Seit etlichen Jahren haben die Somalis nur die Wahl, Flüchtlinge zu werden, sich der wachsenden Gemeinschaft der im Lande Vertriebenen anzuschließen, die in gewisser Weise schlimmer dran sind als die Flüchtlinge, oder sich der einen oder anderen bewaffneten Milizgruppierung anzuschließen. Als Volk sind wir jenen ausgeliefert, die mit menschlichem Elend schachern, Cowboypolitikern, die unser Land in von Verbrecherklüngeln geführte Lehensgüter zerschnitten haben, die behaupteten, sich auf das Mandat des Clans berufen zu können.
Nuruddin Farah weiß, wovon er spricht: Er selbst ist aus seinem Heimatland geflohen. Allerdings hat er Somalia schon 1974 verlassen müssen, seine offen geäußerte Kritik am Diktator Siad Barre trug ihm in Abwesenheit ein Todesurteil ein. Seither lebt er auf verschiedenen Kontinenten in zwölf verschiedenen Ländern, lehrte in Afrika, Europa und den USA und hat sich zuletzt in Kapstadt niedergelassen. In Yesterday, Tomorrow beschreibt er in Gesprächen die Misere der Flüchtlinge, die in diversen Ländern Europas und Afrikas versuchen, sich vor der somalischen Anarchie in eine vorläufige Sicherheit zu bringen. 1993 war Farah von einem befreundeten Chefredakteur in Schweden gebeten worden, afrikanische Flüchtlinge zu interviewen. Mehr als einmal habe er dieses Projekt wieder aufgeben wollen, sagt Farah, vom Kummer zerfressen, der Bestandteil seines Lebens als Somali sei. Doch letztlich habe der Wunsch obsiegt, in Somalias Anarchie eine gewisse Ordnung zu bringen.
Farah lässt seine Landsleute in Kenia, England, Schweden, der Schweiz und Italien sprechen, hört ihnen genau zu und stellt ihnen mit der Kenntnis des politisch gebildeten und mit eigener Flüchtlingserfahrung ausgestatteten Landsmannes präzise Fragen. Das Resultat seiner Recherchen ist bemerkenswert vielschichtig, denn er spricht mit allen: Bedauernswerten, Unsympathischen, Verrätern, Ahnungslosen, Gebildeten und Anhängern aller möglicher politischer Positionen.
Wie nach dem Muster eines psychoanalytischen Prozesses entsteht Gespräch für Gespräch eine Ordnung der Ereignisse und Befindlichkeiten durch Selbstaufklärung, eine Ordnung, die durch die Reflexion in der Gegenwart über die Vergangenheit versucht, sich eine Zukunft herzustellen. Der Leser erfährt Einzelheiten über die Gründe der Flucht, die furchtbaren Erinnerungen an das Morden in Mogadischu, über die ersten Erfahrungen in den Aufnahmelagern, über den Kampf um die Anerkennung als Flüchtling, über Illegalität, Rassismus und Armut, über die Anschauungen und Wertmaßstäbe, über die Erwartungen und Perspektiven und nicht zuletzt über den Umgang mit Flüchtlingen in den Aufnahmeländern und damit auch über die Aufnahmeländer selbst. Beeindruckend in Farahs Darstellung ist die Vielstimmigkeit, die da zum Ausdruck kommt und die jede Pauschalierung, jedes vorschnelle Urteil so angenehm schwer macht. Dabei ist es nie ein pathetisches Klagelied, das der somalische Schriftsteller da anstimmt, sondern eine bedrückende Studie der Heimatlosigkeit, des erzwungenen Nomadentums in all seinen Aspekten. Der Autor schont niemanden, die Flüchtlinge, die er befragt, nicht und auch nicht sich selbst.
Farahs Buch ist auch ein Nachdenken über die Schuld am Zusammenbruch des eigenen Landes. Er zählt zu den afrikanischen Schriftstellern, die es sich mit dem postkolonialen Erbe nicht leicht machen und die Schuld immer auf andere zu schieben versuchen. Ohne den verheerenden Einfluss der europäischen Kolonisation und ihre von imperialen Interessen geleiteten Grenzziehungen in der Region zu beschönigen, ist doch seine Kritik an der gescheiterten Befreiung, an den afrikanischen Despoten unzweideutig, ebenso wie an den Traditionalisten und strengen Bewahrern der Kultur, die traditionelle Strukturen zu erhalten versuchen, weil man sich bequem mit ihrer Hilfe bereichern kann. So macht er das korrupte somalische Clanwesen für den Zerfall des Staates mitverantwortlich, ebenso wie die Feigheit vieler Bürger, sich gegen die Siad-Barre-Dikatur aufzulehnen, oder das Versagen der Gesellschaft vor der Habgier, den Mangel an Gemeinsinn, der es den Warlords so leicht gemacht habe, Somalia als gerade erst gute 30 Jahre altes unabhängiges Staatswesen wieder zu vernichten. Was von diesem Schlachtfeld übrig geblieben ist, findet sich ironischer Weise heute in den Grenzen der einstigen Kolonialherren Italien und England wieder.
