Dienstag, 23. April 2024

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Öko-Fisch-Siegel MSC
"Besser werden, um Fußabdruck und Schäden zu minimieren"

Das Beste, was der Konsument machen könne, sei beim Fisch-Kauf auf das Umweltsiegel MSC zu achten, sagte der WWF-Experte Philipp Kanstinger im Dlf. Gleichwohl gebe es Verbesserungsbedarf bei zertifizierten Fischereien.

Philipp Kanstinger im Gespräch mit Stefan Römermann | 04.11.2019
Rostock, Hering (Brathering) mit MSC Siegel. Rostock Herring Fried herring with MSC Seal
Brathering in der Dose mit MSC-Siegel (imago stock&people)
Stefan Römermann: Wer im Supermarkt Fisch kauft, der stößt immer wieder auf ein kleines blaues Logo mit einem stilisierten Fisch. Das ist das Zeichen vom Marine Stewardship Council, kurz MSC, einer gemeinnützigen Organisation, die sich gegen die Überfischung der Weltmeere einsetzt und dafür ein Siegel und ein Zertifizierungsprogramm für nachhaltige Fischerei entwickelt hat. Doch das Siegel ist in Verruf gekommen. Unter anderem der World Wildlife Fund (WWF) wirft dem MSC Augenwischerei vor, oder, wie man neudeutsch in der Umweltschützerszene sagt, Greenwashing.
Darüber spreche ich jetzt mit dem WWF-Fischereiexperten Philipp Kanstinger. - Herr Kanstinger, ein Logo für nachhaltige Fischerei klingt doch eigentlich erst mal ganz sinnvoll. Inwiefern sorgt denn jetzt dieses kleine blaue Logo für Greenwashing?
Philipp Kanstinger: Eine Zertifizierung für Fischerei ist extrem wichtig, weil die meisten Konsumenten können zwischen nachhaltigem und nicht nachhaltigem Fisch gar nicht entscheiden, weil das Thema hoch komplex ist. Darum ist ein Siegel als schnelle Entscheidung sehr gut. Wir haben das MSC-Siegel, dieses blaue Logo mitbegründet vor vielen Jahren und stehen aber eigentlich immer noch dahinter. In Einzelfällen sieht man aber jetzt, dass das MSC-System nachgebessert werden muss und verbessert werden muss.
Römermann: Konkret geht es da ja um einen Verbund von Fischern aus mehreren Ländern. Wo ist da das Problem?
Kanstinger: Da ist das Problem: Es sind dänische, holländische und deutsche Fischer, die in der Nordsee operieren. Viele dieser einzelnen Fischereien sind bereits MSC-zertifiziert und machen auch einen sehr guten nachhaltigen Job. Das Problem, was wir jetzt haben, ist, dass all diese Fischereien - es sind knapp tausend Boote -, gleichzeitig zertifiziert sind. Wenn man sich diesen Gesamt-Umweltfußabdruck von dieser Fischerei, von diesen tausend Booten anguckt, dann muss man sagen, das ist zu viel. Die müssen besser werden, um ihren Fußabdruck, um ihre Schäden zu minimieren.
85 Prozent der Fischereien machen "die Meere kaputt"
Römermann: Aber wenn die sich alle an die Regeln halten, sollte das dann nicht ausreichen?
Kanstinger: Nein. Das Problem ist: Wenn man einzelne Fischereien, nur 20 Boote oder nur 100 Boote anguckt und die halten sich an die Regeln, dann machen diese 100 Boote keinen großen Schaden. Aber wenn man diese tausend Boote zusammen sieht, wenn man alles zusammenrechnet, dann machen sie einen Schaden. Da ist das MSC-System nicht gut genug, weil es gibt bis jetzt noch nicht so viele Fischereien mit tausend Booten, die zertifiziert sind.
Römermann: Das klingt aber auch so, als ob nachhaltige Fischerei eigentlich im großen Stil gar nicht machbar ist.
