Jörg Biesler: Der nächste Dienstag wäre eigentlich der Termin gewesen, an dem die Ergebnisse der PISA-Studie 2006 vorgestellt werden sollten. Nun sickerten schon vorgestern Abend erste Ergebnisse durch. Deutschland hat demnach seine Platzierung im internationalen Vergleich etwas verbessert, und zwar von Platz 18 auf Platz 13. Bildungspolitiker freuten sich und sahen ihre Reformanstrengungen bestätigt, der Koordinator der PISA-Studie, Andreas Schleicher, aber sieht das etwas anders. Guten Tag, Herr Schleicher!
Andreas Schleicher: Guten Tag!
Biesler: Wie sehen Sie es?
Schleicher: Ich will die Ergebnisse Deutschlands hier überhaupt nicht bewerten. Tatsache ist nur, dass man aus dem relativen Ranking der OECD-Staaten einfach keine Rückschlüsse auf die Verbesserung der Bildungsleistung ziehen kann. Das ergibt sich aus der Konzeption der PISA-Studie und ist den Mitgliedsstaaten eigentlich auch seit Langem bekannt.
Biesler: Also man kann aus den Studien von 2003 und 2006 keinen Verlauf entwickeln, dass Schüler besser geworden sind oder schlechter geworden sind innerhalb dieser drei Jahre?
Schleicher: Das Design der PISA-Studie lässt Vergleiche im Bereich Lesekompetenz seit 2000 zu, Vergleiche im Bereich der mathematischen Leistungen seit 2003, aber für die naturwissenschaftlichen Leistungen bietet der 2006er-Vergleich die Grundlage für zukünftige Vergleiche. So ist das Ganze konzipiert. Man kann in eingeschränkten Teilen der naturwissenschaftlichen Leistungen auch Trennvergleiche durchführen, das haben wir auch gemacht, da müssen Sie bis nächsten Dienstag warten. Und ich würde all die, die jetzt vorschnelle Rückschlüsse ziehen, einfach mal auffordern, sich das genau durchzulesen. Da steht am nächsten Dienstag ganz genau drin, was sich wo wie verändert hat.
Biesler: Ihre Kritik hatten Sie vorher schon mal geäußert, dass man sozusagen nicht 2003 und 2006 jetzt einfach mit den Plätzen vergleichen kann und sagen kann, die deutschen Schüler sind besser geworden, so wie das die Bildungspolitiker gemacht haben, allen voran der Präsident der Kultusministerkonferenz, Herr Zöllner, der gesagt hat, die Reformanstrengungen würden nun greifen. Weil Sie das gesagt haben, haben nun die CDU-Kultusminister Sie gestern konzertiert zum Rücktritt aufgefordert. Es sei ihnen recht, heißt es da, wenn deutsche Schüler besser werden. Das heißt eigentlich doch, dass Sie die Studie ideologisch veranstalten. Wie gehen Sie mit so einem Vorwurf um?
Schleicher: Also noch einmal: Ich habe die Ergebnisse Deutschlands in keiner Weise bewertet. Ich habe auch nicht dazu Stellung genommen, ob sich die Leistungen jetzt verbessert oder verschlechtert haben. Das werden wir alles am nächsten Dienstag machen. Zu der Position: Im Gegenteil, ich bin froh, dass die OECD mit der PISA-Studie einen wirklich überfälligen Reformprozess in Deutschland angestoßen hat, der sich langfristig auch sicher in besseren Leistungsergebnissen niederschlagen wird. Ich bin da fest überzeugt, da ist viel in Bewegung gekommen. Aber noch einmal: Wir müssen eine Studie wissenschaftlich seriös interpretieren, und da kann man keine vorschnellen Rückschlüsse aus einem Ranking ziehen. So sieht die OECD das, und das ist das Einzige, was unsere Position auch zu dieser vorschnellen Interpretation ist.
Biesler: Heute Morgen kam dann die Nachricht aus Niedersachsen, der dortige Kultusminister Bernd Busemann hat erklärt, er will langfristig aus der PISA-Studie aussteigen, und zwar wörtlich heißt es in der Meldung, er habe jetzt "genug von der Statisteritis". Ist die PISA-Studie "Statisteritis"?
Schleicher: Also noch einmal, ich glaube, die PISA-Studie ist unbestritten der Anstoß der Reform in Deutschland gewesen, hat viel in Bewegung gebracht. Sie bietet die Möglichkeit, die Reformanstrengungen systematisch zu verfolgen. Sie zeigt uns einfach, wo wir erfolgreich sind und wo nicht. Und das muss man nüchtern, denke ich, auch so sehen. Wer nicht weiß, wo er steht, der kann auch nichts verbessern. Wir sind übrigens da, wo wir schon 1995 gewesen sind, wissen Sie, das war, glaube ich, damals Baden-Württemberg, die haben damals internationale Leistungsstudien noch boykottiert. Das kommt immer mal wieder so auf. Aber ich glaube, die Bildungspolitik, Bildungspraxis in der Zukunft, die muss sich zunehmend nicht daran messen, was sie proklamiert, sondern das, was sie erreicht. Und das kann man eben nur durch solche Studien systematisch bewerten.