Wie schon in seinen Romanen, taucht auch in diesem Buch das Geschlechterthema immer wieder auf. Denn das Versagen der somalischen Gesellschaft, dass in die blutige Implosion gemündet sei, lastet Farah zum großen Teil den Männern an, die dann in der Stunde der eskalierenden Krise sich mutlos hinter ihren Clans versteckt hätten, während die Frauen sich als die Stärkeren erwiesen hätten, mit praktischer Vernunft das Überleben organisiert, den Rest Humanität bewahrt hätten.
In Italien trifft Nuruddin Farah z.B. auf eine Flüchtlingsfrau, die in Mogadischu an der Universität gelehrt hat und wie viele andere Frauen aus ihrer Heimat nun als Hausangestellte auch den männlichen Teil der Familie durchbringen muss. Während die Frauen auch hier sich um das Wohl der Großfamilien sorgen und hart arbeiten, um ihnen eine Zukunft zu schaffen, sitzen die Männer herum und klagen, bringen Geld durch und verlangen, von den Frauen bedient zu werden. Farah fragt die Frau, wovon ihre Brüder träumen, auf welches Lebensziel sie hinarbeiten, auf welche Zukunft:
"Wenn ich sie mir anschaue", sagte sie, "dann sehe ich Gesichter, die kein Bedauern kennen. Wenn ich mit ihnen spreche, höre ich kein Eingeständnis eines Versagens. Ihre Geschichte ist eine der Abhängigkeit, ein chronisches sich Verlassen auf ein mit dem Schweiß anderer erzieltes Einkommen. Faule Knochen sind sie, mit nichts anderem im Sinn als in ein anderes Land zu gehen, wo sie Flüchtlingshilfe beziehen werden."
Was aus ihnen werden soll, diese Frage können die meisten Flüchtlinge nicht beantworten. Manche halten die Hoffnung auf Rückkehr in ein Somalia aufrecht, das nur noch in ihren verklärenden Erinnerungen existiert, leben also in der Diaspora, für andere wandelt sich das Leben in ein dauerhaftes Exil, selten in die Einbürgerung und Integration in ein neues Heimatland. Farah selbst hat das Exil früh angenommen, sieht sich nicht als Flüchtling. Von Rom aus telephoniert er 1976 mit seinem Bruder in Mogadischu, weil er nach Hause fliegen will, und bekommt zur Antwort, er solle Somalia vergessen, es als tot betrachten, weil es für ihn nicht mehr existiere.
Minutenlang stand ich da mit dem stummen Hörer in der Hand, während ich das Gefühl hatte, dass etwas Lebendiges in mir hochsteige. In diesem Augenblick entstand ein neues Land mit seiner eigenen Logik und Realität. Aus seelischer Not geboren, stahl sich dieses Land in meine Sinne leise wie eine Motte meines gesunden Menschenverstandes. Und diese Motte wurde schließlich ein richtiger Schmetterling, der die sich herauskristallisierende Frucht meines Exils umschwirrte; eines Exils, das notwendigerweise den Motor meiner Vorstellungskraft mit einem Satz anwarf.
Diese Vorstellungskraft hat Farah nicht verlassen, als Schriftsteller hat er einen imaginären Ort gefunden, an dem sich das Exil trotz allem fruchtbar machen lässt. Aber er weiß auch, dass nicht jeder Menschen einen Falter hat, der 'nachts am Fenster zum Universum seiner Kreativität klopft’. Die Frage, was aus diesen Menschen wird, richtet der Autor nicht nur an seine Landsleute oder an andere Afrikaner, er richtet sie an jeden Weltbürger. Weil Nuruddin Farah einen unerschütterlichen Glauben an Afrika hat, hat er die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass die Auseinandersetzung mit dem somalischen Erbe in der Diaspora etwas Neues hervorbringen könnte
Unser Land befindet sich auch in einem Dialog mit einem Morgen, das in ein Gestern eingebettet ist.
