Donnerstag, 25. April 2024

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Nurkan Erpulat inszeniert Joe Orten
Voll auf Pointe getrimmt

Nurkan Erpulat inszeniert am Berliner Maxim Gorki Theater das Drama "Seid nett zu Mr. Sloane" von Joe Orton. Dabei geht es ihm allerdings mehr um Show als um die Geschichte. Im Detail gibt's dabei viel zu entdecken, im großen Ganzen aber nichts als Posen und Klischee.

Von Michael Laages | 14.11.2014
    Das Stück ist stark und ganz von heute; immerhin zeigt es eine Art Psychopathologie des "Gutmenschen", es zeichnet die Motive hinter der Sympathie für das Fremde an sich in grober Karikatur – mit Ed und Kathy, den schrillen Geschwistern: sie das alte Mädchen, das im Untermieter Sloane Gatten und Kind zugleich umgurrt, die sie beide verlor, und er der verdruckste Schwule, der Sexualität in Sport und Männerbündelei sublimiert. Zugleich aber liefert Joe Orton in der Figur des Mister Sloane auch noch das Psychogramm eines Opfers, das zum Täter wird. Denn der junge Mann richtet sich ein in der Hilfsbereitschaft der Wohltäter, die ihm helfen; und mutiert ganz offen zum Schmarotzer. Und erst die mörderische Wiederkehr einer frühen Untat (Sloane ermordet den Vater der Geschwister, der ihn wieder zu erkennen meint) macht ihn schließlich ganz zum gefügigen Werkzeug der monströsen Geschwister.
    Wer einen visionären Kommentar sucht zu aktuellen Entwicklungen der bürgerlichen Wohlstandsgesellschaft, speziell zur massiven Hassliebe, in der brave Bürger heutzutage dem Fremden an sich und nebenan zutiefst verbunden sind, der liegt mit Orton richtig – wer sich aber für den Kern des Stückes nicht ernsthaft interessiert, lässt besser die Finger davon. Insofern ist die Wiederbegegnung in Berlin vor allem ein Irrtum.
    Klar – auch Orton hat die Fabel "verpackt": das Stück ist Krimi und Farce, Kammerspiel und Groteske. Aber derart viel "Verpackung", wie der Regisseur Nurkan Erpulat ihm verpasst, hat es denn doch nicht verdient.
    Zentrales Motto: "The Show must go on"
    Der suchte offenbar Material für eine Art Off-Off-Musical, in dem immerzu gesungen wird und das zentrale Motto heißt "The Show must go on". Um diesen Effekt zu erzielen, setzt er vom ersten Moment an auf Vermummung – zu Beginn sehen wir dem Ensemble zu, wie jeder und jede falsche Nasen und Bärte anklebt, Perücken anpasst und falsche Zähne für den Überbiss. Auf einem Flokati-Podest übt diese Familien-Bande die passenden Posen, vor einer weißen Schrankwand mit immens vielen Türen. Kleine, aber schöne Pointe der Bühnenbildnerin Magda Willi: Was immer gerade benötigt wird, Hausbar, Kühlschrank oder Haus-Apotheke, findet sich immer nur hinter einer dieser Türen; die Requisiten-Abteilung positioniert auf Stichwort immer das richtige Detail hinter derselben Tür.
    Lauter hübsche Details sind das. Und eine fiktive Postbotin wurde hinzu erfunden, von der kluge Fremdtexte über Frauen oder "people of colour" heute zitiert werden. Mister Sloane im Gorki ist mit Jerry Hofmann so ein "POC". En detail also gibt's durchaus was zu entdecken – en groß hingegen gibt's nichts als Posen und Klischee, nichts als musikalisches Tingeltangel und lärmendes Gezeter, mit dem Holzhammer auf Pointe getrimmt – da verlieren Manuela Beykirch und Aleksandar Radenkovic, die Geschwister, vor lauter schlechten Späßen schnell die Kontrolle. Sloane selbst zeigt definitiv gar nichts von dem, was die Faszination des Schmarotzers ausmachen könnte; nur einen künstlichen Waschbrettbauch. Opa Thomas Wodianka immerhin singt gut. Opas Tod aber wird genau so ignoriert wie das Stück als Ganzes. Die Show muss ja weiter gehen; Opa darf nicht sterben.
    Langsam verdämmert hingegen der gute Ruf des kleinen Theaters mit den "postmigrantischen" Flausen im Kopf; hinter der "Neuen Wache" Unter den Linden gelegen, vermittelt es derzeit den Eindruck, als wolle es den Ku'damm-Boulevard von ganz früher herüber holen in die neue Mitte.