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Obamas Abschied vom Mond

Anders als seinen Vorgänger seit Kennedy liegt dem US-Präsidenten Barack Obama die bemannte Raumfahrt nur wenig am Herzen. Unter ihm wird es keinen Nachfolger für die Space Shuttles geben, die NASA soll sich auf Technologieentwicklung und Grundlagenforschung beschränken.

Von Guido Meyer | 17.02.2010
    Ein Jahr lang hatte sich Barack Obama seit seinem Amtsantritt im Januar 2009 Zeit gelassen. Es wurden Kommissionen gebildet, es wurde der Chef der Raumfahrtbehörde NASA ausgetauscht, es wurde unter Hochdruck an einem Nachfolgeprojekt für die Space Shuttles gearbeitet - doch dann kam die überraschende Wende: Im September dieses Jahres wird Amerika die Ära der bemannten Raumfahrt auf unbestimmte Zeit beenden. US-Präsident Obama will die Raumfähren ausmustern und keinen Nachfolger bauen lassen.

    "It's one small step for a man, but one giant leap for mankind."

    Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit. Die Bedeutung der Raumfahrt für die Menschheitsgeschichte lässt sich in einer Frage zusammenfassen: Was wird in hundert Jahren als das entscheidendste Ereignis des 20. Jahrhunderts in den Geschichtsbüchern auftauchen? Es wird kein Krieg sein und keine Wirtschaftskrise, kein Fußball-Endspiel und kein Nobelpreis. Es wird die Tatsache sein, dass im Jahre 1969 die Menschen erstmals ihren Heimatplaneten verließen und ihren Fuß auf einen anderen Himmelskörper setzten: den Mond. Ein Schritt, der der Raumfahrt von der Politik verordnet wurde - in diesem Fall vom damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy, 1961:

    "This nation should commit itself to achieving the goal before this decade is out of landing a man to the moon and returning him safely to the earth."

    Ein Vierteljahrhundert später. Der Mond ist gewissermaßen abgehakt, die Amerikaner haben im Wettlauf mit der UdSSR ihre Überlegenheit in der Raumfahrt demonstriert. Und die US-Raumfahrtbehörde NASA braucht ein neues Ziel. Wieder ist es die Politik, die die Richtung vorgibt. In seiner "Rede zur Lage der Nation" vor beiden Häusern des Kongresses beauftragt US-Präsident Ronald Reagan 1984 die NASA, binnen zehn Jahren eine ständig bemannte Raumstation in der Erdumlaufbahn zu errichten:

    "We can reach for greatness again. We can follow our dreams to distant stars, living and working in space for peaceful economic and scientific gain. Tonight I am directing NASA to develop a permanently manned space station, and to do it within a decade."

    In den zehn Jahren danach jedoch wurde ein Modell nach dem anderen verworfen; aus dem ursprünglichen Prestigeprojekt Freedom wurde die Sparversion Alpha, aus Alpha nach Hereinnahme der Russen die International Space Station (ISS). Denn in den 90er-Jahren hatte Bill Clinton Russland eingeladen, das Projekt Raumstation gemeinsam anzugehen. Der Kalte Krieg war zu Ende, aus den bisherigen Rivalen der Raumfahrt sollten Partner werden.

    "This is a promising moment. Instead of building weapons in space, russian scientists will help us to build the International Space Station."

    Vor sechs Jahren wollte George W. Bush an seine Vorgänger anknüpfen und der NASA nach dem Aufbau der Internationalen Raumstation ebenfalls neue Visionen geben: zurück zum Mond und voraus zum Mars:

    "Unser Ziel ist die Rückkehr zum Mond als Startplatz für Missionen, die weiter in den Weltraum vordringen. Mit dem Crew Exploration Vehicle können dann ab 2015 Menschen dorthin fliegen und vor Ort dauerhaft leben und arbeiten. Mit diesen Erfahrungen und mit diesem Wissen werden wir dann soweit sein, den nächsten Schritt bei der Erforschung des Weltalls anzugehen: bemannte Missionen zum Mars und zu Welten jenseits davon."