Biesler: Bernd Busemann, der Kultusminister aus Niedersachsen, sagt, die Länder hätten jetzt die richtigen Schlüsse aus den ersten PISA-Studien gezogen und die Fortschritte, die mittlerweile erzielt worden seien, seien schon größer, als die Öffentlichkeit meine und als PISA auch messen kann. Können Sie die Fortschritte messen?
Schleicher: Selbstverständlich. Genau das ist das Ziel der PISA-Studie, dass wir bewerten, wo Reformanstrengungen Wirkung zeigen und wo nicht. Und wenn man das nicht bewertet, wenn man das nicht systematisch misst, dann wird man das auch nie wissen. Und dann werden Reformanstrengungen oft ins Leere laufen. Dann wissen wir nicht, was wir richtig machen, dann wissen wir nicht, was wir falsch machen, und das ist im Grunde das große Problem der deutschen Bildungspolitik gewesen in der Vergangenheit. Ich glaube, da hat PISA wirklich viel bewegt. Wir sind heute ergebnisorientiert. Wir glauben nicht mehr einfach an das, was wir tun, sondern wir schauen auf das, was wir erreichen. Und ich glaube, das ist auch dieser wesentliche Paradigmenwechsel, den man systematisch weiterverfolgen sollte.
Biesler: Nun stehen die Länder ja tatsächlich international in einem Bildungswettbewerb, das kann man sicher sagen. Aber ist es vielleicht eine nicht ganz so gute Methode, die Länder tatsächlich in so eine Liste aufzunehmen und zu sagen, der ist jetzt an der ersten Stelle, da waren die Schüler am besten, der ist an der zweiten Stelle und der ist eben an der 13. Stelle, wie jetzt Deutschland, und der andere vielleicht an der 40. Stelle. Macht ein solches Ranking, was mit der PISA-Studie ja auch verbunden ist, Sinn?
Schleicher: Ehrlich gesagt, ich halte solche Rankings für von untergeordneter Bedeutung. Im OECD-Bericht, der 700 Seiten umfasst, widmen wir derartigen Rankings zehn oder zwölf Seiten. Das ist nicht das Entscheidende in der PISA-Studie. Das Entscheidende ist, dass PISA uns zeigt, wo Bildungsanstrengungen funktionieren, wo es gelingt, gute Bildungsleistungen und ausgewogene Verteilung von Bildungschancen zu erreichen, und dass es Handlungsfelder aufzeigt, wie man dahin kommt. Es öffnet uns die Augen, einfach mal nach außen zu schauen, anstatt immer auf das vertrauen, was wir immer gemacht haben.
Andreas Schleicher: Guten Tag!
Biesler: Wie sehen Sie es?
Schleicher: Ich will die Ergebnisse Deutschlands hier überhaupt nicht bewerten. Tatsache ist nur, dass man aus dem relativen Ranking der OECD-Staaten einfach keine Rückschlüsse auf die Verbesserung der Bildungsleistung ziehen kann. Das ergibt sich aus der Konzeption der PISA-Studie und ist den Mitgliedsstaaten eigentlich auch seit Langem bekannt.
Biesler: Also man kann aus den Studien von 2003 und 2006 keinen Verlauf entwickeln, dass Schüler besser geworden sind oder schlechter geworden sind innerhalb dieser drei Jahre?
Schleicher: Das Design der PISA-Studie lässt Vergleiche im Bereich Lesekompetenz seit 2000 zu, Vergleiche im Bereich der mathematischen Leistungen seit 2003, aber für die naturwissenschaftlichen Leistungen bietet der 2006er-Vergleich die Grundlage für zukünftige Vergleiche. So ist das Ganze konzipiert. Man kann in eingeschränkten Teilen der naturwissenschaftlichen Leistungen auch Trennvergleiche durchführen, das haben wir auch gemacht, da müssen Sie bis nächsten Dienstag warten. Und ich würde all die, die jetzt vorschnelle Rückschlüsse ziehen, einfach mal auffordern, sich das genau durchzulesen. Da steht am nächsten Dienstag ganz genau drin, was sich wo wie verändert hat.
Biesler: Ihre Kritik hatten Sie vorher schon mal geäußert, dass man sozusagen nicht 2003 und 2006 jetzt einfach mit den Plätzen vergleichen kann und sagen kann, die deutschen Schüler sind besser geworden, so wie das die Bildungspolitiker gemacht haben, allen voran der Präsident der Kultusministerkonferenz, Herr Zöllner, der gesagt hat, die Reformanstrengungen würden nun greifen. Weil Sie das gesagt haben, haben nun die CDU-Kultusminister Sie gestern konzertiert zum Rücktritt aufgefordert. Es sei ihnen recht, heißt es da, wenn deutsche Schüler besser werden. Das heißt eigentlich doch, dass Sie die Studie ideologisch veranstalten. Wie gehen Sie mit so einem Vorwurf um?