Karin Beindorff über Nuruddin Farah, "Yesterday, Tomorrow - Stimmen aus der somalischen Diaspora". Der Band ist in der Taschenbuchreihe des Frankfurter Suhrkamp Verlags erschienen, umfasst 308 Seiten und kostet 12 Euro.
Nuruddin Farah weiß, wovon er spricht: Er selbst ist aus seinem Heimatland geflohen. Allerdings hat er Somalia schon 1974 verlassen müssen, seine offen geäußerte Kritik am Diktator Siad Barre trug ihm in Abwesenheit ein Todesurteil ein. Seither lebt er auf verschiedenen Kontinenten in zwölf verschiedenen Ländern, lehrte in Afrika, Europa und den USA und hat sich zuletzt in Kapstadt niedergelassen. In Yesterday, Tomorrow beschreibt er in Gesprächen die Misere der Flüchtlinge, die in diversen Ländern Europas und Afrikas versuchen, sich vor der somalischen Anarchie in eine vorläufige Sicherheit zu bringen. 1993 war Farah von einem befreundeten Chefredakteur in Schweden gebeten worden, afrikanische Flüchtlinge zu interviewen. Mehr als einmal habe er dieses Projekt wieder aufgeben wollen, sagt Farah, vom Kummer zerfressen, der Bestandteil seines Lebens als Somali sei. Doch letztlich habe der Wunsch obsiegt, in Somalias Anarchie eine gewisse Ordnung zu bringen.
Farah lässt seine Landsleute in Kenia, England, Schweden, der Schweiz und Italien sprechen, hört ihnen genau zu und stellt ihnen mit der Kenntnis des politisch gebildeten und mit eigener Flüchtlingserfahrung ausgestatteten Landsmannes präzise Fragen. Das Resultat seiner Recherchen ist bemerkenswert vielschichtig, denn er spricht mit allen: Bedauernswerten, Unsympathischen, Verrätern, Ahnungslosen, Gebildeten und Anhängern aller möglicher politischer Positionen.
Wie nach dem Muster eines psychoanalytischen Prozesses entsteht Gespräch für Gespräch eine Ordnung der Ereignisse und Befindlichkeiten durch Selbstaufklärung, eine Ordnung, die durch die Reflexion in der Gegenwart über die Vergangenheit versucht, sich eine Zukunft herzustellen. Der Leser erfährt Einzelheiten über die Gründe der Flucht, die furchtbaren Erinnerungen an das Morden in Mogadischu, über die ersten Erfahrungen in den Aufnahmelagern, über den Kampf um die Anerkennung als Flüchtling, über Illegalität, Rassismus und Armut, über die Anschauungen und Wertmaßstäbe, über die Erwartungen und Perspektiven und nicht zuletzt über den Umgang mit Flüchtlingen in den Aufnahmeländern und damit auch über die Aufnahmeländer selbst. Beeindruckend in Farahs Darstellung ist die Vielstimmigkeit, die da zum Ausdruck kommt und die jede Pauschalierung, jedes vorschnelle Urteil so angenehm schwer macht. Dabei ist es nie ein pathetisches Klagelied, das der somalische Schriftsteller da anstimmt, sondern eine bedrückende Studie der Heimatlosigkeit, des erzwungenen Nomadentums in all seinen Aspekten. Der Autor schont niemanden, die Flüchtlinge, die er befragt, nicht und auch nicht sich selbst.
Farahs Buch ist auch ein Nachdenken über die Schuld am Zusammenbruch des eigenen Landes. Er zählt zu den afrikanischen Schriftstellern, die es sich mit dem postkolonialen Erbe nicht leicht machen und die Schuld immer auf andere zu schieben versuchen. Ohne den verheerenden Einfluss der europäischen Kolonisation und ihre von imperialen Interessen geleiteten Grenzziehungen in der Region zu beschönigen, ist doch seine Kritik an der gescheiterten Befreiung, an den afrikanischen Despoten unzweideutig, ebenso wie an den Traditionalisten und strengen Bewahrern der Kultur, die traditionelle Strukturen zu erhalten versuchen, weil man sich bequem mit ihrer Hilfe bereichern kann. So macht er das korrupte somalische Clanwesen für den Zerfall des Staates mitverantwortlich, ebenso wie die Feigheit vieler Bürger, sich gegen die Siad-Barre-Dikatur aufzulehnen, oder das Versagen der Gesellschaft vor der Habgier, den Mangel an Gemeinsinn, der es den Warlords so leicht gemacht habe, Somalia als gerade erst gute 30 Jahre altes unabhängiges Staatswesen wieder zu vernichten. Was von diesem Schlachtfeld übrig geblieben ist, findet sich ironischer Weise heute in den Grenzen der einstigen Kolonialherren Italien und England wieder.
