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Ökobilanz
Klimaneutrale Konzerte im Klassikbetrieb

Veranstalter in Freiburg und Nürnberg versuchen, bessere Ökobilanzen für klassische Konzerte zu erzielen: Indem sie Tourneen von Orchestern so gestalten, dass die Konzerte so klimafreundlich wie möglich sind und verursachte Emissionen durch Investitionen in Klimaschutzprojekte ausgeglichen werden.

Von Thomas Senne | 30.12.2019
    Musiker mit Querflöten und Notenständern in einem Orchester.
    Klimaschutz kann bei Orchestern beispielsweise durch eine umweltfreundlichere Planung der Reiseroute gefördert werden (imago / Blickwinkel)
    Ganz normale Konzerte mit Stars wie Sol Gabetta oder Lang Lang tauchen auch diesmal wieder im aktuellen Programm der Musikagenturen Albert und Hörtnagel auf. Seit Kurzem aber bietet Leander Hotaki, der in beiden Unternehmen als Geschäftsführer tätig ist, regelmäßig auch klassische Veranstaltungen der besonderen Art an, die unter dem Label "klimaneutrales Konzert" für Aufmerksamkeit sorgen.
    "Alles, was wir tun, ob das ein Konzert ist oder ein Einkauf oder ein Restaurantbesuch – alle Tätigkeiten im privaten wie beruflichen Leben sind ja mit einer Emission von Treibhausgasen eben verbunden. Das sind CO2 und Äquivalente. Und so stoßen eben auch Konzerte zunächst mal CO2 aus. Das sind im Grunde drei Faktoren. Das sind auf der einen Seite natürlich der Klangkörper, der Künstler. Der reist an, teilweise von weit her, teilweise mit dem Flugzeug usw. Es ist die Location, also der Konzertsaal. Haben die Ökostrom oder nicht? Wie ist es mit dem Catering und diesen ganzen Fragen: Und es ist das Publikum natürlich, was gerade auch bei Festivals teilweise aus der ganzen Welt kommt."
    Mehr Sensiblität für CO2-Belastung
    Und durch die Benutzung von Fahrzeugen sowie dem damit verbundenen Schadstoffausstoß auch zu einer CO2-Belastung der Umwelt beiträgt. Genau hier setzen die Konzertveranstalter an und möchten für mehr Sensibilität sorgen.
    "Das Ganze ist natürlich auf einer wissenschaftlich-technischen Grundlage. Es gibt Messungen. Sie müssen ja zunächst mal ermitteln, wie viel CO2-Emissionen fallen an beim jeweiligen Konzert. Diese Messungen machen wir nicht selber. Das macht eine Klimaschutzagentur. Arktik ist die, sitzt in Hamburg. Es gibt ja etliche in Deutschland, die sind auf so etwas spezialisiert, die messen also einfach, wie ist CO2 eines solchen Konzertes, so in der Planung. Dann prüft man gemeinsam, wie weit kommt man davon weg, wie viel Emissionen kann man reduzieren, ja. Und was eben nicht reduzierbar ist, wird eben dann in Klimaschutzprojekte investiert, Aufforstungsprojekte, Windenergie und so weiter. Da machen dann die Klimaschutzagenturen wie Arktik eben auch Vorschläge."
    Der Dirigent Thomas Hengelbrock vor der hell-glänzenden Fassade der hohen Hamburger Elbphilharmonie.  
    Thomas Hengelbrock, Chefdirigent des NDR-Elbphilharmonieorchesters (dpa / picture alliance / Bodo Marks)
    So hatte beispielsweise ein Konzert mit Thomas Hengelbrock in Freiburg einen berechneten Kohlendioxidausstoß von 38,27 Tonnen. Ausgeglichen wurden diese Emissionen dann durch den Kauf von Zertifikaten für ein Aufforstungsprojekt in Panama. Durch die Pflanzung von Bäumen, die ja bekanntermaßen Kohlenstoff binden, konnten die verursachten Schadstoffe neutralisiert werden, erläutert Leander Hotaki.
    "Die Ausrede, wir würden ja so furchtbar gerne klimaneutral agieren, aber wir können es uns nicht leisten, die zieht nicht. Es ist nicht sehr teuer. Es hängt natürlich immer davon ab, wie das konkrete Projekt gestrickt ist und in welche Klimaschutzprojekte man dann eben auch investiert. Aber das sind absolut überschaubare Kosten. Also pro Konzert, würde ich mal sagen, zwischen 500 und 1.000 Euro."
