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Ökologisch, aber überflüssig?

Nach den Landtagswahlen sahen sich die Grünen als Königsmacher in zwei Ländern - nach der Absage in Thüringen bleibt nur das Saarland. Bei der Bundestagswahl fuhr die Partei ein zweistelliges Ergebnis ein, verpasste aber ihre wesentlichen Ziele

Von Gudula Geuther |
    "Trotz allem, trotz diesem Erfolg, den wir hier alle zusammen für uns errungen haben, haben wir es nicht geschafft, schwarz-gelb zu verhindern, und das ist bitter, das ist bitter! Aber das ist auch eine Kampfansage. Denn im Gegensatz zur SPD haben Grüne nie gesagt "Opposition ist Mist"! Opposition ist gerade in solchen Zeiten wichtiger denn je, und wir versprechen: Die wird knallgrün diese Opposition gegen diese schwarz-gelben!"

    Jubel für Claudia Roth am Wahlabend - aber bitter ist es eben doch. Wie alle kleinen Parteien haben auch die Grünen kräftig zugelegt, auf das beste Ergebnis ihrer Geschichte; aber auf ein schlechteres als erhofft. Und statt dritte Kraft wie angestrebt sind sie wieder Nummer fünf, wieder der Kleinste im Parlament. Und so streicheln Jürgen Trittin und Renate Künast die grüne Seele mit dem, was immer zieht in schwierigen Lagen: mit der Rückbesinnung auf ihre Wurzeln.

    "Von heute an gibt es gegen die Schwarz-Gelben, gegen die Radioaktiven, knallharte Opposition.

    Ab sofort werden wir mit allen gemeinsam in diesem Land, die der gleichen Meinung sind, dafür kämpfen, dass es keine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke gibt - das ist der Kampf!"

    Nicht alle aber sind hoffnungsvoll-kampfesfroh an diesem Wahlabend. Einige antworten auf die Frage nach der Stimmung: bedrückt. Weniger wegen des eigenen Ergebnisses. Dass das linke Lager so abgeschmiert hat, sagen einige, das sei schlimm.

    Das linke Lager? Am Tag danach widerspricht Renate Künast.

    "Es gibt jetzt ein Oppositionslager sicherlich im Verhältnis zu den anderen, aber ein linkes Lager als Begriff hat ja ein Problem, nämlich dass man sich am Ende auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurechtmendelt. Und da, glaub ich, werden die Grünen nicht ausreichend vertreten. Man kann sich auch politisch links definieren, ohne sich in ein linkes Lager rein zu bewegen."

    Nicht als kleinstes Pflänzchen im Feld der Opposition dahinzukümmern ist das anspruchsvolle Ziel. Eigenständigkeit, das ist der Begriff der im Moment am häufigsten zu hören ist bei Grünen-Veranstaltungen. Das heißt auch: Die Zusammenarbeit mit SPD und Linken soll Grenzen haben. Cem Özdemir, Renate Künast, Jürgen Trittin:

    "Es gibt sicherlich keine Koalition in der Opposition."

    "Es wird nicht einfach, ich sage mal, eine Harmoniesoße in der Opposition geben."

    "Wir werden mehr Polarisierung erleben im Deutschen Bundestag. Aber in dieser Auseinandersetzung muss es auch einen Wettbewerb geben zwischen den Oppositionsparteien."

    Vor allem aber gilt der Wettbewerb natürlich der Regierung. Geradezu genüsslich malen sich Renate Künast und Claudia Roth aus, wie sie die FDP in Bürgerrechtsfragen vor sich hertreiben wollen.

    "Die FDP hat sich zwar in der Bürgerrechtspolitik selber stilisiert als Bürgerrechtler, aber das will ich erst mal sehen, ob sie's schaffen. Und wir werden herausfordern. Wir werden auch ganz klar die Bündnisstrukturen, die ja entstanden sind, die auch dazu beigetragen haben, dass eine der größten Bürgerrechtsdemonstrationen vor wenigen Wochen in Berlin stattgefunden hat, wo es um Freiheitsrechte im Netz geht, in diesen Bündnissen aktiv weiter mitarbeiten und vorantreiben. Und der andere Bereich ist das Ende der Bleiberechtsregelung. Das wird in den nächsten Wochen für uns eine große Herausforderung sein, in Bündnissen nicht zuletzt mit den Kirchen, den Menschenrechts- und den Flüchtlingsorganisationen."