    Und nun, Barack Obama, 2010. Er will nichts von alledem. Es bleibt dabei: Die Raumfähren werden im September letztmals abheben. Und die Entwicklung eines Crew Exploration Vehicles als Nachfolgeprogramm für die Space Shuttles wird mit sofortiger Wirkung eingestellt. Dieses Vehikel hätte auf der Spitze einer neuen Rakete ins All fliegen sollen. Constellation war der Name dieses gesamten Projektes, das in bemannten Flügen zu Mond und Mars gipfeln sollte. Doch dem derzeitigen US-Präsidenten liegt die bemannte Raumfahrt - trotz anderslautender Äußerungen - nur wenig am Herzen. Er hat in seinem ersten Amtsjahr kein einziges Mal das Johnson Space Center der NASA in Houston besucht. Bei seinen Vorgängern hatte das noch Tradition. Auch äußerte er sich Anfang Februar nicht selbst zum neuen Kurs der NASA, sondern überließ es seinem Haushaltschef, die entsprechenden Budgetstreichungen vorzustellen, aus denen sich das Ende der bemannten amerikanischen Raumfahrt indirekt ablesen lässt. Peter Orszag, der Budget-Direktor von Barack Obama und somit Haushaltschef:

    "Constellation hätte das wiederholt, was wir schon einmal gemacht haben, nämlich Menschen zum Mond zu schicken. Dies wollten wir nicht wiederholen, vor allem nicht mit einem Programm, das seinem Zeitplan hinterherhinkt und sein Budget bereits überschritten hat."

    Vor wenigen Monaten erst hatte die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA einen Prototypen ihrer Ares-I-Rakete getestet, die in fünf bis sechs Jahren die Space Shuttles ablösen sollte. An ihrer Spitze hätte die Ares I die neue Crew-Kapsel ins All geschossen - zunächst in eine Erdumlaufbahn, später zum Mond. Auch eine schubstärkere, unbemannte Ares V als Lastentransporter und eine Mondlandefähre standen auf der To-do-Liste der NASA. Alles Projekte, die vom heutigen US-Präsidenten Obama noch für sinnvoll erachtet wurden, als dieser noch Präsidentschaftskandidat war, die Werbetrommel für sich rührte und um Wählerstimmen warb. Wie 2008, beim Wahlkampf in Florida.

    "Wir dürfen unseren Führungsanspruch in der Raumfahrt nicht aufgeben. Deswegen werde ich die Lücke zwischen dem Ausmustern der Raumfähren und dem Jungfernflug des Nachfolgers schließen, dessen Entwicklung beschleunigen und sicherstellen, dass niemand in Florida seinen Arbeitsplatz verliert. Darüber hinaus brauchen wir eine neue Vision für den nächsten Schritt der Erforschung des Weltraums."

    Anderthalb Jahre später nun setzt Obama das genaue Gegenteil um: Es wird keinen Nachfolger für die Space Shuttles geben. Zwar wird der Etat der NASA in den kommenden fünf Jahren um jeweils eine runde Milliarde aufgestockt. Diese Gelder sollen jedoch in Technologieentwicklung und Grundlagenforschung fließen. Von neuen Raumschiffen ist vorerst nicht mehr die Rede. Damit stehen rund 7000 Arbeitsplätze allein am Kennedy Space Center auf dem Spiel, von wo aus die NASA mangels Hardware künftig nicht mehr starten wird. Hinzu kommen die anderen NASA-Standorte, die über die ganzen USA verstreut sind, in Texas, Alabama und Kalifornien. Sofern keine massiven Entlassungen und Einsparungen vorgesehen sind, müssen die hoch qualifizierten Spezialisten in Cape Canaveral ab September Däumchen drehen - kein Space-Shuttle-Programm, kein Nachfolgeprogramm. Selbst demokratische Politiker warnen bereits, dass diese Entscheidung Obama die Wiederwahl kosten könnte, gerade in Staaten mit vielen Wechselwählern wie Florida.

    "Ein Programm abzubrechen, ohne gleichzeitig eine Alternative anzubieten, die erprobt und verlässlich ist, ist unklug und alles andere als kosteneffektiv. Dennoch ist dies genau das, was der Präsident mit seinem Haushaltsentwurf für 2011 vorlegt. Wir sind dabei, uns von der bemannten Raumfahrt zu verabschieden, und das möglicherweise für lange Zeit."