Kanstinger: Doch, es ist machbar. Aber es sind viele Auflagen und viele Einschnitte und eine große Weiterentwicklung der Fischerei. Man muss es auch so sehen: Ungefähr 15 Prozent des Weltmarktes der Fischereien sind MSC-zertifiziert. Das Problem sind nicht unbedingt diese 15 Prozent, sondern die 85 Prozent, die einfach auf einem viel schlechteren Niveau arbeiten und wirklich viel die Meere kaputt machen, weil das nicht gut gemanagt ist.
Römermann: Was müsste sich denn ändern, damit dieser Verbund mit den ungefähr tausend Booten tatsächlich das Siegel verdient, Ihrer Meinung nach?
Kanstinger: Da sind einige Sachen. Zum Beispiel müssten, was aber ein europäisches Problem ist, die Meeresschutzgebiete durchgesetzt werden. Viele Gebiete müssten für Fischerei geschlossen werden und für andere müssten sie zeitlich geschlossen werden oder bestimmte Fanggeräte dürften da nicht eingesetzt werden. Da gibt es aber noch nicht ausreichende Gesetze hier in Europa, obwohl das eine europäische Aufgabe ist, und der MSC hilft da auch nicht weiter oder er drückt da nicht in die richtige Richtung und sagt den Fischern, das ist ein Naturschutzgebiet, da dürft ihr eigentlich mit Boden zerstörenden Grundschleppnetzen nicht fangen.
Das andere ist auch eine staatliche Aufgabe eigentlich. Seit letztem Jahr dürfen die meisten Fischereien keine Rückwürfe mehr machen, toten Fisch, den sie nicht haben wollen, nicht mehr einfach über Bord werfen. Es gibt aber viele Hinweise, dass die Fischerei das weiterhin tut, und da hat MSC oder der Zertifizierer einfach nicht gut genug nachgehakt, dass es ausgeschlossen ist, dass die Fischer da gegen das Gesetz handeln.
Römermann: Da müssen der MSC und der Gesetzgeber noch nachbessern. Was können wir Verbraucher denn in der Zwischenzeit tun? Sollten wir das MSC-Siegel jetzt komplett meiden? Sollen wir auf bessere Siegel achten oder auf Fisch ganz verzichten?
Kanstinger: Nein. Ganz ehrlich: Das Beste, was der Konsument machen kann, ist, MSC kaufen, weil das ist das Beste, was es bis jetzt gibt. Wenn er sich aber noch weiter damit beschäftigen will, dann sollte er bei Greenpeace oder auch beim WWF nachschauen. Wir geben diese Fischratgeber heraus und da kann er nachschauen, welche Fische sind grün, welche sind gut, und davon dann MSC-zertifizierten Fisch kaufen. Der beste Fisch, den man essen kann, ist hier lokal gezüchteter Karpfen. Da kann man nichts falsch machen.
"'Essen Sie keinen Thunfisch' - könnte ich nicht unterstützen"
Römermann: Von welchen Fischsorten sollte man auf jeden Fall die Finger lassen? Wenn Sie da so zwei, drei nennen sollten, die vielleicht besonders wichtig und bedroht sind?
Kanstinger: Na ja, wenn auf der Verpackung draufsteht, mit Grundschleppnetzen gefangen, da sollte man sehr vorsichtig schon mal sein. Von Tiefseefischen wie Rotbarsch sollten auch die Finger weggelassen werden, und allgemeine Haiarten. Hai und Rochen sollte einfach nicht gegessen werden.
Römermann: Dann kann man sich halbwegs sicher sein, dass man nicht zu schlimm was für die Umwelt tut?
Kanstinger: Genau. Das Problem ist aber, dass Fisch einfach hoch komplex ist. Es gibt zum Beispiel "essen Sie keinen Thunfisch" - könnte ich nicht unterstützen. Da gibt es zehn oder 20 verschiedene Stocks und man muss wirklich Experte sein, um zu wissen, den richtigen Fisch rauszusuchen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.