    Erst einmal aber müssen die Grünen selbst wieder zueinanderfinden. Und allen Absagen an ein linkes Bündnis zum Trotz: Die vielen Neuzugänge - um ein Drittel wächst die Fraktion - werden diese weiter nach links rücken. Schon deshalb, aber auch weil er seine Ansprüche aus der früheren Parteitags-Wahl zum Spitzenkandidaten geltend machen wird, gilt als sicher, dass der Parteilinke Jürgen Trittin neuer Fraktionschef wird neben der ehemals linken Renate Künast - statt des überzeugten Realos Fritz Kuhn.

    Einen echten Linksruck muss das - so wie sich Renate Künast inzwischen den Realos zugewandt hat, so Lager-integrierend wie Jürgen Trittin im Wahlkampf aufgetreten ist - nicht unbedingt bedeuten. Aber die vormals stärker Realo-geprägten Fraktion wird damit vermutlich auch wieder der Parteibasis ähnlicher werden.

    Die kommt schon bald zu Wort - Ende des Monats soll das neue Oppositionsdrehbuch bestimmt werden. Und das, auf das Jürgen Trittin und Renate Künast am Abend des 27. einschworen, der alte grüne Kern, das soll nach Ansicht der Parteigranden auch Kern der Oppositionsarbeit sein: Energie, Klima, Ökologie. Auch das mit Bündnissen über die Parteigrenzen hinaus: Beglückt sehen die Grünen die Anti-Atom-Bewegung wieder wachsen. Renate Künast gibt den Kurs vor:

    "Wieder zurück zur Vorreiterrolle für erneuerbare Energien, da entstehen die Jobs, da entsteht die Wettbewerbsfähigkeit des Landes - ein Themenkomplex, der definitiv parlamentarisch und außerparlamentarisch gefahren werden muss."

    Jobs werden auf der Agenda bleiben. Aber mit dem wirtschaftsorientierten Wahlkampf ist man schlechter gefahren als erhofft, die Krise spielte denn doch nicht mehr d i e Rolle im Wahlkampf; so mag die neu entdeckte Facette wieder in den Hintergrund treten. Sozialpolitik soll hoch oben stehen, aber auch hier erwartet Renate Künast nicht die gescholtene Konsens-Soße in der Opposition:

    "Uns unterscheidet ja schon beim Thema allein: Was ist eigentlich die zentrale soziale Frage? Etwas Großes. Wo wir sagen: als Allererstes die Bildungsinfrastruktur. Wir haben an verschiedenen Stellen andere Vorstellungen, zum Beispiel, wie man Arbeitsplätze schafft. Nämlich nicht als Allererstes über den öffentlichen Beschäftigungssektor, sondern die technologischen Potenziale gerade im Bereich Energie zu nutzen, einen wirklichen Arbeitsmarkt und Wettbewerbsfähigkeit herzustellen."

    Und natürlich die Bürgerrechte, vor allem, betont Renate Künast, im Bereich der modernen Kommunikationsmittel. Die bisher weitgehend verschlafene Auseinandersetzung mit der Piratenpartei dürfte also auf dem Rostocker Parteitag angepfiffen werden.

    Das könnte nach ungewohnter Harmonie für grüne Verhältnisse klingen, erst recht, wenn man dann auch noch in Rostock vor dem Klimagipfel in Kopenhagen Maßstäbe definiert. Aber die Grünen wären nicht die Grünen, wenn Druck von außen genügen würde, sie zu einen: Wieder einmal steht Afghanistan auf der Agenda. Kurz vor der Wahl hatten 80 Kandidaten gegenüber dem Wähler Farbe bekannt - eine Farbe, die gerade die Partei- und Fraktionsspitzen so nicht unbedingt grün nennen mögen. "Die gegenwärtige Kriegsführung der NATO in Afghanistan werden wir ablehnen", so das Schreiben. Der Parteitag soll vermutlich über den Antrag einer Gruppe entscheiden, die Ende 2010 als Ende des Abzugs deutscher Soldaten nennt. Die harte Auseinandersetzung über Krieg und Frieden, ein Erbe aus Regierungstagen - die Grünen nehmen es mit auch in die seitdem zweite Legislaturperiode in der Opposition.