    Pete Olson, republikanischer Abgeordneter aus Texas, Mitglied des US-Repräsentantenhauses und als solches im Unterkomitee für Weltraum und Raumfahrt. Nur eine kritische Stimme von vielen, die Barack Obama derzeit entgegenhallen. Selbst in Obamas eigener Partei, den Demokraten, hat sich bislang noch niemand gerührt, der den Plan des Präsidenten, das NASA-Budget für 2011 und den damit verbundenen Kurswechsel in der Raumfahrt unterstützen würde. Ein Beispiel: Senator Bill Nelson aus Florida, der 1986 selbst mit einem Space Shuttle ins All geflogen war:

    "Wir stehen derzeit mit einer ganzen Palette schlechter Alternativen da, weil die NASA in den letzten Jahrzehnten zu wenig Geld bekommen hat, um beizeiten einen Nachfolger für die Space Shuttles zu entwickeln. Ich hoffe darauf, dass wir zwischen Weißem Haus und Kongress einen Kompromiss ausarbeiten können, der es uns erlaubt, so schnell wie möglich wieder amerikanische Astronauten mit amerikanischen Raketen ins All zu schießen."

    In den USA hat der Kongress das Haushaltsrecht; das Weiße Haus kann das Budget nur vorschlagen. Da die Opposition gegen die Pläne des Präsidenten quer durch beide Parteien geht, schöpfen die Befürworter des Constellation-Programms noch Hoffnung, wenigstens einen Teil ihrer hochfliegenden Pläne umsetzen zu können. Ralph Hall, ebenfalls republikanischer Abgeordneter aus Texas im Repräsentantenhaus, ebenfalls Mitglied im Unterkomitee für Weltraum und Raumfahrt.

    "Es ist naiv anzunehmen, dass ein neuer Ansatz uns irgendwie ein sichereres und billigeres Gefährt bescheren könnte, das sich außerdem schneller umsetzen ließe als das bisherige. Die Ares-Rakete und die neue Mannschaftskapsel sind als sehr sicheres, robustes System konzipiert worden. Der amerikanische Steuerzahler hat bereits neun Milliarden Dollar und die NASA fünf Jahre investiert, um sicherzustellen, dass es sich bei Constellation um ein flexibles, finanzierbares und sicheres Konzept handelt. Dies alles beiseite zu werfen und die Zukunft des bemannten amerikanischen Raumfahrtprogramms auf ein noch unbekanntes und bislang nicht getestetes System zu setzen, ist alarmierend."

    Zu den neun Milliarden Dollar, die die NASA seit 2004 bereits in das Constellation-Projekt gesteckt hat, kommen weitere zweieinhalb Milliarden, die die Raumfahrtbehörde nun an Konventionalstrafe an jene Firmen zahlen muss, mit denen sie bereits Verträge zum Bau von Flughardware eingegangen ist. Doch nicht alle Abgeordneten treiben solche finanziellen Bedenken um. Bei einigen schlägt schlicht die Sorge um den eigenen Wahlkreis durch. Gerade Senatoren und Repräsentanten aus Texas und Florida sorgen sich um die Arbeitsplätze - und damit um Wählerstimmen - am Kennedy Space Center in Florida und am Johnson Space Center in Houston. Im November stehen Wahlen zum Kongress an. Da macht es sich gut, sich als entschiedener Befürworter der bemannten Raumfahrt und damit als Kämpfer für den Erhalt von Arbeitsplätzen zu profilieren. Doch auch unabhängige Stimmen kritisieren die Vorgaben aus dem Weißen Haus, wie Vize-Admiral Joseph Dyer, der Vorsitzende der ASAP-Kommission, die die NASA in Fragen der Luft- und Raumfahrtsicherheit berät:

    "Wenn es darum geht, die Lücke zwischen dem Ausmustern der Shuttle-Flotte und der Inbetriebnahme eines Nachfolgers zu schließen, bietet die bislang geplante Ares I die sicherste, schnellste und wahrscheinlich auch kostengünstigste Möglichkeit. Wenn die Nation jedoch willens ist, die Lücke noch größer werden zu lassen, ein höheres Risiko und höhere Kosten zu akzeptieren, gibt es auch noch andere Möglichkeiten."

    In fünf Jahren sollte die Ares I ihren Jungfernflug absolvieren. An ihrer Spitze hätte sie eine Kapsel mit vier Astronauten zur Raumstation schießen sollen. Statt einer NASA-eigenen Rakete, wie es die Ares I gewesen wäre und wie es die Shuttles sind, setzt Barack Obama künftig auf den freien Markt. Private Unternehmen sollen Raketen entwickeln, in deren Kapseln die NASA dann als zahlender Kunde Sitzplätze mieten kann. Das löst Begeisterung in der amerikanischen Raumfahrtindustrie aus: Bretton Alexander, der Präsident der Commercial Spaceflight Federation:

    "Dieser Rollenwechsel für die NASA war längst überfällig. Es ist ein Paradigmenwechsel weg von der Vorstellung, dass es nur staatliche Behörden sein dürfen, die bemannte Raumfahrt veranstalten. Wir lassen den Staat nicht unsere Gesundheitsvorsorge regeln, wir lassen Regierungen keine Fluggesellschaften betreiben - warum also sollte der Staat Menschen ins All schicken?"

