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"Öffentliche Angelegenheiten sind meine Angelegenheiten"

Einst galt er als Bürgerschreck, als Chef-Ideologe oder Argumentationsgangster. Heute ist er vor allem Schriftsteller: Essayist, Romancier, auch Hörspiel- und Bühnenautor. Sein Erkennungszeichen seit nunmehr über 40 Jahren ein wuscheliger Lockenkopf. Die Rede ist von Johano Strasser, dem Präsidenten des deutschen PEN-Zentrums. Zum 68. Geburtstag ist unlängst seine Autobiografie erschienen.

Moderation: Marcus Heumann |
    Der Titel klingt etwas verkitscht-hochtrabend, ist aber ironisch gemeint: "Als wir noch Götter waren im Mai". Das ist keine Anspielung auf Johano Strassers Geburtstag am "Tag der Arbeit", dem 1. Mai, sondern es ist ein Hinweis auf die heißen Mai-Revolten der 68er Generation. Die Selbstironie wird erst so richtig deutlich, wenn der Autor eines seiner Gedichte zitiert:

    "Als wir noch Götter waren im Mai
    Hatten wir einen Heidenspaß
    Wenn wir zuweilen die Geschichte
    Einfach rückwärts laufen ließen."

    "Als wir noch Götter waren im Mai" ist - um es gleich vorweg zu sagen - ein rundum lesenswertes Buch, das nicht nur sprachlich, sondern auch gedanklich überzeugt. Eine leichte Lektüre mit vielen klugen Anmerkungen und Denkanstößen. Es ist ein gelungener Rückblick auf ein bewegtes Leben in einer turbulenten Zeit - beginnend mit den Kinderjahren, die der gebürtige Holländer mit seiner weltoffenen, kosmopolitisch geprägten, aber materiell beengten Familie im niedersächsischen Nachkriegsdeutschland erlebt, dann der Ausbruch aus der Enge der zur Heimat gewordenen Provinz, auch aus der muffig-verstaubten Endphase der Adenauer-Ära - wie Strasser sie beschreibt:

    Mit ihrer Bigotterie, ihrem spießerhaften Wir-sind-wieder-wer, mit Kuppelparagraphen, "Aktion Saubere Leinwand" und Kommunistenhatz, mit der Strafandrohung für Homosexualität und Gotteslästerung.

    Es folgen ein Sprachenstudium im rheinland-pfälzischen Germersheim, Jahre als Leistungssportler und erste politische Konflikte. Dann Berufserfahrungen als Dolmetscher bei Ford in Köln. Danach beginnt Strasser - zeitgleich mit dem antiautoritären Aufbruch der 68er-Generation - mit dem Philosophie-Studium in Mainz. Der spätere Hochschullehrer für Politikwissenschaften an der FU Berlin, der nach kurzer Dauer seine Professur hinschmeißt, um als freier Schriftsteller zu arbeiten, ist ein typischer Vertreter der 68er Generation. Er ist mehr als nur Zeitzeuge, ein aktiver Mitstreiter der Außerparlamentarischen Opposition:

    Für die Mehrheit der Aufbegehrenden ging es um den Bruch mit überlebten Konventionen, den Abbau autoritärer Strukturen in der Gesellschaft und die Durchsetzung der Demokratie als Lebensform.

    Und sie hatten Erfolg. Strasser bilanziert ...

    " ... dass diese antiautoritäre Bewegung Ende der 60er Jahre ganz wesentlichen Anteil daran hat, dass aus Deutschland eine halbwegs normale westliche Demokratie geworden ist."

    Der Autor beschreibt aber auch "Fehlentwicklungen" und "dogmatische Verengungen" in jenen Jahren, kritisiert die damaligen "Sektierer" genauso wie die "Bewegungsromantiker". Gleichzeitig widerspricht er der heute weit verbreiteten Meinung,

    ... dass die Achtundsechziger insgesamt mehr oder weniger zwangsläufig zur Beute dogmatischer Heilslehren und eines simplen Freund-Feind-Denkens wurden.

    Im Gegenteil, die meisten waren reformorientierte Real-Demokraten - wie Strasser selbst:

    "Ich habe sehr früh gelernt, dass öffentliche Angelegenheiten meine Angelegenheiten sind, dass ich mich einmischen muss - und habe mich auch in alles eingemischt und hab dann natürlich auch gelernt, dass man das als Einzelkämpfer schlecht schafft, dass man andere um sich scharen muss und gemeinsam versuchen muss, etwas zu verändern."
    Im Sommer 1967 wird Strasser Mitglied der SPD, engagiert sich bei den gegen das Partei-Establishment rebellierenden Jungsozialisten. Er wird Vor- und Querdenker der Jusos, steigt auf zum Polit-Star und bekommt schnell das Buhmann-Image eines "Chefideologen" oder "Bürgerschrecks" verpasst, was er nicht ungern sieht:

    "Für mich persönlich war es gar nicht schlecht, dieses Image des Bürgerschrecks zu haben. Wenn einem ein schlechter Ruf vorausgeht, kann man nur einen guten Eindruck machen."

