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Ökonom Feld zu Urteil über EZB-Anleihekäufe
"Das Gericht wird versuchen, irgendwo Grenzen einzuziehen"

Dass eine Notenbank wie die EZB Staatsanleihen kaufe, sei in der Geschichte der Geldpolitik völlig normal, sagte der Wirtschaftsweise Lars Feld im Dlf. Letztlich gehe es bei der Beurteilung dieser Politik um die Frage der Verhältnismäßigkeit. Er erwarte da ein staatsmännisches Urteil des Verfassungsgerichts.

Lars Feld im Gespräch mit Philipp May | 05.05.2020
Lars Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung "Wirtschaftsweisen" steht vor dem Walter-Euken-Institut.
Der Ökonom Lars Feld ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – den sogenannten Wirtschaftsweisen (dpa / picture alliance / Patrick Seeger)
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet heute, ob die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank rechtmäßig sind. Es ist ein Urteil, auf das mit Spannung geblickt wird. Einige machen sogar Nervosität in Brüssel und Berlin aus. Konkret geht es um ein altes Kaufprogramm, genannt PSPP, von 2015. Doch die Folgen des Urteils dürften gerade in diesen Corona-Zeiten in die Gegenwart hineinreichen. Professor Lars Feld von der Uni Freiburg ist der Vorsitzende des Rats der Wirtschaftsweisen. Er war auch einer der Gutachter des Verfassungsgerichts im Rahmen der Verhandlungen. Er rechnet mit einem staatsmännischen Urteil des Gerichts.
May: Kommen wir direkt zum Kern des Pudels. Waren die Anleihekäufe, das Anleihekaufprogramm PSPP, illegale Staatsfinanzierungen der EZB?
Feld: Meines Erachtens nicht. Es ist aber trotzdem sehr schwer zu entscheiden, weil die Grenze zwischen Geldpolitik und Wirtschaftspolitik, um die es hier regelmäßig geht, sich weder juristisch noch ökonomisch einfach bestimmen lässt.
"In dieser Größenordnung wird man immer wieder Bauchweh bekommen"
May: Aber wenn eine Notenbank für 2,6 Billionen Euro Staatsanleihen kauft, Geld für klamme Staaten druckt, was kann das anderes sein als Staatsfinanzierung?
Feld: Geldpolitik! Denn dass eine Notenbank Staatsanleihen kauft, das ist auch in der Geschichte der Geldpolitik völlig normal. Dass sie damit versucht, geldpolitischen Einfluss zu nehmen und ihre geldpolitische Transmission zu betreiben, ist auch gängig. In dieser Größenordnung wird man natürlich immer wieder Bauchweh bekommen, aber da setzt ein Kriterium ein, das für Juristen wichtig ist und das letztlich auch für Ökonomen in der Geldpolitik wichtig ist, nämlich die Frage der Verhältnismäßigkeit. Auch große Summen können verhältnismäßig sein.
May: Ist es aber nicht dennoch eine Schutzbehauptung zu sagen, ich schmeiße diese Riesensumme 2,6 Billionen Euro auf den Markt, um die Inflationsrate um 0,1 Prozent möglicherweise zu bewegen – Stichwort Geldpolitik?
Feld: So hat es ja die Europäische Zentralbank nicht formuliert, sondern sie hat festgestellt, dass ihre Zielgröße der Inflationsrate unter zwei Prozent, aber nahe bei zwei Prozent nicht erreicht wird, dass auch, was Inflationserwartungen in der kurzen Frist anbetrifft, Risiken bestehen. Das Programm wurde aufgelegt, als die EZB befürchtete, dass es Deflationsgefahren gibt, man sogar weiter von den zwei Prozent wegkommt. Von daher geht es nicht um 0,1 Prozentpünktchen, sondern darum, ob eine Zielerreichung möglich ist oder nicht.
"Die Frage der Begrenzung dieser Maßnahmen"
May: Das heißt, wo ist die Grenze für diese Politik für die EZB?
Feld: Das ist ausgesprochen schwierig, denn es sind, glaube ich, zwei Kriterien, die man auf Basis der europäischen Verträge anlegen muss. Das eine ist das Kriterium der Verhältnismäßigkeit. Sind die Herausforderungen, die anstehen, mit einem solchen Umfang an geldpolitischen Maßnahmen tatsächlich auch zu bekämpfen? Sind diese Maßnahmen gerechtfertigt? – Das zweite Kriterium ist die Frage der Begrenzung dieser Maßnahmen. Die Summe an sich sagt ja noch nichts aus. Wenn wir alle Staatsanleihen im Portfolio der Europäischen Zentralbank hätten, dann würden wir nicht mehr von der Hand weisen können, dass es sich um monetäre Staatsfinanzierung handelt, die ja durch die europäischen Verträge verboten ist. Aber zwischen einer kleinen Summe an Staatsanleihen und allen Staatsanleihen gibt es natürlich eine ganz, ganz große Spannbreite, und dort irgendwo zu sagen, ab diesem Punkt sind wir nun jenseits der Geldpolitik und in der Finanzpolitik oder Wirtschaftspolitik, das ist der schwierige Teil.
May: Sie haben es schon angedeutet. Jetzt hat die EZB im Zuge der Corona-Pandemie ein neues Anleihekaufprogramm gestartet. Da werden die Dimensionen, wenn wir uns das Ausmaß der Krise anschauen, ja wahrscheinlich noch einmal größer werden über die Zeit. Welchen Einfluss hat das Urteil dann auf dieses Kaufprogramm möglicherweise?
