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Nutzungsplan des Lebens

Genetik. - Vor neun Jahren war der Jubel groß, als das menschliche Genom entschlüsselt war. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt, denn mit dem Bauplan ist es nicht getan, denn unterschiedliche Zelltypen nutzen die gleichen Gene in unterschiedlicher Weise. Jetzt haben Wissenschaftler einen solchen Nutzungsplan vorgestellt. Der Wissenschaftsjournalist Michael Lange erläutert ihn im Gespräch mit Michael Böddeker.

    Böddeker: Herr Lange, was steht denn drin in diesem neuen Buch des Lebens?

    Lange: Ja, es steht drin, wie die Gene, wie unsere Anlagen gesteuert und reguliert werden. Bisher hatte man hier immer die Erbinformation auf dem Erbgut-Molekül gehabt. Auf molekularer Ebene kann man dort vier Basen lesen, da steckt die Erbinformation drin: A, Adenin, T, Thymin, G, Guanin, C, Cytosin. Das ist also die Erbinformation und Wissenschaftler vom Salk Institute in La Jolla, Kalifornien, haben nun geschaut, ob an diesen Informationsstellen, ob an diesen Basen Anhängsel dran sind. Das ist sozusagen der zweite Code, Methylgruppen, die an der DNA angehaftet sind.

    Böddeker: Und wie funktionieren diese Anhängsel am Erbgut?

    Lange: Ja, sie wirken wie Bremsen. Sie können bestimmte Gene, bestimmte Erbanlagen stumm schalten. Das heißt, immer wenn ein Anhängsel, eine Methylgruppe an einer bestimmten Stelle im Erbmolekül befestigt ist, dann kann diese Stelle im Erbmolekül nicht aktiv sein. Und die Wissenschaftler haben nun erstmals das gesamte Erbgut des Menschen mit allen über 3 Milliarden Basenpaaren darauf hin durchgeschaut, ob eine Methylgruppe an einer bestimmten Stelle anhaftet oder nicht. Also das ist das erste vollständige Bild dieses sogenannten Methyloms oder Epigenoms.

    Böddeker: Das bedeutet, jetzt ist das ganze Epigenom des Menschen bekannt?

    Lange: Leider nicht, denn es gibt nicht ein Epigenom. Es gibt auch nicht ein Methylom. Also, wenn man eine Karte hat, die Wissenschaftler sprechen deshalb auch von Straßenkarte, dann kennt man nur eine bestimmte Zellgruppe. Denn alle unsere Zellen im Körper sind zwar genetisch völlig identisch, die haben das gleiche Erbgut. Wenn man sich aber die Methylgruppen anschaut, dann sehen Nervenzellen ganz anders aus als Hautzellen, oder Muskelzellen sehen anders aus als Leberzellen. Jeder Zelltyp hat sein eigenes Epigenom, und das ändert sich auch mit den Jahren. Im Embryo ist es völlig anders als bei einem erwachsenen Menschen.

    Böddeker: Wie unterscheidet sich denn dieses Epigenom zum Beispiel von embryonalen Stammzellen und das Epigenom von Bindegewebszellen?

    Lange: Ja, das haben sich die Wissenschaftler auch schon angeschaut. Also sie haben nicht nur diese eine Landkarte des Epigenoms gezeichnet, sondern sie haben auch zumindest damit begonnen, erste Zelltypen zu vergleichen. Und zwar haben sie sich zwei Zelltypen ausgesucht. Zum einen die viel diskutierten embryonalen Stammzellen, Zellen, die noch sehr viel können. Und zum anderen Bindegewebszellen, also reifere Zellen, die schon wissen, was sie machen. Und sie haben tatsächlich im Epigenom, also in diesen Anhängsel am Erbgut sehr viele Unterschiede gefunden. Und zwar beziehen sich diese Unterschiede darauf, wo, an welchen Stellen genau, die Methylgruppen sitzen. Die Methylgruppen sitzen immer am Cytosin, aber die Frage ist, wer ist der Nachbar des Cytosins. Im Normalfall, in Körperzellen, ist es immer ein Guanin, und bei den Stammzellen haben sie bei 25 Prozent der Methylierungen, also der Anhängsel, entdeckt, dass da jemand anderes sitzt. Also ein völliger Unterschied zwischen embryonalen Stammzellen und Körperzellen.

    Böddeker: Hat man denn jetzt damit auch das Geheimnis der Vielseitigkeit dieser embryonalen Stammzellen gelüftet?

    Lange: Darüber wird in der Fachwelt gerade diskutiert. Die Wissenschaftler haben sich das genau angeschaut und sie haben zum Beispiel Zellen reprogrammiert. Das heißt, sie haben Körperzellen wieder jugendlich gemacht, dass sie ähnlich wurden wie embryonale Stammzellen. Und tatsächlich entwickelte sich dieser Methylierungscode in Richtung Stammzellen. Also, Sie können sagen, dass diese Form der Methylierung, die die da entdeckt haben bei den embryonalen Stammzellen, die irgend etwas mit diesem besonderen Fähigkeiten der Stammzellen zu tun hat. Aber sie wissen nicht genau, ob genau an dieser Stelle das Geheimnis der embryonalen Stammzellen entdeckt wurde. Da ist sicherlich noch eine ganze Menge Forschung notwendig.