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Nur eine kleine Kehrtwende

Nicolas Sarkozy stand für eine restriktive Einwanderungspolitik. Präsident François Hollande wollte es anders machen. Doch selbst zentrale Wahlversprechen wie die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Ausländer werden inzwischen in Frage gestellt.

Von Bettina Kaps | 18.12.2012
    Schätzungen zufolge leben zwischen 200 und 400.000 Ausländer ohne Papiere in Frankreich. Einige von ihnen wollen auch heute wieder für ihre Rechte und gegen die Einwanderungspolitik der Regierung demonstrieren. Denn von Präsident François Hollande hatten sie sich mehr erhofft, sagt Anzoumane Sissoko:

    "Mit der sozialistischen Politik bin ich absolut nicht einverstanden. Schade, dass die Regierung nicht zu einer Massenlegalisierung bereit ist wie der ehemalige Staatspräsident Mitterrand. Es gibt keinen anderen Weg, um die Ausbeutung der Einwanderer ohne Papiere zu beenden."

    Sissoko ist Sprecher des Bündnisses der sogenannten "Papierlosen" in Paris. Der Malier hat selbst 14 Jahre lang schwarz gearbeitet, bis er schließlich eine Aufenthaltserlaubnis erhielt. In Krisenzeiten wie heute würden Menschen ohne legale Papiere noch mehr ausgebeutet als sonst, sagt er.

    Auch viele Menschenrechtsvereine waren gespannt auf die ersten Schritte der linken Regierung in Sachen Einwanderungspolitik. Vor zwei Wochen ist nun die neue Verordnung zur Legalisierung von illegal in Frankreich lebenden Ausländern in Kraft getreten. Die gründliche Vorbereitung des Dekrets durch das Innenministerium habe zunächst große Hoffnungen geschürt, sagt Brigitte Wieser vom französischen Netzwerk "Bildung ohne Grenzen", das sich für ausländische Schüler und Familien mit schulpflichtigen Kindern einsetzt, die illegal im Land sind:

    "Alle Vereine wurden mehrmals empfangen. Wir selbst waren vier Mal im Innenministerium. Die Beamten wollten die Situation der Migranten genau verstehen, es war ein echter Dialog. Anschließend wurden wir erneut einberufen, und da haben sie uns die Verordnung vorgestellt. Das war wie ein Schlag auf den Kopf."

    Die Verordnung sieht weiterhin strenge Bedingungen für die Legalisierung vor. Wobei es einigen Betroffenen leichter gemacht wird, vor allem Familien mit schulpflichtigen Kindern, räumt Brigitte Wieser ein. Sofern eine Familie seit fünf Jahren in Frankreich lebt und ein Kind hat, das seit drei Jahren die Schule besucht, steht ihr das Aufenthaltsrecht zu:

    "Aber Familien, deren Kinder dafür zu jung sind, fallen weiterhin durch die Maschen. Auch die Gymnasiasten, die ohne ihre Eltern in Frankreich sind, erfüllen die neuen Bedingungen nur selten."
    Ganz schlecht sieht es für Alleinstehende aus. Als Illegale dürfen sie natürlich nicht in Frankreich arbeiten. Dennoch verlangt die Verordnung, dass sie für mindestens acht Monate Gehaltszettel vorweisen. Damit sind sie vom guten Willen des Arbeitgebers abhängig. Wenn ein Chef seinen Angestellten helfen will, muss er sich selbst anzeigen. Dann droht ihm zwar keine Strafe, aber er muss die zuvor unterschlagenen Sozialbeiträge bezahlen.

    Brigitte Wieser beklagt, dass Innenminister Manuel Valls genau wie seine rechten Vorgänger eine "Politik der Zahlen" verfolgt:

    "Er sagt nicht: Das sind für uns legitime Kriterien, um Ausländer in Frankreich aufzunehmen. Stattdessen berechnet er, wie die Bedingungen ausfallen müssen, damit im Lauf der Regierungszeit nicht mehr als 30.000 Ausländer pro Jahr Anspruch auf Aufenthaltspapiere haben."

    Tatsächlich hat der Innenminister stets betont, er wolle an den Zahlen festhalten, die von der konservativen Vorgängerregierung unter Nicolas Sarkozy festgelegt wurden: nämlich rund 30.000 Aufenthaltserlaubnisse pro Jahr und genauso viele Abschiebungen.

    In Sachen Einbürgerung hingehen hat Manuel Valls eine politische Kehrtwende angekündigt. Seit 2011 wurde die Vergabe der französischen Staatsbürgerschaft gebremst, zuletzt sanken die Zahlen um 40 Prozent. Jetzt wurden die Bedingungen wieder erleichtert: Wer Franzose werden will, muss nicht mehr wie zuvor einen unbefristeten Arbeitsvertrag vorweisen.

    Aber es bleibt weiterhin schwierig, einen Pass zu bekommen. Ganz und gar unerträglich sei die Lage jedoch für junge Ausländer, die Frankreich aufgewachsen seien, beklagt der bekannte Historiker Patrick Weil im Rundfunk.

    Weil: "Ein Kind, dass im Alter von sechs Monaten nach Frankreich gekommen ist und immer in diesem Land gelebt hat, muss bei seiner Volljährigkeit die schwerfällige Einbürgerungsprozedur durchlaufen. Ich fordere, dass diese jungen Menschen einen Rechtsanspruch erhalten, wonach sie nach einer einfachen Erklärung eingebürgert werden können."

    Der Wissenschaftler lobt das deutsche Beispiel, wo eine solche Lösung bereits 1992 unter Bundeskanzler Kohl eingeführt wurde. Die französische Linke solle nun endlich dem Beispiel der Konservativen in Deutschland folgen.