Feld: Ein Punkt, den das Bundesverfassungsgericht schon bei seinem Urteil zu den Outright Monetary Transactions, zu OMT, dem Vorläuferprogramm vom PEPP-Programm getroffen hat …
"Schlimmstenfalls Auswirkungen auf das Bundesfinanzministerium"
May: Wenn ich da ganz kurz einhaken darf? Das war das Anleiheprogramm, wo Mario Draghi diesen berühmten Satz gesagt hat von "whatever it takes".
Feld: Genau! Das war das Programm, das im Sommer 2012 aufgelegt worden ist nach der berühmten Londoner Rede von Mario Draghi. Dieses Programm war ex ante unbegrenzt, während diese Anleihekäufe, um die es jetzt heute in Karlsruhe geht, die sind ex ante begrenzt, und zwar sowohl im Hinblick auf den Emittenten. Es dürfen nicht mehr als ein Drittel der Staatsanleihen eines Landes im Portfolio der EZB sein. Und auch im Hinblick auf die Emissionen: Einzelne Anleihen dürfen nicht in einem höheren Anteil als 25 Prozent gehalten werden. Da sieht man auch schon den Unterschied. Die Frage der Begrenzung, die sich da in dem Urteil zu OMT wiederspiegelt, ist für das Bundesverfassungsgericht ebenfalls ein wichtiges Element gewesen. Es kann sehr wohl sein, dass die Richter an der Stelle wieder versuchen anzusetzen, und das könnte auch Auswirkungen auf PSPP haben. Wobei man sagen muss: Letztlich ist die EZB ja nicht durch das Bundesverfassungsgericht gebunden, sondern durch europäisches Recht.
May: Das heißt, was würde passieren, wenn die Bundesverfassungsrichter heute der EZB Fesseln anlegen würden?
Feld: Schlimmstenfalls hätte das Auswirkungen auf das Bundesfinanzministerium einerseits, das auf europäischer Ebene darauf dringen müsste von Seiten Deutschlands, dass diese Politik verändert wird in Richtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, und es hätte auch Auswirkungen auf die deutsche Bundesbank, die dann nicht einfach bei diesem Programm mitmachen könnte. Das ließe sich dann durch andere Länder ersetzen. Beispielsweise könnte Österreich dann die Anleihekäufe anstelle der deutschen Bundesbank tätigen, die österreichische Nationalbank. Aber ich denke nicht, dass es soweit kommen wird, dass es diese Art der Begrenzung gibt, dass letztlich die deutschen Instanzen gehindert werden, ein geldpolitisches Programm der EZB zu unterstützen.
"Das Gericht ist in der Lage, sich sehr staatsmännisch zu bewegen"
May: Das heißt, sie werden einfach eine bestimmte Volumenobergrenze definieren?
Feld: Ich denke, dass man versuchen wird, irgendwo Grenzen einzuziehen von Seiten des Bundesverfassungsgerichts. Aber die vergangenen Urteile haben ja auch gezeigt, dass das Gericht sehr wohl in der Lage ist, hier sehr staatsmännisch auf einer schwierigen Gratwanderung gerade auch in so riskanten Zeiten wie heute sich zu bewegen, und deswegen habe ich ganz großes Zutrauen.
May: Ist es denn die Aufgabe eines Gerichts, sich staatsmännisch zu bewegen, oder muss sich ein Gericht nicht einfach an die Gesetze halten beziehungsweise die Gesetze und die Verträge auslegen?
Feld: Na ja. Das Bundesverfassungsgericht setzt ja auch Verfassungsrecht durch seine Urteile und muss da immer wieder unterschiedliche Aspekte in seiner Abwägung berücksichtigen, die sehr wohl auch ein gewisses staatsmännisches Verhalten letztlich erfordern. Das haben wir ja in anderen Zusammenhängen ebenfalls. So einfach gerade auf Verfassungsebene ist ja die Auslegung des Rechts dann am Ende doch nicht.
"Eurobonds würden nur höhere Risiken für jedes einzelne Land bedeuten"
May: Herr Feld, mich würde Ihre Einschätzung interessieren. Würde es ein Anleihekaufprogramm der EZB geben, wenn Staaten wie beispielsweise Italien andere Möglichkeiten hätten, sich günstig mit Geld zu versorgen, zum Beispiel über gemeinsame europäische Anleihen?
Feld: Ich denke, dass das Programm, gerade das, was jetzt von der EZB begonnen worden ist, das PEPP-Programm, trotzdem weiter beibehalten würde. Wir müssen ja berücksichtigen, dass die fiskalpolitischen Maßnahmen, die möglich sind auf europäischer Ebene, letztlich immer begrenzt bleiben. Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen einzelner Mitgliedsstaaten, auch Deutschlands, ist ja irgendwo begrenzt. In der Finanzpolitik gibt es kein "whatever it takes". Das ist in der Geldpolitik etwas anders, weil in der Geldpolitik eine Notenbank immer in der Lage ist, mit ihren Programmen zusätzliche Liquidität bereitzustellen, manche sagen vereinfacht Geld zu drucken. So ist es ja heute nicht mehr. Aber es ist dann trotzdem eine größere Möglichkeit da, in Dimensionen zu gehen, die von den Finanzmarktteilnehmern als relativ großes Volumen angesehen werden, und das kann die Finanzpolitik nicht leisten. Letztlich bedeutet das auch, dass solche Eurobonds mit gesamtschuldnerischer Haftung gar nicht so viel weiterhelfen, außer dass wir höhere Risiken für jedes einzelne Land bekommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.