Es war aber alles bloß Theater. Wo der echte Skandal sich nicht einstellen mochte, hat ihn der umsichtige Regisseur gleich mitinszeniert. Das gut bürgerlich randalierende Paar taucht nämlich sofort wieder vor dem Vorhang auf, auf den ein Film projiziert wird. Es ist nicht der Film, der wie sonst üblich die Verhaftung Verurteilung und Gefangenschaft der Gattenmörderin Lulu zeigt. Dieser hier zeigt die Garderobenfrau, wie sie den wütenden Abonnenten die Mäntel aushändigt: Sie wollen schon gehen? Und auf einmal hat der Mann ein ebenso schrecklich langes Messer in der Hand wie die Männer Jack the Ripper und Co, als sie Lulu töten. Gottseidank nur läuft der Film dann auch wieder rückwärts, bis unsere Leutchen wieder in der Reihe sitzen: "Wir wollen uns die Oper doch zu Ende ansehen".
<im_2467>Hauptbild</im_2467>Was aber ist das Ende? Konwitschny und Metzmacher haben sich für die zweiaktige Fragmentfassung der "Lulu" entschieden, heißt: gegen den von Friedrich Cerha nachinstrumentierten dritten Akt, der den Abstieg der männermordenden Schlangenfrau Lulu nach ihrer Befreiung aus dem Gefängnis zeigt, bis zum schäbigen Ende in Soho, unter dem Messer des Jack the Ripper.
Er wolle sich dem mächtigen "Carmen"-Muster widersetzen, sagt Konwitschny, demzufolge das erotische Gefahrenpotential der Frau ritualgemordet werden muss, damit die Männerseele eine Ruh hat. Dafür muss Lulu hier gleich zweimal sterben. In der neuen Hamburger Zweiakt-Version spielen sie nämlich das Adagio aus Bergs Lulu-Instrumentalsuite nicht nur wie üblich am Schluss, sondern auch am Anfang; zweimal hört man Lulus gräßlichen Todesschrei, so gibt es einen vorläufigen und einen finalen Lulu-Mord. Erst durch das Männerkollektiv: Redakteur Dr. Schön, der Mann ihres Lebens, tritt in die Rolle des Rippers Jack.
Das Ende vom Ende dann offenbart Konwitschnys fundamentalen Einspruch gegen das Stück: Da ist Alwa der Mörder, von Beruf Komponist, Lulus letzter Liebhaber. "Über die ließe sich eine interessante Oper schreiben." - Der Satz steht so im Text. Der Schönberg-Schüler Alban Berg komponiert ihn in einer Oper, in der er einen Komponisten namens Alwa auftreten lässt, den Sohn des Dr. Schön. AlwaAlbanSchönBerg lautet Konwitschnys Indizienkette, die zu Alwa the Ripper führt: Schönbergs Schülersohn Alban schreibt eine Zwölftonoper nach der Methode seines "Vaters", aus dem Blut einer Frau. Am Ende darf Lulu als Sängerin abtreten, ihr todesröchelndes "Nein" kommt aus dem Off. "Doch!" entgegnet Alwa, der schon die betörende Musik der neuen Oper im Ohr hat. Die Sache will’s. Hier gilt's der Kunst.
Der Tod einer schönen Frau sei zweifellos das poetischste Thema der Welt, wissen wir von Edgar Allan Poe; wieviel Kunstleistung großer Männer nur "über ihre Leiche" geht, ist keine umstürzend neue Erkenntnis. Ihre Anwendung auf Bergs Kunstleistung "Lulu" erscheint plausibel, sie macht bloß keinen Skandal. Für Konwitschnys unaufgeregte, vorwiegend heitere Sicht der Dinge spricht, dass er seine Lulu nicht nur keine Schlange, sondern auch kein Opferlamm werden lässt. Die Figur und ihre Projektion in Form einer Lolitapuppe werden meist fein auseinandergehalten, und tatsächlich ist die Frau, um deretwillen sich die Männer so reihenweise umbringen, ja meistens Witwe.
