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Nur scheinbar wirkungslos

Pharmazie. - Auch wirkungslose Medikamente können Patienten helfen - dafür sorgt der Placeboeffekt, dessen ganz reale Wirkung sogar als Aktivierungsmuster im Gehirn beobachtet werden kann. Hamburger Mediziner haben den Placeboeffekt nun auch im Rückenmark nachweisen können.

Von Kristin Raabe | 17.02.2010
    Die Wirkung eines Placebos ist keine Einbildung. Im Gehirn zeigt sich tatsächlich in den für Schmerzen zuständigen Hirnbereichen eine verringerte Aktivität, wenn eine Versuchsperson ein Placebo zur Schmerzlinderung einnimmt. Das aber bedeutet, dass diese Person tatsächlich weniger Schmerzen spürt. So gesehen ist die Wirkung eines Placebos also echt. Das konnte die Hamburger Neurologin und Hirnforscherin Ulrike Bingel mit ihren Experimenten immer wieder beweisen. Mit dem Placeboeffekt hat die Ärztin nicht nur in ihrem Beruf ständig zu tun:

    "Das begegnet mir jeden Tag, das begegnet mir sogar an mir selbst. Also wenn ich zum Beispiel gegen Kopfschmerzen eine Kopfschmerztablette nehme, dann wirkt die auch schon bevor sie eigentlich wirken kann. Also das ist was, was jeder an sich selbst, glaube ich, regelmäßig erleben kann. Und an Patienten sieht man das ganz oft, also es gibt viele Patienten, die zum Beispiel mit Präparaten behandelt werden, von denen man jetzt erst einmal keine Wirkung erwarten würde, wie zum Beispiel Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine, alle möglichen Sachen, die jetzt für spezifische Erkrankungen gar keinen großen Stellenwert haben und trotzdem berichten die Patienten davon einen positiven Einfluss. Aus meiner Sicht sind das Placeboeffekte."

    Lindert ein Placebo die Schmerzen eines Patienten, dann werden in seinem Gehirn körpereigene Opiate ausgeschüttet und die Aktivität in den Schmerzarealen der Großhirnrinde geht zurück. Der Schmerz wird also nicht mehr wahrgenommen. Er entsteht aber eigentlich ganz woanders. Bei einem Schnitt mit dem Obstmesser beispielsweise leiten die Sinneszellen an den Fingerkuppen die Schmerzinformation über das Rückenmark bis ins Gehirn weiter.

    "Es war ja vorher schon bekannt, dass bestimmte Hirnstrukturen dabei eine gewisse Rolle spielen. Jetzt wissen wir aus Tierexperimenten, dass diese Hirnareale funktionell verbunden sind mit dem Rückenmark. Und die große Frage, die jetzt schon lange bestand, ist: Ist es eigentlich möglich durch kognitive Faktoren, wie zum Beispiel Erwartung, letztendlich eine Hemmung von reinkommenden Schmerzinformationen schon auf Rückenmarksebene darzustellen?"

    Um diese Frage zu klären, führten Mitarbeiter von Ulrike Bingel ein raffiniertes Experiment durch: Sie lösten bei den Testpersonen mit einer Hitzeplatte an der Hand einen leichten Schmerz aus. Dann cremten sie die Hand mit einer Salbe ein, die angeblich schmerzlindernd sein sollte. Tatsächlich aber handelte es sich um eine simple Feuchtigkeitscreme. Trotzdem berichtet die meisten Versuchspersonen über eine deutliche Schmerzlinderung durch die Creme - eindeutig ein Placeboeffekt. Mit dem Kernspintomografen konnten die Forscher dann sehen, wie das Rückenmark der Versuchspersonen reagierte.

    "Man muss dazu sagen, das Rückenmark ist die erste Verschaltstelle in unserem eingehenden Schmerzsystem, und wir konnten zeigen, dass schon auf dieser Stelle durch Erwartungsmanipulationen Veränderungen zu sehen sind."

    Die Nervenbahnen, die im Rückenmark die Schmerzinformation weiterleiten, wurden gehemmt. Dafür waren andere Nervenbahnen verantwortlich, die von der Großhirnrinde ausgingen. Dort nämlich entsteht die Erwartung, dass ein Medikament, beispielsweise die angebliche schmerzlindernde Salbe wirkt. Dass solche bewussten Prozesse selbst die Aktivität des Rückenmarks kontrollieren können, halten viele Experten für eine kleine Sensation. Schließlich beweist das Experiment der Hamburger Forscher vor allem eins: wie viel Macht der Geist über den Körper hat.