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Obdachlose in Hamburg
Hilfe vom "Kältebus"

Wenn die Temperaturen fallen, kann es für Menschen ohne Unterkunft lebensbedrohlich werden. In Hamburg sind in diesem Winter bisher schon vier Obdachlose erfroren. Die sozialen Dienste sind alarmiert. Mit einem neuen Projekt wollen sie weitere Todesfälle verhindern.

Von Axel Schröder | 17.01.2019
    Ein Schlafsack und eine Jacke liegen vor einer Wand und einem Rolladen mit Graffitis.
    Etwa 2.000 Menschen leben in Hamburg derzeit auf der Straße - so die Schätzungen (picture alliance / Arco Images)
    Um kurz nach sieben startet der Hamburger "Kältebus". Vor der "Alimaus", einer Suppenküche für Obdachlose ganz in der Nähe der Reeperbahn, ist es schon dunkel. Im kalten Nieselregen verstauen Ronald Kelm, Johannes Behrens und Nina Cujic die Thermoskannen mit heißem Tee und Kaffee in ihrem Kleinbus.
    "Motor läuft, 19 Uhr ist schon durch. Also fahren wir los. Das Handy ist jetzt eingeschaltet, das Telefon ist scharf, jeder kann jetzt anrufen. Und es kann eben sein, dass jetzt jederzeit hier unsere Reise unterbrochen wird. Das haben wir ja beim letzten Mal gehabt, zwei, drei Mal hintereinander, dass dann irgendjemand anruft und irgendjemand in Not sieht."
    Ronald Kelm, eine graue Strickmütze auf dem Kopf, ist Krankenpfleger in Hamburg. Nebenher ist er schon seit Jahren zusammen mit Ärzten des so genannten Gesundheitsmobils auf Hamburgs Straßen unterwegs. Und seit einer Woche klappert er im "Kältebus" die Orte ab, an denen sich Obdachlose aufhalten.
    Vier Tote in vier Wochen
    "Wir hatten vier Tote innerhalb von vier Wochen. Das war ein großes Problem. Und das hat natürlich viele Leute auf den Plan gerufen, die gesagt haben: 'Wieso ist in kurzer Zeit so viel passiert?' Bei mir in der Nähe, beim Niendorfer Markt, ist auch eine Frau erfroren, die ich kannte, die ich länger schon kannte. Und es gab immer die Idee vom 'Kältebus', die gibt es schon seit vielen Jahren - in Berlin sind mittlerweile drei 'Kältebusse' unterwegs, jede große Stadt hat einen - nur Hamburg hatte keinen."
    Also trommelte die Leiterin der "Alimaus" die Freiwilligen der Hamburger Obdachlosenhilfe zusammen, ein Autohändler stellte für drei Monate zum Sonderpreis den neunsitzigen Kleinbus zur Verfügung. Schon nach fünf Minuten Fahrt klingelt das Handy. Die Anruferin will zwar keinen Obdachlosen in Not melden, aber eine Spende loswerden: 25 Brötchen. Übergabe an der U-Bahnstation Baumwall. Vorn lenkt Johannes Behrens, hauptberuflich Computerhändler, den Wagen durch den abendlichen Verkehr. Wie oft im "Kältebus" das Handy klingelt, sei ganz unterschiedlich, erzählt Ronald Kelm auf der Rückbank:
    "Das hängt immer von den Tagen ab. Wir haben manchmal ganz viele Anrufer gehabt. Die ersten zwei Tage gab es auch Anrufer, die uns alles Gute gewünscht haben. Und dann gab es eben auch Anrufer, die sich Sorgen gemacht haben um Leute, die irgendwo liegen - in Bahnhöfen, in Parks oder Vorgärten oder Abbruchhäusern. Wir finden häufig welche unter Brücken oder in Tunneln - und einfach Angst hatten, dass es den Leuten nicht gut geht und uns gesagt haben, die würden sich freuen, wenn wir mal vorbeifahren und da mal nach dem Rechten gucken."
    Transport zu Stützpunkten des offiziellen Winternotprogramms
    Am Baumwall nimmt das "Kältebus"-Trio die Brötchen in Empfang, bedankt sich bei der Spenderin, fährt gleich weiter zum Hauptbahnhof, zur Bahnhofsmission. Vor dem Container der Bahnhofsmission parkt der "Mitternachtsbus", auch eine Anlaufstelle für hungrige, durchgefrorene Obdachlose. Die Helfer kommen schnell ins Gespräch mit ihren Ehrenamtlichen vom "Kältebus". Die einen sorgen für's Essen, die anderen für den Transport in einen der beiden Stützpunkte des offiziellen Hamburger Winternotprogramms.
    "Gebt Ihr auch was aus? Essen?" - "Nein. Das wollen wir gar nicht. Dafür seid Ihr da. Wir haben nur Schlafsäcke an Bord. Wir haben nur was Heißes zum Trinken. Für jemanden, der durchgefroren ist. Isomatten haben wir auch. Und eine warme Jacke haben wir auch. Aber wir wollen nicht jetzt anfangen, hier abends eine Verteilung anzufangen."
    Aus dem Dunkeln taucht Rico auf. Ein junger Mann, Mitte zwanzig, dunkler Vollbart, Strickmütze. In der Bahnhofsmission haben sie Rico vom Winternotprogramm der Stadt erzählt. Dort will er hin. "Willst Du ins Winternotprogramm? Und willst Du bei uns mitfahren?" - "Gerne." - "Was können wir Dir anbieten? Friesenstraße oder Kollaustraße?" - "Kollaustraße vielleicht?" - "Ja, wir können Dir Kollaustraße anbieten. OK. Wir machen eine Fahrt in die Kollaustraße. Alles klar, denn steig mal ein."
    "Die Freiheit ist ganz gut. Aber die Kälte..."
    Rico schnallt sich an. Die Augen müde, Blick geradeaus. Letzte Nacht, erzählt er, hat er bei einem Kumpel schlafen können. Für heute Nacht fehlt ihm noch ein trockener, warmer Platz.
    "Die Freiheit ist ganz gut. Aber die Kälte… Ab und zu schwierig. Wie im Traum. Ich verlaufe mich dauernd. Ich schaffe das nicht immer zur Friesenstraße. Ich habe erstmal kein Bahnticket. Mit Geld ist es ziemlich knapp. Verlaufe mich andauernd. Ich fühle mich hypnotisiert irgendwie oder träumerisch. Ich schlafe irgendwie. Kälteschock."
    Zehn Minuten später, am Gittertor der Containerburg an der Kollaustraße. Das Sicherheitspersonal versperrt den Weg. Einfach reingehen darf Rico nicht. Roland Kelm verhandelt, erklärt, was es mit dem "Kältebus" auf sich hat. Ja, der ist bekannt, Kopfnicken, alles kein Problem. Rico darf das Gittertor passieren, bekommt vorher aber noch einen dicken neuen Schlafsack aus dem Kofferraum. Für die nächste Nacht im Freien, für den Fall, dass das Team vom "Kältebus" ihn unter den Brücken, in den Tunneln oder Hauseingängen der Stadt nicht ausfindig machen kann.