    Auch wenn sich das Bürgerschreck-Image mittlerweile verflüchtigt hat, die Lust am argumentativen Streit ist geblieben. Immer noch steht der eigenständige Kopf in einem kritischen Verhältnis zur Sozialdemokratie. Heute beklagt er vor allem neoliberale Tendenzen, wirft der SPD vor, in einer "Materialismusfalle" zu stecken:

    "Mein Plädoyer ist seit eh und je, die außerökonomischen Motive der Menschen ernster zu nehmen. Auch bei der Verteilungsfrage geht es nicht nur ums Materielle."

    Der linke Humanist tut sich schwer mit seiner Partei, hadert mit ihr. "Ach, SPD!", lautet ein Kapitel des Buches. Aber bei allem Frust und unzähligen Enttäuschungen: Johano Strasser sieht für sich keine Alternative:

    "Ich habe mit den Jahren gelernt, die SPD zu ertragen, nicht, mich mit allem abzufinden, was in ihrem Namen geschieht."

    Gerade die Kapitel über APO und SPD eröffnen auch sehr persönliche Einblicke in über vier Jahrzehnte gesellschaftspolitischen Engagements. Auch dort, wo Privates, fast Intimes geschildert wird oder Landschaften in feinsten poetischen Farben gezeichnet werden, auch da sind die "Erinnerungen" ein hoch politisches Buch, das deutlich macht:

    Es geht nicht ohne Politik. Politisches Engagement gehört zu einem vollständigen und erfüllten Leben.

    "Eine Demokratie kann nicht nur von Profi-Politikern leben, eine Demokratie braucht dringend auch Menschen, die sich politisch engagieren, ohne von der Politik zu leben. Den Menschen deutlich zu machen: Politik ist eure Sache! Ihr könnt nicht erwarten, dass die anderen da oben für euch eure Probleme lösen."

    Aber Politik ist nicht alles. Strasser verweigert sich als Berufspolitiker, intensiviert im hektischen Berlin der achtziger und neunziger Jahre seine schriftstellerischen Arbeiten. Es gibt wichtigeres für ihn: Familie und Freundschaft, Musik und Philosophie, Literatur und Sport, Lebensfreude. Auch davon ist viel die Rede. Der Autor erzählt facettenreich von Freundschaften - vor allem mit Günter Grass, beschreibt sehr persönliche Beziehungen, schildert augenzwinkernd-distanziert Begegnungen mit den Größen jener Jahre, mit Willy Brandt und Heinrich Böll, Uwe Johnson oder Siegfried Lenz. Und er reflektiert über Literatur und Politik, über Aufklärung und Religion, Tod und Liebe, über Globalisierung, Amerika, den Palästina-Konflikt und Europa. Johano Strasser - ein überzeugter Europäer, ein kosmopolitischer Mensch. Seit nunmehr zwanzig Jahren lebt er wieder in der Provinz - am Starnberger See. Politisch engagiert er sich immer noch, auch kosmopolitisch - als Präsident des deutschen PEN-Zentrums. Dort setzt er sich vor allem ein für verfolgte Intellektuelle in aller Welt:

    "Wenn Schriftsteller verfolgt werden - in Mexiko oder in Russland, oder in China, oder in Vietnam, oder irgendwo in Afrika - dann ist das unsere Sache. Wir müssen uns unbedingt darum kümmern. Und diese Art von Zuständigkeit für Menschenrechtsfragen überall auf der Welt, die liegt mir sozusagen im Blut."

    Politisches Engagement - in vielerlei Hinsicht - zieht sich wie ein roter Faden durch Strassers Autobiographie. Sie bietet nicht nur viel Stoff zum Erinnern, sondern ermuntert dazu, das Utopische mit dem Pragmatischen zu verbinden und sich einzumischen, den Kopf nicht in den Sand zu stecken.

    Gode Japs über Johano Strasser: Als wir noch Götter waren im Mai. Erinnerungen. Erschienen im Pendo Verlag München, das Buch ist 353 Seiten stark und kostet 19 Euro und 90 Cent.