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Nur eine Stunde Strom für Deutschland

Bis zu 3500 Kilometer neue Stromnetze werden in Deutschland gebraucht, wenn der Strom aus den Windparks transportiert werden soll. Doch die Stromerzeugung per Wind oder Sonne schwankt. Ein Fachkongress des Weltrates für Erneuerbare Energien sucht in Berlin derzeit nach Wegen, diese Energie zu speichern.

Von André Hatting | 23.11.2010
    Das ideale Energienetz würde so funktionieren: Strom aus Wind- oder Sonnenenergie kommt direkt, sozusagen "live" dorthin, wo er gerade gebraucht wird. Der Vorteil: die Energie wird sofort genutzt, das Stromnetz übernähme die Funktion eines Speichers. Der Nachteil: das funktioniert nicht reibungslos. 2009 trat mehrfach die Situation auf, dass viel mehr Strom aus Windenergie produziert, als nachgefragt wurde. Die Folge waren negative Strompreise. Öko-Strom konnte nur noch verkauft werden, wenn der Anbieter dem Abnehmer dafür eine Prämie zahlte. Also müssen Speicher her, aber damit sieht es in Deutschland dürftig aus: Gerade einmal 40 Gigawattstunden können derzeit vorgehalten werden. Das entspricht einer Stunde Strom für ganz Deutschland bei geringem Verbrauch, in der Nacht zum Beispiel. Aber nicht die fehlende Technologie sei das Problem, sondern die fehlenden Möglichkeiten, sie anzuwenden, sagt Lothar Schneider, Geschäftsführer der EnergieAgentur Nordrhein-Westfalen:

    "Wir haben genügend Forschungseinrichtungen, die sich damit befassen. Aber wir haben noch keine großen Feldversuche, wo wir die entsprechenden Erfahrungen in einem größeren Betrieb heraus nehmen können. Das ist im Augenblick, glaube ich, das größte Problem. Das scheitert zum einen auch an den Kosten, die damit verbunden sind. Da sind große Fördermittel notwendig, um das zu unterstützen. Und es fehlt teilweise auch an den entsprechenden Programmen."

    Große Hoffnung setzt die Branche deshalb auf die Bundesbildungsministerin. Annette Schavan, CDU, hatte im Frühjahr versprochen, die Entwicklung moderner Speichertechnik gezielt zu fördern. Das zukünftige Management der Energiespeicherung muss dezentral sein, sagt Dirk Uwe Sauer, Physik-Professor an der RWTH Aachen und wissenschaftlicher Leiter der zweitägigen Konferenz in Berlin. Vor allem die Stadtwerke werden in Zukunft die Funktion dezentraler Stromspeicher übernehmen:

    "Die Speicher auf Stadtebene müssen sicherlich Leistungen im Bereich 5 bis 50 Megawatt, je nach Stadt, aufweisen. Und Kapazitäten, so dass man zwei, drei Stunden ausgleichen kann. Das wäre so die Minimalausstattung, die man wahrscheinlich ökonomisch beitreiben kann."

    Und zwar am besten mit Natrium-Schwefel-Batterien. Diese speicherstarke, vergleichsweise neue Zelle setzen die USA und Japan bereits erfolgreich ein. Andere Akkumulatoren sind entweder schwächer wie die seit über 150-Jahren bekannte Bleibatterie. Oder - wie die Lithium-Ionen-Zelle - noch viel zu teuer. Dirk Uwe Sauer mit einem Preisbeispiel für Elektroautos:

    "Der augenblickliche Stand, was den Preis anbetrifft für Batterien für Elektrofahrzeuge liegt etwa bei 1000 Euro pro Kilowattstunde. Das ist der Abgabepreis eines Batteriepackherstellers an einen Großabnehmer, also zum Beispiel an einen Automobilhersteller. Das heißt als Endkunde müssen Sie da noch einmal den Faktor 2 draufrechnen, das heißt man ist bei 2000 Euro pro Kilowattstunde."

    Nicht ganz neu, aber immer wieder gern diskutiert ist auch diese Idee: Das vorhandene Erdgasnetz als Speicher nutzen. Der überschüssige Strom aus Wind und Sonnenenergie würde in Wasserstoff und Methan umgewandelt und in Kraftwärmekopplungsanlagen wieder in Strom und Wärme zurückverwandelt. Für Professor Dirk Uwe Sauer zwar eine durchaus interessante, nicht aber die optimale Technik:

    "Wenn man Strom umwandelt über Wasserstoff - das ist immer die Zwischenstufe - in Methan, also Erdgas, dann habe ich immer erhebliche Wirkungsgradverluste im System. Insbesondere wenn ich das wieder rück-verstromen möchte, aus einer Kilowattstunde Strom, die ich schon mal hatte, kriegt man nur 0,3 Kilowattstunden am Ende heraus. Das heißt, interessant wird diese Methanisierung oder auch Wasserstofferzeugung nur dann, wenn ich weiterhin Anwendungen habe, in denen ich direkt dieses Erdgas oder den Wasserstoff verbrenne."

    Also zum Beispiel in Blockheizkraftwerken, die heute gebaut und gefördert werden. Für die wäre das "erneuerbare Erdgas" tatsächlich sinnvoll.