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Nutzung der Meere
Vielversprechende Rohstoffquelle mit Risiken

Ozeanographie. - Der Rohstoffbedarf der Menschheit ist gewaltig. Und angesichts hoher Rohstoffpreise rückt das Meer zunehmend ins Visier der Konzerne. Die Öl- und Gasindustrie stößt in immer größere Tiefen vor und bald wird ihr die Bergbauindustrie auf der Suche nach metallischen Rohstoffen folgen. Der dritte Meereszustandsbericht, der heute vorgestellt wurde, beschäftigt sich mit dieser Form der Meeresnutzung.

Von Dagmar Röhrlich | 20.02.2014
    Die Erdbevölkerung wächst, und immer mehr Menschen leben nach dem Vorbild des industrialisierten Westens. Eine der Konsequenzen:
    "Rohstoffe auf einer Kugel sind endlich, und wenn man nicht in Recycling oder Substitution von Rohstoffen geht, dann wird bei steigender Weltbevölkerung irgendwann einmal das zu einem riesigen Problem werden, das ist völlig klar",
    erklärt Christian Reichert von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR. Er gehört zu den Autoren des dritten Teils des Zustandsberichts der Weltmeere, der heute in Hamburg vorgestellt worden ist. Angesichts hoher Rohstoffpreise rücken zunehmend die Weltmeere in den Fokus der Industrie. Schon Tradition hat dabei die Förderung von Öl und Gas:
    "Derzeit sind es, glaube ich, etwa 30 Prozent, ein Drittel ungefähr der Weltförderung kommt aus dem Meeresbereich, davon ein Teil eben schon aus Tiefwasserbereich, wobei Tiefwasser für die Industrie zählt als 1500 Meter Wassertiefe. Man kommt aber schon an Wassertiefen an die 3000 Meter für die Förderanlagen. Dann wird da noch reingebohrt."
    In der Tiefsee lägen die großen Reserven, erklärt Christian Reichert. Allerdings hat die Explosion der Bohrinsel "Deepwater Horizon" gezeigt, wie riskant diese Förderung ist, welche Umweltschäden sie mit sich bringen kann und wie schlecht das Katastrophenmanagement von Industrie und Behörden war. In diesen Wassertiefen werden neue Förderkonzepte wichtig:
    "Ein aus meiner Sicht sehr gutes Beispiel ist Norwegen, die also hier bei dem Feld Snøhvit die Förderanlagen am Meeresboden haben, und das über Pipelines dann zum Ufer leiten."
    Dass Förder- und Transportanlagen für das arktische Gasfeld Snøhvit unter einem hohen Einsatz von Sensorik und Sicherungssystemen komplett auf dem Meeresboden liege, mache sie in dieser rauen Umwelt sehr viel weniger anfällig für Unfälle. Hightech wird auch für die Erzgewinnung in der Tiefsee zentral werden. Dabei geht es um drei potentielle Vorkommen: die Manganknollen der Tiefsee-Ebenen, die Mangankrusten der Tiefseeberge und die Massivsulfide an den Black-Smoker-Feldern:
    "Die Massivsulfide haben ein relativ geringes Rohstoffpotential, diese Vorkommen sind meist relativ klein, haben aber sehr hohe Wertmetallgehalte, während bei den Manganknollen und Kobaltkrusten es sich um große Potentiale handelt. Die Konzentration der Metalle sind gering, aber die Flächen, die von Knollen und Krusten bedeckt sind, sind so groß, dass sie durchaus ein Potential für einen globalen Weltmetallmarkt haben."
    Sven Petersen ist Lagerstättenkundler am Kieler Meeresforschungszentrum Geomar und ebenfalls Co-Autor des Berichts. Wegen der hohen Rohstoffpreise interessieren sich zunehmend Privatunternehmen für den Meeresbergbau in der Tiefsee, darunter der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin. Wissenschaftler wie Petersen erwarten, dass die Konzerne Dynamik ins Spiel bringen.
    "Im Gegensatz zu den staatlichen Konsortien früherer Zeit, die vielleicht auf lange Sicht auf sichere Rohstoffversorgung gesetzt haben, ist hier offensichtlich ist ein Industriepartner dabei, der eher schnell Geld verdienen will. Also ich denke mal, der Antreiber ist jetzt ein ganz anderer."
    Unter Druck setzt diese neue Dynamik die Internationale Meeresbodenbehörde, eine für Gebiete jenseits nationaler Gewässer zuständige UN-Organisation. Aufgrund bestehender Verträge können die ersten Interessenten 2016 eine Abbaulizenz beantragen. Bis dahin muss die Behörde Regeln für den Bergbau auf Hoher See beschlossen haben:
    "Es muss keiner der Meinung sein, dass man einen umweltfreundlichen Bergbau in der Tiefsee machen wird. Einen umweltfreundlichen Bergbau gibt es nicht. Das gleiche gilt aber auch für alles, was wir an Land abbauen. Da muss man sich überlegen: Was möchte ich vielleicht lieber? Möchte ich den Regenwald in Brasilien roden, um an mein Eisenerz und mein Nickel zu kommen, oder möchte ich Bergbau in der Tiefsee machen, wo aber vielleicht durch die Internationale Meeresbodenbehörde, die EU oder die deutsche Rechtsprechung höhere Umweltstandards durchgesetzt werden können?"
    Schließlich hat der Internationale Seegerichtshof in Hamburg bereits in einem Gutachten festgestellt, dass die Haftung für die angerichteten Schäden sehr weit geht. Und so laufen am Sitz der Meeresbodenbehörde in Kingston, Jamaika, die Beratungen. Am Tisch sitzen Unternehmen und Regierungen, aber auch Wissenschaftler und Umweltschützer. Anders als an Land soll vorher über den Umweltschutz nachgedacht werden:
    "Es wird auch Bergbau-Teste geben vor Ort. Das ist auch eine Vorausbedingung, dass die Verfahren vor Ort getestet werden, die Umweltdaten aufgenommen werden müssen vor dem Eingriff, während des Eingriffs und nach dem Eingriff, dass alle diese Sachen verglichen werden. Da ist also ein sehr umfassendes Monitoring dabei…"
    Bei Verstößen soll die Meeresbodenbehörde Strafen erheben oder die Lizenz entziehen können. Die Geologen machen sich wenig Illusionen, dass die Rohstoffe der Tiefsee unangetastet bleiben. Dafür ist das Interesse von Staaten und Industrie einfach zu groß.