt!
Literaturhinweis:
Thomas Junker / Sabine Paul: Der Darwin-Code. Die Evolution erklärt unser Leben, Beck 2009