Schleicher: Also noch einmal: Ich habe die Ergebnisse Deutschlands in keiner Weise bewertet. Ich habe auch nicht dazu Stellung genommen, ob sich die Leistungen jetzt verbessert oder verschlechtert haben. Das werden wir alles am nächsten Dienstag machen. Zu der Position: Im Gegenteil, ich bin froh, dass die OECD mit der PISA-Studie einen wirklich überfälligen Reformprozess in Deutschland angestoßen hat, der sich langfristig auch sicher in besseren Leistungsergebnissen niederschlagen wird. Ich bin da fest überzeugt, da ist viel in Bewegung gekommen. Aber noch einmal: Wir müssen eine Studie wissenschaftlich seriös interpretieren, und da kann man keine vorschnellen Rückschlüsse aus einem Ranking ziehen. So sieht die OECD das, und das ist das Einzige, was unsere Position auch zu dieser vorschnellen Interpretation ist.
Biesler: Heute Morgen kam dann die Nachricht aus Niedersachsen, der dortige Kultusminister Bernd Busemann hat erklärt, er will langfristig aus der PISA-Studie aussteigen, und zwar wörtlich heißt es in der Meldung, er habe jetzt "genug von der Statisteritis". Ist die PISA-Studie "Statisteritis"?
Schleicher: Also noch einmal, ich glaube, die PISA-Studie ist unbestritten der Anstoß der Reform in Deutschland gewesen, hat viel in Bewegung gebracht. Sie bietet die Möglichkeit, die Reformanstrengungen systematisch zu verfolgen. Sie zeigt uns einfach, wo wir erfolgreich sind und wo nicht. Und das muss man nüchtern, denke ich, auch so sehen. Wer nicht weiß, wo er steht, der kann auch nichts verbessern. Wir sind übrigens da, wo wir schon 1995 gewesen sind, wissen Sie, das war, glaube ich, damals Baden-Württemberg, die haben damals internationale Leistungsstudien noch boykottiert. Das kommt immer mal wieder so auf. Aber ich glaube, die Bildungspolitik, Bildungspraxis in der Zukunft, die muss sich zunehmend nicht daran messen, was sie proklamiert, sondern das, was sie erreicht. Und das kann man eben nur durch solche Studien systematisch bewerten.
Biesler: Bernd Busemann, der Kultusminister aus Niedersachsen, sagt, die Länder hätten jetzt die richtigen Schlüsse aus den ersten PISA-Studien gezogen und die Fortschritte, die mittlerweile erzielt worden seien, seien schon größer, als die Öffentlichkeit meine und als PISA auch messen kann. Können Sie die Fortschritte messen?
Schleicher: Selbstverständlich. Genau das ist das Ziel der PISA-Studie, dass wir bewerten, wo Reformanstrengungen Wirkung zeigen und wo nicht. Und wenn man das nicht bewertet, wenn man das nicht systematisch misst, dann wird man das auch nie wissen. Und dann werden Reformanstrengungen oft ins Leere laufen. Dann wissen wir nicht, was wir richtig machen, dann wissen wir nicht, was wir falsch machen, und das ist im Grunde das große Problem der deutschen Bildungspolitik gewesen in der Vergangenheit. Ich glaube, da hat PISA wirklich viel bewegt. Wir sind heute ergebnisorientiert. Wir glauben nicht mehr einfach an das, was wir tun, sondern wir schauen auf das, was wir erreichen. Und ich glaube, das ist auch dieser wesentliche Paradigmenwechsel, den man systematisch weiterverfolgen sollte.
Biesler: Nun stehen die Länder ja tatsächlich international in einem Bildungswettbewerb, das kann man sicher sagen. Aber ist es vielleicht eine nicht ganz so gute Methode, die Länder tatsächlich in so eine Liste aufzunehmen und zu sagen, der ist jetzt an der ersten Stelle, da waren die Schüler am besten, der ist an der zweiten Stelle und der ist eben an der 13. Stelle, wie jetzt Deutschland, und der andere vielleicht an der 40. Stelle. Macht ein solches Ranking, was mit der PISA-Studie ja auch verbunden ist, Sinn?
Schleicher: Ehrlich gesagt, ich halte solche Rankings für von untergeordneter Bedeutung. Im OECD-Bericht, der 700 Seiten umfasst, widmen wir derartigen Rankings zehn oder zwölf Seiten. Das ist nicht das Entscheidende in der PISA-Studie. Das Entscheidende ist, dass PISA uns zeigt, wo Bildungsanstrengungen funktionieren, wo es gelingt, gute Bildungsleistungen und ausgewogene Verteilung von Bildungschancen zu erreichen, und dass es Handlungsfelder aufzeigt, wie man dahin kommt. Es öffnet uns die Augen, einfach mal nach außen zu schauen, anstatt immer auf das vertrauen, was wir immer gemacht haben.