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Nur vorübergehende Erleichterung

Meteorologie. – In diesem Winter war das arktische Ozonloch wesentlich schwächer ausgeprägt als in den Jahren zuvor. Nur 20 Prozent der schützenden Atmosphärenschicht fehlten über dem Nordpol. Mit einem umgebauten russischen Spionageflugzeug hat ein Konsortium von verschiedenen Forschungseinrichtungen das Ozonloch vermessen und nach der Ursache für die Entwicklung gesucht. Der Deutschlandfunk sprach mit Professor Stephan Borrmann vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Die Fragen stellte Grit Kienzlen.

17.04.2003
    Kienzlen: Herr Professor Borrmann, warum hat sich die Ozondecke dieses Jahr so gut gehalten?

    Borrmann: Der Hauptgrund besteht darin, dass die Atmosphäre dort oben, in etwa 20 Kilometern Höhe, nicht kalt genug geworden ist. Die Kälte ist erforderlich, damit sich spezielle Wolken bilden, die polaren Stratosphärenwolken, die aus Salpetersäurekristallen oder Salpetersäuretröpfchen bestehen. Diese Wolken bilden sich eben nur, wenn es sehr kalt wird. Und wenn die Meteorologie uns einen Winter beschert, in dem es da oben nicht so kalt wird, dann bilden sich diese Wolken eben selten.

    Kienzlen: Was haben dann die FCKW noch mit dem Ausdünnen der Ozonschicht zu tun?

    Borrmann: Zu einem richtig schönen Ozonloch braucht man mehrere Zutaten. Eine ist wie gesagt polare Stratosphärenwolken, dann die Gase, die Sie angesprochen haben, und als dritten Umstand braucht man eine Atmosphäre, einen Teil der Atmosphäre, der vom Rest der Atmosphäre sehr gut isoliert ist. Das heißt, dieser Teil der Atmosphäre verhält sich wie ein chemische Reaktor, in dem chemische Reaktionen ablaufen können. Und diese Gase, die sie angesprochen haben, werden vom Sonnenlicht, starker UV-Strahlung, in der Stratosphäre in andere Gase, chlorhaltige Gase zerlegt, die per se das Ozon nicht an greifen können. Dadurch, dass diese Salpetersäurewolken auftreten, und diese sozusagen harmlosen Gase auf der Oberfläche dieser Wolken in aggressive Gasformen umgewandelt werden, dadurch wird die Atmosphäre vorbereitet für ein Ozonloch. Und wenn dann im Frühjahr die Sonne wieder aufgeht über der Arktis, dann können diese freigewordenen schädlichen Gase das Ozon attackieren. Das heißt, man braucht diese Wolken als Oberfläche, auf der chemische Reaktionen stattfinden. Die Wolken sind ein natürliches Phänomen, das mit dem Menschen nichts zu tun hat. Aber wenn die Meteorologie es nicht kalt genug werden lässt für die Entstehung der Wolken, dann fällt der Ozonabbau entsprechend geringer aus.

    Kienzlen: Kann man vom Winter in Europa darauf schließen, wie sich der Winter in der Arktis verhält?

    Borrmann: Es gibt gewisse Zusammenhänge zwischen dem fühlbaren Winter, sage ich mal, den wir am Boden empfinden, und den Vorgängen oben in der höheren Atmosphäre. Aber die sind nicht so einfach zusammenhängend, dass man sagen kann, wenn es unten kalt ist, ist es da oben warm, oder umgekehrt. Das heißt, am Thermometer hier unten kann man nicht ablesen, wieder oben die Zustände sind.

    Kienzlen: Aber haben die wärmeren Winter über der Arktis auch mit den Treibhauseffekt zu tun?

    Borrmann: Das sind mehrere Fragen in einer. Einmal: einen individuellen Winter, wie wir in jetzt gehabt haben, kann man nicht direkt auf den Treibhauseffekt zurückführen, sondern erst eine statistische Menge an Wintern. Erst daran kann man feststellen, dass der Treibhauseffekt auch wirklich existiert. Ein warmer Winter macht noch keinen Treibhauseffekt, genauso wenig, wie ein einzelner strenger Winter die Ankündigung einer Eiszeit ist. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist aber der: Wenn der Treibhauseffekt stattfindet und die Atmosphäre sich hier unten am Boden aufwärmt, dann dehnt sich die Atmosphäre auch aus. Das bedeutet, dass die Stratosphäre, wo der Ozonabbau stattfindet, ein Stück nach oben verdrängt wird. Das bedeutet wiederum, dass dort oben in der Stratosphäre tiefere Temperaturen leichter erreicht werden als ohne Treibhauseffekt. Paradoxerweise haben wir hier unten einer Erwärmung und da oben eine Abkühlung. Dann können Sie sich denken, was passiert, wenn so ein Winter wie dieser Winter nur wenige der polaren Stratosphärenwolken erzeugt, wenn durch den Treibhauseffekt die obere Atmosphäre zunehmend abkühlt, dann werden sich diese polaren Stratosphärenwolken eben häufiger bilden, und das heißt, die Ozonlöcher werden dann auch entsprechend wieder und stärker auftreten.

    Kienzlen: War dieses Jahr also nur eine günstige Fügung?

    Borrmann: Genau. Das Wetter war einfach so, dass wir Glück gehabt haben, dass wir diesmal kein starkes Ozonloch gehabt haben. 1997 im Winter und im Winter des Jahrs 2000 war die Sache erheblich anders, da wurde in der Stratosphäre ungefähr um die 40 Prozent des Ozons abgebaut.