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Öko-Treibstoff für Indiens Zukunft

Indien ist der fünftgrößte Energieverbraucher weltweit. Das rasante Wirtschaftswachstum zu befeuern, ohne immer mehr Kohle, Gas und Erdöl zu verbrennen, ist eine enorme Herausforderung. Die Regierung in Neu Delhi will deshalb auch die Nutzung erneuerbarer Energien vorantreiben. Zum Beispiel in Form von Öko-Kraftstoffen aus Biomasse. Pilotprojekte dazu laufen bereits und sollen auch arme Kleinbauern am Aufschwung teilhaben lassen.

Von Ralf Krauter |
    Suhas Wani ist ein kleiner Mann mit großen Plänen. Der Agrarexperte mit dem schwarzen Schnauzbart will der Landbevölkerung in den 600.000 Dörfern Indiens Wege aus der Armut aufzeigen. Seit über 20 Jahren arbeitet Suhas Wani für ICRISAT, das am Rand der Millionenstadt Hyderabad gelegene internationale Institut für Agrarforschung in den Tropen.

    "Wissenschaft für die Menschen, das ist unser Motto. Alles, was wir bei ICRISAT tun, soll die Lebensumstände der ländlichen Bevölkerung verbessern."

    Heute ist Suhas Wani auf dem Land unterwegs, bei einem seiner Vorzeigeprojekte, eineinhalb Autostunden von ICRISAT entfernt.

    Den letzten asphaltierten Weg hat er vor einer halben Stunde hinter sich gelassen. Jetzt quält er den Jeep über rötliches Geröll an dürren Kühen vorbei auf eine Anhöhe.

    Auf einem Fußballfeld großen Areal im Niemandsland stehen hüfthohe Sträucher mit großen, ledrigen Blättern. Der Boden ist steinig, die Sonne brennt. Jatropha heißt das Gewächs, dem die widrigen Umstände nichts ausmachen. In Indien und anderen Entwicklungsländern wird es als Hoffnungsträger gehandelt.

    Jatropha-Bäume sind dürreresistent und ihre Samen enthalten viel Öl, das nicht für den Verzehr taugt. Das macht die Pflanzen interessant für die Biodiesel-Herstellung, denn in einem Land wie Indien würde ihr Öl sonst zuerst als Nahrungsmittel genutzt.

    Jatropha - auf deutsch auch Brechnuss genannt - zählt zur Gattung der Wolfsmilchgewächse und sprießt selbst dort, wo sonst gar nichts mehr gedeiht. Suhas Wani hebt eine der walnussgroßen Früchte vom Boden auf und öffnet sie mit den Fingern. In ihrem Inneren stecken drei schwarze Kerne, die 55 Prozent Öl enthalten. Mit simpler Technik lässt sich daraus goldgelber Biodiesel herstellen. Da die Pflanzen, das bei dessen Verbrennung freigesetzte Kohlendioxid zuvor aus der Luft gebunden haben, feuert der Ökosprit die Erderwärmung nicht weiter an.

    Den armen Bauern der unfruchtbaren Gegend bietet Jatropha eine neue Einnahmequelle. Denn um den Energiehunger der 1,1 Milliarden Menschen auf dem Subkontinent zu stillen, ohne die ausgeprägte Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten weiter zu steigern, gibt es nur einen Weg, sagt Suresh Babu, vom Institut für erneuerbare Energien in Neu Delhi: Die Energie muss klimaneutral vor Ort geerntet werden.

    Zwei Drittel aller Inder sind Bauern. Die Botschaft an sie muss lauten, in Zukunft nicht nur Nahrung anzubauen, sondern auch Treibstoff und Energie.

    Suresh Babu ist Ingenieur und hat viele Jahre in den USA gearbeitet. 2006, nach seiner Pensionierung, kam er nach Indien zurück, um die Nutzung regenerativer Energien voran zu treiben.

