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Öffentliche Expertenanhörung der Ethikkommission

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine Ethikkommission eingesetzt, die Vorschläge für einen breiten gesellschaftlichen Konsens beim Umbau der Energieversorgung vorlegen soll. Heute tagt sie zum zweiten Mal und ihre Sitzung wird live im Fernsehen übertragen - schon das setzt Maßstäbe in puncto Transparenz.

Von Philip Banse | 28.04.2011
    Georg Ehring: Philip Banse verfolgt für uns die Sitzung. Herr Banse, wie sieht ein ethisch verantwortbarer Atomausstieg aus?

    Philip Banse: Das ist natürlich die Königsfrage. Sie wurde noch nicht beantwortet. Diese erste öffentliche Anhörung von insgesamt 28 Experten dauert bis heute Abend um 20 Uhr und die Kommission hat ja insgesamt zwei Monate Zeit. Konsens ist: Die deutschen AKW werden abgeschaltet. Die Frage ist: wann und auf welche Weise. Der Vorsitzende der Ethikkommission Klaus Töpfer skizzierte die Fragen, die für einen ethischen Atomausstieg beantwortet werden müssen:

    "Wie schnell ist es machbar, ohne dass soziale Verwerfungen entstehen - etwa durch einen Anstieg der Energiepreise, der über das hinaus geht, was Menschen in diesem Land dafür bezahlen können? Wie können wir eine solche Energie verlassen, ohne dass wir Arbeitsplätze gefährden, ohne die zusätzlichen Belastungen für das Klima, für die Atmosphäre in Kauf zu nehmen?"

    Und wie verhindert man, dass nach einem Atomausstieg, mehr Strom importiert werden muss - der mit Kohle oder Atomkraft erzeugt wurde. Klimaschutz, das sei der zentrale Grund, warum es ethisch geboten sei, die deutschen AKW mindestens bis 2020 laufen zu lassen, sagte Johannes Teyssen, der Chef von EON. Nur so könne Deutschland seine Klimaschutzverpflichtungen einhalten. Der Münchner Risikoforscher Ulrich Beck wollte vom E.ON-Chef wissen, wie dieser abwäge zwischen dem Risiko eines GAU in Deutschland mit enormen Schäden wie etwa in Japan eher in Kauf zu nehmen sei und einem durch Deutschland vielleicht beschleunigten Klimawandel. Die Antwort des E.ON-Chefs:

    "Wenn wir eine Entscheidung treffen, einen fossileren Weg zu gehen und weltweit einen Schaden anrichten, den niemand mehr gut machen kann - ist das sicherer als der regionale Schaden?"

    Thyssen scheint also lieber das Risiko eines GAU in Kauf zu nehmen, als zu riskieren, durch weniger AKW und damit mehr Kohlestrom eventuell den Klimawandel zu beschleunigen. Ortwin Renn, Risikoforscher von der Uni Stuttgart fragte nach, wie ein Atomausstieg sich auf den Atommüll auswirke. E.ON-Chef Teyssen sagte, die Laufzeitverlängerung bringe 25 Prozent mehr hoch radioaktive Abfälle. Aber:

    "Ich glaube, das Thema löst sich blitzartig, wenn das letzte deutsche Kernkraftwerk abgeschaltet ist, weil dann nämlich alle feststellen: Das ist ja ein unguter Zustand, dass wir das jetzt ewig rum stehen lassen. Das ist dann nicht mehr der Stachel im Fleisch der Gegner, sondern das ist dann auf einmal ein Thema, wo wir unseren Kindern dann wirklich schulden, jetzt nicht endlose Zwischenlager an Standorten zu machen, sondern das Thema zu lösen. Und natürlich werden wir das lösen. Denn wir haben das mal begonnen und zwar in breiter Einigkeit des Volkes haben wir begonnen, also wir es gefälligst auch in breiter Einigkeit auch zu Ende bringen und lösen."

    Während das Risiko eines Atomunfalls auch Teyssen nicht bestreitet, ist sehr umstritten, ob ein schneller Atom-Ausstieg, den Klimawandel beschleunigt. Michael Feist etwa von den Stadtwerken Hannover argumentierte: Dezentrale Stromversorgung mit effizienten Gaskraftwerken ausbauen, Wohnungen besser dämmen und sparsamer mit Strom umgehen:

    "Dann können wir schneller aus der Kernkraft aussteigen, die Versorgungssicherheit sicher stellen und gleichzeitig den CO2-Absenkungspfad halten und das ganze ohne substanzielle Preiseffekte im Markt."

    Der Vertreter der viel Strom verbrauchenden Industrie, Heinz-Peter Schlüter von Trimet Aluminium, argumentierte: Nur mit möglichst lang laufenden Atomkraftwerken könnte Strom bezahlbar und die deutsche Industrie wettbewerbsfähig bleiben, sonst seien Arbeitsplätze in Gefahr. Strom sei nur so billig, weil Kernkraftwerke nicht privat versichert gegen die potenziellen Schäden eines GAU versichert werden könnten, sagte Risikoforscher Ulrich Beck und fragte E.ON-Chef Teyssen:

    "Wenn man eine private Versicherung hinzurechnen würde, würde dass eine vollständig andere Berechnungsgrundlage ergeben und so würden auch die wahren Kosten des Atomstroms auf den Tisch kommen. Wir können sie verantworten, dass die Kernenergie eine staatssozialistische Industrie ist, denn der Steuerzahler ist derjenige, der im Erstfall dafür einstehen muss."

    Teyssen entgegnete, er wohne mit seiner Familie in der Nähe eines AKW. Seine Branche tue alles für die Sicherheit der Atomkraftwerke.