    Fünf Firmen haben bereits ihren Hut in den Ring geworfen und entwickeln schon Raketen und Kapseln, mit denen sie in wenigen Jahren Geld verdienen wollen. Die NASA wird in die Rolle des Kunden schlüpfen. Und sie wird künftig keine andere Wahl haben, als bei einem oder mehreren dieser Unternehmen Plätze zu buchen, wenn sie weiterhin ihre Astronauten zur Internationalen Raumstation schicken will. Charles Bolden, der im letzten Jahr von Barack Obama berufene neue NASA-Administrator:

    "Es gibt ein Missverständnis darüber, dass wir angeblich das Leben unserer Astronauten in die Hände privater Anbieter legen, die ihre Zuverlässigkeit erst noch unter Beweis stellen müssen. Das Gegenteil trifft zu. Die amerikanische Raumfahrtindustrie transportiert seit Jahrzehnten zuverlässig Milliarden Dollar teure Satelliten ins All, und diese Firmen können sich nun für ein bemanntes Programm bewerben."

    Mit zunächst 50 Millionen Dollar unterstützt die NASA Unternehmen, die diesen Ehrgeiz haben. Am weitesten vorangeschritten ist derzeit die Firma SpaceX, die bereits im nächsten Monat erstmals ihre Falcon9-Rakete starten will. In einer weiterentwickelten Version soll sie eine bemannte Dragon-Mannschaftskapsel mit Astronauten zur Internationalen Raumstation befördern.

    "Ich glaube zwar, dass sie es schaffen. Ich möchte einfach nur, dass sie es mir zeigen. Wohler wäre mir, wir hätten einen Plan B, sollten die kommerziellen Raketen nicht funktionieren. Andernfalls säßen wir dann hier unten auf der Erde fest. Oder wir wären auf unabsehbare Zeit, bis ins nächste Jahrzehnt hinein, auf die Russen angewiesen, um zu unserer Raumstation zu gelangen."

    Zwar ist es nicht die Raumstation der Amerikaner, sondern eine internationale Raumstation. Dennoch dürfte Senator Bill Nelson vielen Amerikanern aus dem Herzen sprechen. Die USA waren schon immer das Land der Pioniere, die zunächst den Kontinent von Ost nach West und später den Weltraum, von unten nach oben, erobert haben. Es wird den amerikanischen Stolz massiv treffen, wenn künftig Russland und China weiter ihre Kosmonauten und Taikonauten ins All schicken, womöglich bald Indien und gar der Iran folgen - und die Vereinigten Staaten dazu nicht mehr in der Lage sind.

    Über weite Strecken der bemannten Raumfahrt der letzten fünfzig Jahre hatten die Amerikaner die Nase vorn im Wettlauf mit der Sowjetunion - ein Rennen, das in den amerikanischen Mondlandungen und der Entwicklung der Space Shuttles gipfelte. Doch wenn nach der Entscheidung Barack Obamas nun andere Nationen an den USA vorbeiziehen, könnte sich ein Déjà-vu-Erlebnis einstellen: das des Sputnik-Schocks von 1957, des ersten Starts eines Satelliten ins All, erfolgreich demonstriert von der UdSSR. Der Amerikaner Ted Spitzmiller ist Weltraumhistoriker und Autor mehrerer Bücher über die Geschichte der Raumfahrt.

    "Am Anfang herrschte Unsicherheit. Viele Amerikaner wussten gar nicht, was ein Satellit ist und welche Möglichkeiten sich mit dieser Technik eröffnen. Als das Land jedoch begriffen hatte, dass es in die Analen der Weltraumfahrt nunmehr als Zweiter eingehen wird, war das Entsetzen groß. Die USA hatten sich selbst als den großen technologischen Führer betrachtet. Wir hatten mit Geringschätzung auf die Sowjetunion hinab geschaut, weil sie in unseren Augen industriell und technologisch rückständig war. Dies war ein Schock für Amerika."

    Damals hatten die Amerikaner erstmals die Überlegenheit eines anderen Systems im All anerkennen müssen. Dies dürfte sich in den kommenden Jahren wiederholen.