Wie schon in seinen Romanen, taucht auch in diesem Buch das Geschlechterthema immer wieder auf. Denn das Versagen der somalischen Gesellschaft, dass in die blutige Implosion gemündet sei, lastet Farah zum großen Teil den Männern an, die dann in der Stunde der eskalierenden Krise sich mutlos hinter ihren Clans versteckt hätten, während die Frauen sich als die Stärkeren erwiesen hätten, mit praktischer Vernunft das Überleben organisiert, den Rest Humanität bewahrt hätten.
In Italien trifft Nuruddin Farah z.B. auf eine Flüchtlingsfrau, die in Mogadischu an der Universität gelehrt hat und wie viele andere Frauen aus ihrer Heimat nun als Hausangestellte auch den männlichen Teil der Familie durchbringen muss. Während die Frauen auch hier sich um das Wohl der Großfamilien sorgen und hart arbeiten, um ihnen eine Zukunft zu schaffen, sitzen die Männer herum und klagen, bringen Geld durch und verlangen, von den Frauen bedient zu werden. Farah fragt die Frau, wovon ihre Brüder träumen, auf welches Lebensziel sie hinarbeiten, auf welche Zukunft:
"Wenn ich sie mir anschaue", sagte sie, "dann sehe ich Gesichter, die kein Bedauern kennen. Wenn ich mit ihnen spreche, höre ich kein Eingeständnis eines Versagens. Ihre Geschichte ist eine der Abhängigkeit, ein chronisches sich Verlassen auf ein mit dem Schweiß anderer erzieltes Einkommen. Faule Knochen sind sie, mit nichts anderem im Sinn als in ein anderes Land zu gehen, wo sie Flüchtlingshilfe beziehen werden."
Was aus ihnen werden soll, diese Frage können die meisten Flüchtlinge nicht beantworten. Manche halten die Hoffnung auf Rückkehr in ein Somalia aufrecht, das nur noch in ihren verklärenden Erinnerungen existiert, leben also in der Diaspora, für andere wandelt sich das Leben in ein dauerhaftes Exil, selten in die Einbürgerung und Integration in ein neues Heimatland. Farah selbst hat das Exil früh angenommen, sieht sich nicht als Flüchtling. Von Rom aus telephoniert er 1976 mit seinem Bruder in Mogadischu, weil er nach Hause fliegen will, und bekommt zur Antwort, er solle Somalia vergessen, es als tot betrachten, weil es für ihn nicht mehr existiere.
Minutenlang stand ich da mit dem stummen Hörer in der Hand, während ich das Gefühl hatte, dass etwas Lebendiges in mir hochsteige. In diesem Augenblick entstand ein neues Land mit seiner eigenen Logik und Realität. Aus seelischer Not geboren, stahl sich dieses Land in meine Sinne leise wie eine Motte meines gesunden Menschenverstandes. Und diese Motte wurde schließlich ein richtiger Schmetterling, der die sich herauskristallisierende Frucht meines Exils umschwirrte; eines Exils, das notwendigerweise den Motor meiner Vorstellungskraft mit einem Satz anwarf.
Diese Vorstellungskraft hat Farah nicht verlassen, als Schriftsteller hat er einen imaginären Ort gefunden, an dem sich das Exil trotz allem fruchtbar machen lässt. Aber er weiß auch, dass nicht jeder Menschen einen Falter hat, der 'nachts am Fenster zum Universum seiner Kreativität klopft’. Die Frage, was aus diesen Menschen wird, richtet der Autor nicht nur an seine Landsleute oder an andere Afrikaner, er richtet sie an jeden Weltbürger. Weil Nuruddin Farah einen unerschütterlichen Glauben an Afrika hat, hat er die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass die Auseinandersetzung mit dem somalischen Erbe in der Diaspora etwas Neues hervorbringen könnte
Unser Land befindet sich auch in einem Dialog mit einem Morgen, das in ein Gestern eingebettet ist.
Karin Beindorff über Nuruddin Farah, "Yesterday, Tomorrow - Stimmen aus der somalischen Diaspora". Der Band ist in der Taschenbuchreihe des Frankfurter Suhrkamp Verlags erschienen, umfasst 308 Seiten und kostet 12 Euro.