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O Isis!

Was wird er damit machen? fragt sich, besorgt oder erwartungsfroh das Publikum, wenn Peter Konwitschny einen beliebten Klassiker in die Mangel nimmt. Erregungen hat es immer wieder gegeben um die Inszenierungen des Ruth Berghaus-Schülers, der in Leipzig aufwuchs und seit den 80er Jahren als freier Regisseur Opern nicht nur inszenierte, sondern umdeutete, neu aufrollte, und zwar nicht nur durch Verbrämung mit zeitgenössischem Modematerial. Ganz großen Krach hatte er vor vier Jahren mit dem Intendanten der Dresdner Oper wegen seiner Csardasfürstin, in der er ganz unoperettenhaft den Ernst des Krieges in eine Operettenuniform steckte : den Tanz des kopflosen Soldaten kürzte man ihm einfach weg, was die Beteiligten vor Gericht führte. Konwitschny gewann. Gewann er auch gestern in Stuttgart mit der Regie der Zauberflöte?

Von Marion Ammicht |
    Weltbekannte Hits an der Stuttgarter Staatsoper! Auftritt Papageno, der Vogelmann:

    Rudolf Rosen ist Papageno. Ein Mann von grandios kräftiger und beweglicher Stimme. Mikrofone hat er eigentlich nicht nötig. Doch hier bei Peter Konwitschnys "Zauberflöte" an der Stuttgarter Staatsoper muss er elektronisch verstärkt singen, denn jetzt ist er Papageno-Superstar, der sympathische Kleine-Leute-Philosoph mit Küblböck-Brille, der sich jetzt endlich mal wieder ein bisschen Spaß zu gönnen will auf diesem Horrortrip durch die finsteren Schluchten von Bert Neumanns endlos weiten Mehrfach-Bühnenraum. Irgendwo da muss er eben auch auf diese glitzernde Neben-Showbühne gestoßen sein. Vor ihm wir, die begierig sein lustiges Lied erwarten. Hinter ihm noch mal Studiopublikum auf orangefarbener Plastikschalenstuhlkulisse in bester Partylaune. Euphorisches Juchzen auf der Bühne, Diskobeleuchtung und monströse Verwirrung im eigentlichen Zuschauerraum. Der Staatsopernstadl bebt. Was um alles in der Welt ist hier geschehen?

    Peter Konwitschny hat die Postmoderne in Mozarts letztem Bühnenwerk entdeckt: Hetrogenität der Mittel und Stile, offene dramatische Form, ein guter Sarastro, der ein böser ist. Die Zauberflöte als Machwerk? Die alte Dramaturgen-Debatte ist bekannt. Selten hat man sie aber so poetisch, witzig und radikal wie in an diesem Abend in Stuttgart auf der Bühne diskutiert gesehen. Theater auf dem Theater heißt der nicht ganz neue Trick von Konwitschny, dem Regisseru und Neumman, dem Bühnenbildner: Hinter- und Unterbühne im ersten Aufzug für die Königin der Nacht, vorne im Scheinwerferlicht an der Rampe im zweiten Aufzug Sarastro und sein Team. Und dazwischen immer wieder Pamina, Papageno und Tamino auf dem Lebensprüfungsparcour – ein irrwitziges Initiationsabenteuer in der Kulisse des postmodernen Showgeschäfts.

    Das ist nicht nur witzig, sondern funktioniert. Gleich zu Beginn kippt Tamino, der präpotente Jüngling im knappen weißen Denim-Outfit aus Furcht vor einer ominösen Menschenmenge und einem zusammengerollten Schlangenteppich aus Bert Neumanns weit aufgerissenem provisorischen Theaterkantinenraum. Wer denn die Gegend hier beherrsche, will er wissen, als er im Orchestergraben wieder zu sich kommt. Die Staatsorchestermitglieder sind amüsiert und zeigen auf den Mann am Pult. Lothar Zagrosek , profunder Sachwalter von Mozarts polystilistischer Musik ist hier nämlich eindeutig der Chef. Was schon bei der Ouvertüre mit dem in authentischer Mozartspielweise bestens unterrichteten Stuttgarter Staatsorchester nicht zu überhören gewesen ist:

    Alle Macht der Musik! Johan Weigels noch etwas verwirrter, aber enorm lebenshungriger Tamino lässt sich nur allzu gern verführen. Stört ihn auch nicht weiter, dass die hübsche blonde Dame im eleganten Glitzerkleid, die sich da kurz darauf von einem der Kantinentische auf der Bühne erhebt ganz schön einen in der Krone hat. Denn ihre Gurgel funktioniert wie geschmiert. Barbara Baier ist Stuttgarts wenig mondäne, aber virtuose Königin der Nacht. Ein zartes Geschöpf, der der verstorbene Gatte die Macht über den alles zersetzenden Sonnenkreis wohl nicht ohne Grund nicht vererbt hat. Tamino ist das egal. Gerade hat er sich bei der Bildnisarie in einem brillant gefakten Lady-Di-Video in der Westminster-Abbey bereits mit einer fremden Schönen am Traualtar gesehen. Und er ist begeistert, als eine der drei Damen ihrer Chefin mit der Handkamera beim ersten großen Arienauftritt tief in den Schlund hineinfilmt: Die weit geöffneten Stimmbänder als Verheißung des weiblichen Geschlechts. Da ist der junge Mann mit der nicht immer ganz lupenreinen aber verführerisch weichen Tenorstimme nicht mehr zu halten. Paminen will gerettet sein. Denn:

    Bei Männern, welche Liebe fühlen, fehlt auch ein gutes Herze nicht.

    Alexandra Reinprechts phänomenale Pamina mit schwarzem Achselshirt und Camouflagehose hat außer obligater Triebmitfühlpflicht bei Konwitschny aber auch noch eine eigene Mission: Anders als ihre verzärtelte, abgehalfterte Mutter hat sie die nötige Power, um den despotischen Gutmenschenguru Sarastro von der Showbühne zu stürzen. Die Tage des eindimensionale koreanischen Gralspriesters Attila Jun, der beim großen Showauftritt vor gold flirrendem Glitzervorhang eine Simultandolmetscherin braucht, sind gezählt. Entsetzt schreit der Chor der Sarastrosekte auf, als Pamina am Ende als einzige den Talar zurückweist – und reißt sich dann selbst das weiße Priestergewand vom Leib. Triumph der Jugend und der Freiheit. Mozart hat das so komponiert. Konwitschny hat es mit den sich immer wieder selbst befragenden Mitteln des Theaters ins Heute der postmodernen Inszenierungsgesellschaft übersetzt. Weswegen die heftigen Buhs für den Regisseur am Schluss auch Fehl am Platz gewesen sind.