Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Nur theoretisch zu diskutieren, interessiert mich nicht"

Pop und Politik müssen sich nicht ausschließen – das beweist die Musikerin Bernadette La Hengst. Ihre Songs sind tanzbar, funktionieren aber auch auf der intellektuellen Ebene. Jetzt lädt Bernadette in den Berliner Sophiensälen zum "Diskotieren fürs Grundeinsingen" ein.

Von Oliver Kranz | 31.01.2013
    Das Publikum sitzt im Kreis, in der Mitte gibt es einen kleinen Laufsteg für die Gastgeberin. Bernadette La Hengst begrüßt die Zuschauer im goldglitzernden Paillettenkleid.

    "Ich möchte euch jetzt in vier Gruppen einteilen: Von da bis zur Mitte, dann von hier bis zur Hälfte vom Tisch ist Nummer zwei, dann da bis hier zur Hälfte."

    Und schon ist das Publikum ein Chor. Gesungen werden die Schlagworte, über die im Folgenden diskutiert wird.

    Fast alle singen mit – Schlagworte wie Bedingungen, Bedingungslosigkeit, Vergemeinschaftung und Ontogenese. Der Kanon klingt wild.

    "Ich versuche Menschen zum Denken und zu körperlicher Bewegung, also zum Tanzen, anzuregen. Das funktioniert auf Konzerten sehr gut. Und im Theater versuche ich das gerade auch unterzubringen und eine neue Form zu entdecken, dass die Leute nicht die ganze Zeit auf ihren Stühlen sitzen und sich berieseln lassen."

    Im Veranstaltungstitel ist das Wort Diskotieren mit "o" geschrieben. Es steckt also auch die Disko drin. Getanzt wurde gestern zwar nicht, aber das Singen ist bei Bernadette La Hengst keine Pausenfüllung, sondern der Kern des Projekts.

    "Es geht uns ja nicht darum, eine Werbeveranstaltung fürs Grundeinkommen zu machen, sondern eine neue Bewegung zu formieren, die Grundeinsingen heißt. Also es muss etwas mit einem machen, körperlich. Nur theoretisch zu diskutieren, interessiert mich nicht."

    Wobei die Veranstaltung schon eine sehr theoretische Komponente hatte: Die Diskussion wurde von Adrienne Goehler und Sascha Liebermann bestimmt, den beiden Experten, die Bernadette La Hengst eingeladen hatte – Goehler ist Ko-Autorin des Buchs "1000 Euro für jeden", Liebermann Mitbegründer der Initiative "Freiheit statt Vollbeschäftigung". Seine These ist:

    "Bevor man überhaupt mal in die Lage kommt, erwerbstätig zu sein, man sehr viel Gemeinschaftserfahrung gemacht hat, in der Familie, wo man einfach gelassen wurde. Das ist eine Erfahrung, die man immer mitträgt durchs Leben. Das ist genau das, was im Geiste verwandt ist zum bedingungslosen Grundeinkommen - gemeinschaftlich aufgenommen sein, ohne dass man dirigiert wird."

    Doch gerade diese fehlende Zielvorgabe ist das, was von vielen Gegnern des bedingungslosen Grundeinkommens kritisiert wird.

    "Das ist halt auch interessant, wenn man Leute fragt – und ich befrage gerade sehr viele – was haltet ihr von der Idee des Grundeinkommens oder wie würde sich euer Leben ändern, wenn ihr ein Grundeinkommen von 1000 Euro hättet, die meisten oder eigentlich alle sagen: Ich würde weiter arbeiten. Aber die Angst, dass andere faul auf dem Sofa sitzen und nichts tun und quasi das System ausbeuten, die ist auch bei allen im Kopf. Also man denkt immer von sich selbst das Beste und von den anderen das Schlechteste."

    Bernadette La Hengst liebt solche Widersprüche. Bei der nächsten Diskussionsveranstaltung in einem Monat will sie Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens einladen. Gestern allerdings sprachen die Befürworter. Schon heute sind 60 Prozent der Deutschen Empfänger von Sozialleistungen, sagt Adrienne Goehler. Die Einführung eines Grundeinkommens für alle sei also gar nicht so ein großer Schritt. Der Gewinn an Lebensqualität, der erreicht werden könnte, sei aber beträchtlich. Wenn niemand mehr gezwungen wäre zu arbeiten, würde auch der Leistungsdruck sinken, der heute viele Menschen krank macht.

    "Ich denke, der große Unterschied ist wirklich dieser Sollen-und-Wollen-Diskurs. Die Psychologin kriegt natürlich mit, dass die Psychopharmaka-Einnahme zunimmt, dass die meisten OPs, die wir machen der Leistungssteigerung gelten. Das sind alles für mich Zeichen, dass es eine komplette Gefangenschaft von der Lohnarbeit gibt."

    Kann man so alarmierende Diagnosen in Popmusik aufnehmen? - Man kann. Bernadette La Hengst hat einen Song geschrieben, der den allgegenwärtigen Stress thematisiert und trotzdem Spaß macht.

    Singen verbindet. Obwohl sich bei der Diskussion auch Zuschauer zu Wort meldeten, die ihrem Ärger über Sachbearbeiter im Jobcenter Luft machen wollten, kam gestern keine schlechte Stimmung auf. Bernadette La Hengst wird das Gesagte in neuen Songs verarbeiten, die im Februar bei der nächsten Diskussion gesungen werden sollen. Am Ende dieses Prozesses wird ein großes Chorstück stehen: Das "bedingungslose Grundeinsingen". Die Premiere ist für den 28. März in Berlin geplant. Auftritte in ganz Deutschland sollen folgen.