    Die Regierung hat viel getan, um erneuerbare Energien zu fördern. Aber sie muss noch mehr tun. Wir reden über ein Land mit über einer Milliarde Menschen, das von großen wirtschaftlichen Gegensätzen geprägt ist. Viele hier machen sich eher Sorgen, was sie am nächsten Tag essen werden, als darüber, wie viel Kohlendioxid sie ausstoßen.

    Suresh Babu schätzt, dass erneuerbare Energien in Indien bis 2020 10 Prozent des Strombedarfs decken könnten - die Hälfte davon mit Windrädern, den Rest mit einem Mix aus Solarenergie, Wasserkraft und Biomasse. Welchen Beitrag Biosprit vom Acker künftig leisten kann und soll, wird derzeit in einer Reihe von Pilotprojekten ausgelotet. Dass in Indien ähnlich wie in Brasilien im großen Stil Zuckerrohr angebaut wird, um daraus Bioethanol zu destillieren, ist zumindest fraglich. Ein Großteil der brachliegenden Flächen auf dem Subkontinent ist unfruchtbares Ödland, auf das nur während des Monsuns Regen fällt. Genau wie der steinige Boden, auf dem Suhas Wanis Vorzeigeprojekt steht.

    "Diese Plantage wurde vor zwei Jahren angelegt. Dieses Jahr blühen die Jatropha-Sträucher das erste Mal. Aber bis sie wirtschaftliche Erträge liefern, werden noch mal zwei, drei Jahre vergehen. Wie gut die Ernte der ölhaltigen Samen dann ausfallen wird, wissen wir allerdings noch nicht so genau. Deshalb haben wir die Versuchsfelder auf staatlichem Grund angelegt. Sollten wir uns, was den künftigen Ertrag angeht, verrechnet haben, zahlen also nicht die armen Bauern dieser Gegend die Zeche."

    Zum Besuch des Entwicklungshelfers haben sich eine handvoll Bauern aus zwei nahe gelegenen Dörfern auf dem Versuchsfeld eingefunden. Männer mit Zahnlücken, in staubigen Hemden und Plastiksandalen.

    Früher waren sie ständig unterwegs, um als Wanderarbeiter Geld auf den Baustellen der Großstädte zu verdienen, erzählt einer. Heute kümmern sie sich um die von ICRISAT und GTZ initiierten Jatropha-Plantagen in der Gegend, die insgesamt 300 Hektar umfassen. Dafür überlässt ihnen die Regierung des Bundesstaates Andhra Pradesh vertraglich zugesichert die Ernteerträge. Ein kleiner aber wichtiger Schritt: Weg von der Subsistenzwirtschaft, hin zu bäuerlichen Betrieben, die mit dem Verkauf ihrer Produkte Geld verdienen. Dass die Bäume auch zur Rekultivierung Indiens riesiger Ödlandflächen beitragen, weil sie die Bodenerosion durch Wind und Wasser aufhalten, ist mehr als ein erwünschter Nebeneffekt, erklärt Suhas Wani.

    Durch den Anbau in Trockengebieten schlagen wir mehrere Fliegen mit einer Klappe. Wir begrünen die Landschaft und reichern den Boden allmählich wieder mit Nährstoffen an. Wenn dann nebenbei noch jedes Jahr ein bis zwei Tonnen Brechnüsse pro Hektar abfallen, ist das ein zusätzlicher Bonus für die Menschen hier.

    Eine Pflanze als Entwicklungshelfer: Zwei Tonnen der schwarzen Nüsse liefern rund 500 Liter klimaneutralen Biosprit. Um ihn zu gewinnen, ging bei Hyderabad 2006 die erste kommerzielle Anlage für die Produktion von Biodiesel aus Jatropha in Betrieb. Die Jahreskapazität von 10 000 Litern Kraftstoff nimmt ein lokales Busunternehmen ab. An weiterer Nachfrage mangelt es nicht. Auch Tester des Autobauers Daimler haben den Brechnuss-Sprit bereits Probe gefahren. Allerdings nicht den aus Hyderabad, sondern den von Plantagen im weiter nördlich gelegenen Bundesstaat Gujarat.