    Umweltfreundlichere Reiseplanung
    Kein billiger Werbegag also, sondern ein bezahlbares Engagement für eine bessere Welt: Klimaschutz, der auch bei Orchestern durch eine umweltfreundlichere Planung der Reiseroute gefördert werden kann.
    "Man kann eben bei den Klangkörpern – und um die geht es vor allem - doch versuchen in Verbindung mit den großen Konzertagenturen und auch den Kollegen dass Rooting, sprich: die Tourneestrecke, die ein Orchester eben auch nimmt, doch so gestalten, dass das so klimafreundlich wie möglich ist. Also sprich: Es muss nicht sein, dass ein Konzert in Freiburg stattfindet, dann in Hamburg, dann in Nürnberg, dann in Bremen, also sprich: ein Zickzack durch Deutschland, sondern man versucht dann eben gemeinsam, die Tournee eben so effizient und damit eben auch so klimaschonend wie möglich zu gestalten."
    Das Gewandhausorchester zu Leipzig probt unter dem italienichen Dirigenten Riccardo Chailly am Donnerstag (19.04.2012) in der Audienzhalle des Vatikans in Rom, Italien, für ein Konzert.
    Der Dirigent Riccardo Chailly (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Bei Künstlern wie etwa dem Dirigenten Riccardo Chailly, der im kommenden Frühjahr mit der Filarmonica della Scala in Freiburg ein klimaneutrales Konzert geben wird, stoßen die klimafreundlichen Aktivitäten der beiden Konzertagenturen auf viel positive Resonanz.
    "Beispielsweise Patricia Kopatchinskaja. Die macht Klimakonzerte. Die hat ein Konzept entwickelt, ‚Dies Irae‘, was eben die Klimakatastrophe sozusagen musikalisch thematisiert. Wladimir Jurowski, der große Dirigent, hat kürzlich bekannt gegeben, dass er Positionen aufgibt, weil er eben klimaschädlich nicht mehr reisen will in diesem Maße. Also, da gibt es schon eine ganze Menge von Initiativen, also, da ist schon eine Aufbruchsstimmung."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Patricia Kopatchinskaja (Julia Wesely)
    "Das Publikum ist sehr interessiert"
    Auch beim Publikum kommen die klimaneutralen Konzerte bis jetzt gut an, sagt Konzertmanager Leander Hotaki.
    "Das Publikum ist sehr interessiert. Wir haben auch Sponsoren, die sagen, wir unterstützen das. Wir haben Klimapaten, sowohl Firmen wie auch aus dem Publikum raus. Die sagen: Wir wollen das unterstützen. Was braucht ihr, dass ihr so ein Konzert neutralisieren könnt. Also, da sehe ich sehr große Offenheit."
    Dennoch: Bei der Auswahl von Interpreten wird wohl auch künftig vor allem eher die künstlerische Qualität der Musiker ausschlaggebend sein und nicht in erster Linie deren ökologische Bilanz. Ja, Leander Hotaki warnt sogar vor einer Polarisierung in der Klimafrage - trotz aller Sympathien für Greta Thunberg und ihre Mitstreiter.
    "Diese Bewegung finde ich großartig. Aber wir als Klassik-Veranstalter dürfen den Bogen auch nicht überspannen. Ich finde es absolut wichtig und werde mich weiterhin ganz intensiv dafür einsetzen, dass Konzerte immer mehr klimaneutral stattfinden, aber die künstlerischen Inhalte, das Gesamterlebnis eines Konzertes dürfen davon nicht überlagert werden. Wenn Sie jetzt also ein Thema, was unsere Kunden quasi jeden Tag in den Zeitungen, in den Medien und so weiter. vorfinden, dann auch noch Eins zu Eins ins Konzert transportieren, könnte das zu viel des Guten sein und dann im Endeffekt eher kontraproduktiv. Das heißt: Wir spielen diese Karte Klimaschutz ganz intensiv und engagiert, aber immer im richtigen Maße."
    Doch bis aus der sinnvollen Initiative für klimaneutrale Konzerte eine große Klassik-for-future-Bewegung entsteht, wird es wohl noch ein wenig dauern.