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Nur noch das Ende

DLR: : Götterdämmerung, das heißt ja auch, Wotan soll nicht mehr herrschen. Wallhall, die Götterburg, sie verbrennt samt Götter. Ein Schelm, wer jetzt an den richtigen Stellen Kanzler und Kabinett einfügt. Für das Ende sorgt Alberich Müntefering, ist man versucht zu sagen, aber, Jochen Hörisch, es hat doch auch ein bisschen was von Götterdämmerung, oder?

    Hörisch: Das ist eine natürlich verwegene Assoziation, die Sie da ausbreiten, und man kann sich das ja nicht ohne Schmunzeln, Müntefering als Alberich und Gerhard Schröder als Wotan. Wo ist die Augenklappe, woran hat er sein Auge gesetzt, wo ist sein Speer? Das kann man ja in der Tat fragen. Lassen Sie mich versuchen, eine Antwort auf Ihre komplexe Frage zu geben, indem ich sage, es ist einmal, ähnlich in der Tat wie bei der Götterdämmerung, ein Strukturproblem. Das Strukturproblem lauert da bei der Frage, wo sind denn überhaupt noch die Steuerelemente für moderne, komplexe Gesellschaften? Schröder hat nicht die Machtkompetenz von Wotan, aber wenn ein Mensch oder ein Gott, der die Machtkompetenz von Wotan hat, seinerseits schon merkt, die Verhältnisse sind so komplex geworden, dass ich sie nicht mehr steuern kann, ich bin in Verträgen drin, ich bin in Obligationen drin, in Geschichten, in Mythologien, in Kontexten drin, die ich nicht mehr beherrschen kann, wie soll es denn - wir müssen auch Mitleid haben - so ein armer Kerl Schröder machen? Die zweite Frage ist eben keine strukturelle, sondern eine psychologische, nämlich wie geht man damit um? Da finde ich doch bemerkenswert, dass sowohl Wotan als auch die jetzt untergehende Regierung noch mal ein großes Spiel spielen will. Wenn man untergeht, will man stilvoll untergehen und den Restbestand dessen, was man noch beherrschen und steuern kann, doch in der Hand behalten, und genau das, denke ich, macht jetzt im Augenblick die rot-grüne Regierung.

    DLR: : Die Frage am Ende der Götterdämmerung ist ja zumeist die, ob da die Welt untergeht, also die Welt schlechthin, oder nur eine denkbare, eine mögliche Welt. War das nicht doch ein bisschen auch theatraler Showdown des Parteivorsitzenden, am Ende dann den nordrhein-westfälischen Sieger Rüttgers noch die Show zu stehlen?

    Hörisch: Ja, da ist viel Männerpsychologie und Konkurrenzpsychologie mit im Spiel. Das rare Gut ist ja heute nicht nur mehr das Geld - das auch, wir merken es an den leeren Staatskassen. Das wirklich rare Gut ist ja auch die Aufmerksamkeit, und ich denke, dass alle, die in der politischen Szene aktiv sind, wie Junkies abhängig sind von diesem medialen Gut der Aufmerksamkeit. Kaum waren die ersten Resultate bekannt, schon war die eigentliche Schlagzeile, es soll Neuwahlen auf Bundesebene geben. Also es war in der Tat ein Showstehlen, und die Frage ist, wie viel der alten sozialdemokratischen Grundsätze der Solidarität noch mit eine Rolle gespielt haben?

    DLR: : Kann am Ende denn nach dem Brand die neue Reinheit kommen? Sie haben gesagt, man kann eigentlich nur noch ästhetisch umgehen mit dem Strukturproblem.

    Hörisch: Götterdämmerung ist - man vergisst das häufig - ja ein doppeldeutiger Ausdruck. Es gibt eine Abenddämmerung und eine Morgendämmerung. Mit dieser Ambivalenz wird man noch weiter arbeiten. Ich glaube, es gehört viel Fantasie dazu zu sagen, dass, wenn es da einen Regierungswechsel gibt, die neue Regierung nicht dafür sorgen wird, dass wir alle reich, glücklich, beschwingt und jubelnd sind und alle Probleme mit einem Schlag gelöst sind. Wir leben in Zeiten, wo das Durchwurschteln angesagt ist. Alle Großkonzepte, die nächste Generation wird es richten, haben sich einigermaßen diskreditiert. Das heißt, wir sind wirklich auf so einem Götterdämmerungsniveau. Die Zwergen haben versagt, die Menschen haben versagt, selbst die Götter haben versagt. Das heißt aber, positiv gewendet, es wird nach dem Regierungswechsel wieder einen Regierungswechsel geben. Nach der Wahl ist vor der Wahl, nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Kurze Rede, langer Sinn: Die Götterdämmerung kann auch eine Morgendämmerung sein.

    DLR: : Zuversichtlich, wie Sie sind, höre ich da raus, dass Sie dem viel Gutes noch abzugewinnen versuchen, aber es bleibt der Regierung doch im Moment nur die Wahl zwischen nicht und nichts. Also geschichtlicher Aktivismus schlägt in Entsagung um und von mir aus auch in Weltnegation oder was auch immer. Ist das nicht angewandter Pessimismus im Kanzleramt?

    Hörisch: Ja, aber was denn sonst? Es ist stilisierter Pessimismus. Die Alternative wäre ja, die ganzen Geschichten wirklich blutig ernst zu nehmen, und das hieße ja, man müsste aus Verzweiflung Selbstmord begehen. Alle sozialdemokratischen Funktionäre müssten sagen, das sozialdemokratische Projekt ist endgültig gescheitert, was übrigens wiederum eine Übertreibung wäre. Kurzum: Ich bin relativ sicher, dass wir bald in eine Epoche eintreten, wo es so etwas wie eine Beweislastumkehr gibt. Das heißt, wir werden nicht darauf achten, was alles schiefgegangen ist und wo wir schlechter da stehen als noch vor einem Jahr, sondern man wird sagen, es ist doch erstaunlich, was gleichwohl noch klappt. Die Züge fahren noch. Das Wasser fließt noch. Die Geldautomaten rücken immer noch Geld raus. Die Frage ist, wann so ein Stimmungsumschwung kommt. Was mich medienanalytisch daran interessiert, ist genau der heiße Kern Ihrer Frage. Wir merken, dass politische und ökonomische Systeme versagen, ästhetische Systeme aber auch im Negativen sich noch bewähren. Der Abgang ist dann eben ein unheimlich starker Abgang, und die Frage ist, was hat das für Auswirkungen auf die anderen Systeme, wenn die Ästhetik als letztes verbleibendes System noch so überzeugend ist?

    DLR: : Sie würden zustimmen, das war große Oper gestern?

    Hörisch: Das war ganz große Oper. Die Frage ist, ob es Oper buffa oder Oper seria war.

    DLR: : Vielen Dank für das Gespräch.