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Ökologisches Küstenzonen-Management für Binnenmeere

Was passiert mit Ostsee, Adria oder dem Roten Meer, wenn der Mensch angrenzende Flüsse staut, Land gewinnt, Fische aus der See zieht oder Dreck ins Meer leitet? In diesen eingeschlossenen Gewässern ist die Umweltbelastung oftmals größer als in den offenen Meeren, weshalb sich Wissenschaftler auch intensiver mit diesen Öko-Systemen auseinandersetzen müssen. So auch in dieser Woche beim meereswissenschaftlichen Symposium am Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst.

Von Folkert Lenz |
    40 Prozent aller Menschen leben nah an der Küste von Meeren, die nicht direkt an offene Ozeane grenzen. Meeressysteme also, die zu großen Teilen vom Land eingeschlossen sind. In diesen Regionen lässt es sich vergleichsweise angenehm leben, haben schon unsere Vorfahren gewusst: Die Gefahren von der See her sind gering, leicht kommen die Menschen hier an Nahrung. Doch zugleich verdichten sich dort auch alle Probleme, die durch die Nutzung entstehen. Und das macht diese Küstenzonen besonders interessant für Wissenschaftler wie die Meeresbiologin Heike Lotze von der Dalhousie University im kanadischen Halifax:

    " Wir gucken uns die Küstenmeere an. Also so was wie Nordsee, Ostsee, Schwarzes Meer, Ostchinesisches Meer, Golf von Mexiko. Also so halb eingeschlossene Systeme, die teilweise vom Ozean beeinflusst sind, aber auch vom Land und den Flusssystemen. "

    Vier Tage nehmen sich die Meeresexperten aus aller Welt Zeit, um sich einen möglichst genauen Eindruck darüber zu verschaffen, wie es um die sensiblen Regionen bestellt ist. Denn die Ökosysteme in den Binnenmeeren, Riesenbuchten und Meeresarmen sind bedroht: Durch das Ausbaggern von Flüssen oder das hemmungslose Düngen von Feldern, aber auch durch Landgewinnung, Aquakulturen oder Überfischung, wie die internationale Runde kritisiert. Und immer hat der Mensch seine Finger im Spiel, sagt Heike Lotze:

    " Habitatveränderungen sind ein großes Problem: Die Konstruktion von Städten oder Marinas im Küstenbereich. Und dadurch Verlust von Feuchtgebieten, Salzwiesen, Seegraswiesen, die eben für viele der Arten, die wir kommerziell nutzen, von großer Bedeutung sind. "

    Abwässer, Schmutz oder Gifte sammeln sich in den betrachteten Meeresgebieten - und werden nicht verdünnt wie im Ozean. Dabei sind diese Seeregionen nicht nur die dreckigsten, sondern zugleich die produktivsten. 80 Prozent aller Fische zum Beispiel werden nahe den Küsten gefangen. Doch die intensive Nutzung verursacht hohe Schäden, so der Sozialgeograf Michael Flitner von der Universität Bremen.

    " Von der naturwissenschaftlichen Seite ist sicher die Nährstoffveränderung ein großes Problem, also die Nährstoffanreicherung. Aber auch die Veränderung in den Sedimentfrachten, also in den Flüssen, die reinkommen. Zum Teil durch Dammbauten im Oberlauf, auch durch Abholzungen und ähnliche Dinge. Dann eben die intensive Nutzung der Primärressourcen wie der Fische oder ähnliches, die Fischerei ... "

    Bei ihrer Tagung wollen sich die Meeresexperten aus 25 Ländern aber nicht mit einer Bestandsaufnahme begnügen, sondern auch Lösungen aufzeigen. Eine nicht ganz einfache Aufgabe: Zwar sind die Probleme überall ähnlich. Doch eine Standardlösung, die für alle Regionen sinnvoll ist, gibt es nicht. Michael Flitner:

    " Die kleinen Fischer, die in den Küstengebieten im Golf von Thailand agieren, die sind natürlich eine ganz andere Problemlage als die industriellen Fischereiflotten, mit denen wir es hier in der Nordsee zu tun haben. Es hängt auch von der rechtlichen Lage, also von der Rahmensetzung ab: Wird das Ganze von Nationalstaaten kontrolliert, was bei diesen halb geschlossenen Meeren oft der Fall ist. Da finden wir schon eine ganze Menge kultureller, politischer und sozialer Unterschiede. "

    Eine weitere Schwierigkeit: Die Grenzen der Meeressysteme decken sich nicht mit den Grenzen von Staaten, von politischen oder behördlichen Zuständigkeiten. Das mache viele vorhandene Ansätze von Küstenzonenmanagement zunichte, so der Nachhaltigkeitsexperte Flitner:

    " Die orientieren sich an einzelnen Fischarten, die wir fangen wollen. An einzelnen Energiebedürfnissen. An Siedlungsansprüchen und an administrativen Grenzen, an internationalen Grenzen. Die große Herausforderung ist es, passende Institutionen zu schaffen. "

    Ein gutes Beispiel: Die Kooperation der Ostseeanrainerstaaten, die sich schon seit über 30 Jahren als Helsinki-Kommission für den Schutz des Binnenmeeres stark macht. Doch nicht nur die Politiker müssen lernen, noch stärker länderübergreifend und in längeren Zeiträumen zu denken, so eine weitere Einsicht der Expertenrunde. Auch die Wissenschaftler wollen künftig mehr über den Tellerrand ihrer Disziplin schauen und ihre Erkenntnisse besser vernetzen. So war es kein Zufall, dass in Delmenhorst auch Sozialwissenschaftler, Ökonomen und Manager mit am Tisch saßen.