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Ökologischer Sprengstoff

Phosphor kann bei der Reaktion mit Sauerstoff zu üblen Verätzungen führen. Auf dem Meeresgrund lagern Phosphorklumpen aus Munitionsaltlasten des 1. Weltkriegs. In Neumünster beraten Wissenschaftler und betroffenen Inselgemeinden über eine umweltfreundliche Beseitigung von Altmunition.

Von Matthias Günther |
    Vor Helgoland sind Munitionsfunde nicht Ungewöhnliches. Dass aber nur vier Kilometer vor der Küste auch 12 Tonnen des Nervenkampfstoffes Tabun liegen sollen, das macht dem Bürgermeister der Nordsee-Insel, Frank Botter, zu schaffen:

    "Nervengas, in welcher Form auch immer, erzeugt bei jedem Menschen ein Kribbeln. Beim Bürgermeister der Gemeinde Helgoland auch. Insbesondere dann, wenn er in der Abhängigkeit vom Tourismus steht. Und alles, was im Wasser ist und was nicht gut ist, ist auch nicht gut für unseren Tourismus."

    Das Giftgas vor Helgoland soll auf dem Meeresgrund liegen bleiben. Das haben Fachleute Anfang des Jahres entschieden. Denn eine Bergung gilt als zu gefährlich. Auch die Helcom, eine internationale Kommission zum Schutz der Meeresumwelt im Ostseeraum, der alle Ostsee-Anrainerstaaten angehören, hatte 1994 empfohlen, Giftgas nicht aus dem Meer zu bergen. Damals habe die dafür nötige Technik gefehlt, sagt der Meeresbiologe Sven Koschinski:

    "Mittlerweile gibt es Technologie, die auch in der Lage ist, solche gefährlichen Substanzen sicher zu bergen – mit Robotik, mit sicheren Transportbehältern, mit sicherer Schneid-Technik, mit Verbrennungsöfen, die man auf Pontons auf Schiffe installieren kann."

    Und deshalb gebe es ein Umdenken, berichtet der Meeresbiologe. Am Rande der dreitägigen Konferenz in Neumünster habe sich schon eine Arbeitsgruppe der Helcom mit den Möglichkeiten der Bergung von Giftgas befasst. Das vor Helgoland liegende Tabun, das bisher nicht geborgen werden soll, löst sich im Wasser auf, wenn es entweicht. Es ist aber an der Luft höchstgefährlich – zum Beispiel für Fischer, die eine Giftgasgranate in ihrem Netz haben. Daneben gebe es die Stoffe, die die sich nicht auflösen, erklärt Sven Koschinski:

    "Dazu gehört vor allem Senfgas. Senfgas bildet Krusten, und nur an der Oberfläche löst sich ein ganz, ganz geringer Teil dieses Senfgases. Der Rest verbleibt praktisch für Jahrtausende in diesen Klumpen und bleibt für Jahrtausende gefährlich."

    Deshalb treten die Naturschutzorganisationen für eine Bergung ein. Das gilt auch für konventionelle Munition. Sie wird – beispielsweise wenn die Schifffahrt gefährdet ist - bisher oft gesprengt. Meeressäugetiere werden dabei in einem Umkreis bis zu vier Kilometern getötet oder schwer verletzt. Mit der in der Kieler Bucht erprobten Blasenschleier-Technik verringert sich die Gefahrenzone auf ein Zehntel. Ein Vorhang aus kleinen Luftblasen um die Sprengstelle mindert die Druckwelle. Doch bei der Sprengung werden giftige Stoffe frei gesetzt. Kim Detlef, Meeresschutzexperte des NABU:

    "Das ist zum Beispiel TNT und die Zersetzungsprodukte. Und diese sind erwiesenermaßen toxisch, sie sind zum Teil krebserregend, sie sind Erbgut verändernd, und diese schleichende Vergiftung gilt es abzustellen."

    Auch wenn die Munition nicht gesprengt wird, entweicht ihr giftiger Inhalt, denn die Hüllen sind nach mehr als 60 Jahren oft durchgerostet. Allein vor deutschen Küsten vermuten die Experten zwischen 400.000 und 1,3 Millionen Tonnen Weltkriegsmunition. Doch es ist nicht nur ein deutsches Problem, so Kim Detlef.

    "Es gibt die Problematik in der gesamten Ostsee, weil in der gesamten Ostsee auch im Zweiten Weltkrieg Krieg geführt wurde. Es gibt umfangreiche Minengürtel, die gesetzt wurden, um russische Küstenregionen zu schützen, und auch im nördlichen und östlichen Bereich der Ostsee, und da sind noch Zehntausende, vielleicht Hunderttausende funktionierende Minen versenkt, die geborgen werden müssen."

    Aber auch im Mittelmeer oder vor Hawaii gibt es diese Altlasten. Welche Erfahrungen sie im Umgang mit den Hinterlassenschaften bisher gemacht haben, darüber wollen sich die Fachleute aus Europa, den USA und Kanada in Neumünster noch bis morgen austauschen.