Marlis Petersen bringt mit, was Lulu braucht, Höhe und Geläufigkeit, Erotik und Akrobatik. Andreas Schmidt als Dr. Schön mit Halbglatze scheint daneben einem gewissen Hang zur noblen Einfarbigkeit mehr nachzugeben als nötig. Ingo Metzmacher führt das Staatsopernorchester mit einem sozusagen gebremsten Espressivo durch die Unerhörtheiten der Lulu-Musik. Als wollte er die musikalischen Sachverhalte vor allem zuverlässig darstellen, nicht ihnen erliegen. Als wollte das warnen: hört, all diese Schönheiten sind aus Blut gemacht.
<im_2467>Hauptbild</im_2467>Was aber ist das Ende? Konwitschny und Metzmacher haben sich für die zweiaktige Fragmentfassung der "Lulu" entschieden, heißt: gegen den von Friedrich Cerha nachinstrumentierten dritten Akt, der den Abstieg der männermordenden Schlangenfrau Lulu nach ihrer Befreiung aus dem Gefängnis zeigt, bis zum schäbigen Ende in Soho, unter dem Messer des Jack the Ripper.
Er wolle sich dem mächtigen "Carmen"-Muster widersetzen, sagt Konwitschny, demzufolge das erotische Gefahrenpotential der Frau ritualgemordet werden muss, damit die Männerseele eine Ruh hat. Dafür muss Lulu hier gleich zweimal sterben. In der neuen Hamburger Zweiakt-Version spielen sie nämlich das Adagio aus Bergs Lulu-Instrumentalsuite nicht nur wie üblich am Schluss, sondern auch am Anfang; zweimal hört man Lulus gräßlichen Todesschrei, so gibt es einen vorläufigen und einen finalen Lulu-Mord. Erst durch das Männerkollektiv: Redakteur Dr. Schön, der Mann ihres Lebens, tritt in die Rolle des Rippers Jack.
Das Ende vom Ende dann offenbart Konwitschnys fundamentalen Einspruch gegen das Stück: Da ist Alwa der Mörder, von Beruf Komponist, Lulus letzter Liebhaber. "Über die ließe sich eine interessante Oper schreiben." - Der Satz steht so im Text. Der Schönberg-Schüler Alban Berg komponiert ihn in einer Oper, in der er einen Komponisten namens Alwa auftreten lässt, den Sohn des Dr. Schön. AlwaAlbanSchönBerg lautet Konwitschnys Indizienkette, die zu Alwa the Ripper führt: Schönbergs Schülersohn Alban schreibt eine Zwölftonoper nach der Methode seines "Vaters", aus dem Blut einer Frau. Am Ende darf Lulu als Sängerin abtreten, ihr todesröchelndes "Nein" kommt aus dem Off. "Doch!" entgegnet Alwa, der schon die betörende Musik der neuen Oper im Ohr hat. Die Sache will’s. Hier gilt's der Kunst.
Der Tod einer schönen Frau sei zweifellos das poetischste Thema der Welt, wissen wir von Edgar Allan Poe; wieviel Kunstleistung großer Männer nur "über ihre Leiche" geht, ist keine umstürzend neue Erkenntnis. Ihre Anwendung auf Bergs Kunstleistung "Lulu" erscheint plausibel, sie macht bloß keinen Skandal. Für Konwitschnys unaufgeregte, vorwiegend heitere Sicht der Dinge spricht, dass er seine Lulu nicht nur keine Schlange, sondern auch kein Opferlamm werden lässt. Die Figur und ihre Projektion in Form einer Lolitapuppe werden meist fein auseinandergehalten, und tatsächlich ist die Frau, um deretwillen sich die Männer so reihenweise umbringen, ja meistens Witwe.
Marlis Petersen bringt mit, was Lulu braucht, Höhe und Geläufigkeit, Erotik und Akrobatik. Andreas Schmidt als Dr. Schön mit Halbglatze scheint daneben einem gewissen Hang zur noblen Einfarbigkeit mehr nachzugeben als nötig. Ingo Metzmacher führt das Staatsopernorchester mit einem sozusagen gebremsten Espressivo durch die Unerhörtheiten der Lulu-Musik. Als wollte er die musikalischen Sachverhalte vor allem zuverlässig darstellen, nicht ihnen erliegen. Als wollte das warnen: hört, all diese Schönheiten sind aus Blut gemacht.