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Nur noch neun Wochen pro Jahr an der Uni

In Schwerin soll die erste virtuelle Universität Deutschlands entstehen. Nach einem Vorschlag des deutschen E-Learning-Experten Alfons Rissberger sollen die künftigen Studenten dieser Hochschule 90 Prozent der Vorlesungen über Computer und iPads empfangen.

Von Peter Marx | 07.01.2011
    Sundje Ehmann aus Schwerin sitzt über ihrer nächsten Semester-Arbeit. Natürlich am Computer. Morgen früh geht sie wieder ans Schweriner Baltic-College, wo sie Touristik studiert: das volle Programm: Vorlesung, Seminare, Tutorien. In den Pausen ein Kaffee mit den Kommilitonen. Das alles würde ihr fehlen! Und nicht nur deswegen kann Sie sich nicht vorstellen, an einer virtuellen Universität zu studieren:

    "Nein, wäre es für mich nicht. Da der Kontakt zu den Professoren, die Bindung, dass man ihn einfach immer als Ansprechpartner dort hat, sehr, sehr wichtig ist. Da man gerade beim Lernen viele Fragen hat, die man auch klären möchte und da ist es ganz wichtig, dass man wenigstens jemanden im Kopf hat, den man ständig anrufen kann oder erreichen kann."


    Kein Fahrtwege, kein Zimmer suchen, keinen neuen Freundeskreis erschließen müssen - viel Geld sparen: All das wäre möglich, wenn die Studenten nicht mehr an die Uni gehen, sondern - umgekehrt - die Universität samt Professoren, Vorlesungen und Bibliothek zu den Studenten kommt. So in etwa stellt sich der IT-Fachmann Alfons Rissberger aus Schwerin die virtuelle Universität vor, die er gerne an seinem Heimatort Schwerin ansiedeln will, in Kooperation mit der realen Rostocker Universität:

    "Eine virtuelle Universität ist eine kommerzielle Tochter einer anerkannten staatlichen Universität. Alle kognitiven Ziele erreicht sie über e-learning. Das heißt, die Studenten können die Zeit und den Ort des Lernens selbst bestimmen. Und die Vorlesungen werden zu 90 Prozent durch e-learning im Netz ersetzt."


    Rissberger, der bereits 1999 mit seinem Projekt D21 aufgefallen ist, das sich für den verstärkten Einsatz von Computern an allen deutschen Schulen eingesetzt hat, will nun mit der virtuellen Universität den nächsten Schritt tun und das Studium quasi revolutionieren. Allerdings: ganz ohne das gute alte Seminar käme auch die virtuelle Uni nicht aus.

    "Die Studenten treffen sich dreimal drei Wochen am Standort der Universität für sehr intensive Sozialphasen, also für Übungen und Seminare. Sie treffen sich mit ihren Kommilitonen und den Professoren und sie machen dort die staatlich anerkannten Prüfungen. Und sie gehen einmal pro Jahr für drei Wochen an eine Elite-Universität irgendwo auf der Welt, um dort Forscher kennen zu lernen, möglichst Nobelpreisträger."

    Der Diplom-Informatiker hat ambitionierte Pläne - auch was den Zeitplan angeht: die ersten Studiengänge will er am liebsten bereits in einem Jahr anbieten:

    "Wir fassen alle Studiengänge ins Auge die keinen Laborbetrieb erfordern und schließen vorerst Medizin und Zahnmedizin aus. Also Jura, BWL, VWL, Psychologie , Religionswissenschaften, Politologie. Das sind Studiengänge die wir in Schritten angehen. Ich bin sicher, wir werden zunächst mit zwei Studiengängen beginnen. Dazu gehört auf jeden Fall BWL."

    Doch Rissbergers Schnelligkeit macht sowohl der Staatskanzlei und dem Wissenschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern Angst. Sie finden zwar die Idee faszinierend, doch sind sie eine gemächlichere Gangart gewöhnt. Und auch der Rektor der Uni Rostock, Wolfgang Schareck hat schon Bedenken:

    "Aber e-learning kann es nie alleine und nur für sich geben Man muss auch begreifen können. Also man kann e-learning -Elemente verbinden und deswegen eine rein virtuelle Universität ohne diese Lernerfahrung, die kann es nicht geben. Es muss eine Begleitung sein, die auch eine Präsenz ermöglicht."

    Die Skepsis des Rektors hat einen tieferen Grund. Er macht sich Sorgen um den Uni-Standort Rostock. Deshalb will er nur mitmachen, wenn Rostock und nicht Schwerin Standort der ersten virtuellen Universität wird.

    "So können sie mich nicht festlegen. Also wir würden ein Projekt gerne begleiten und unterstützen, dass sicherlich auch Anteile in Rostock haben muss."

    Doch diese Entscheidung hat noch Zeit. Bis März soll eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Wissenschaftsministeriums erst einmal eine Machbarkeitsstudie entwickeln. Erst dann will das Land über eine - von Rissberger geforderte - Anschubfinanzierung von 250 000 Euro entscheiden.

    Vieles wird davon abhängen, ob es Rissberger bis dahin gelingt, Geldgeber für seine neue Software-Fabrik zu finden. Schließlich braucht auch eine virtuelle Universität ihre "Vorlesungssäle": die Lernsoftware.

    "Wir wollen eine Fabrik auf bauen, und zwar die erste europäische Fabrik zum Produzieren hochwertiger interaktiver Lern-Software, in die das Können der besten der besten deutschen Hochschullehrer eingebunden wird. So eine Fabrik wird in Schritten entstehen. Aber zu so einer Fabrik kann und soll in fünf Jahren tausend Arbeitsplätze haben."

    Dass zum Wintersemester 2011 tatsächlich die ersten BWL oder Politik komplett am PC studieren ist dann allerdings doch eher unwahrscheinlich .