Freitag, 19. April 2024

Archiv

Europäische Bankenunion
"Im Prinzip kann die EZB überall hineinregieren"

Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Europäische Bankenunion für rechtmäßig erklärt habe, bestehe die Gefahr, dass die Bankenaufsicht selber zum systemischen Risiko werde, sagte Bankenexperte Hans-Peter Burghof im Dlf. Er fürchte, dass die nationale Bankenaufsicht der EZB unterworfen sei.

Hans-Peter Burghof im Gespräch mit Silvia Engels | 30.07.2019
30.07.2019, Baden-Württemberg, Karlsruhe: Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht mit Peter M. Huber (l-r), dem Vorsitzenden Andreas Voßkuhle, Monika Hermanns und Sibylle Kessal-Wulf verkündet das Urteil in Sachen Europäische Bankenunion. Laut dem Urteil sind die Regelungen zur Europäischen Bankenunion bei strikter Auslegung nicht kompetenzwidrig.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts macht sich Hans-Peter Burghof vor allem Gedanken um die wirtschaftliche Wirkung der Bankenunion (dpa / picture alliance / Uli Deck)
Silvia Engels: Um Verbraucher besser zu schützen, wenn im Euroraum Banken in Schieflage geraten, ist der eingeschlagene Weg einer Europäischen Bankenunion grundsätzlich mit dem deutschen Recht vereinbar. So in etwa lässt sich grob das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zusammenfassen, das am Vormittag fiel. Allerdings müssen die Regeln dazu strikt eingehalten werden, mahnten die Richter.
Am Telefon mitgehört hat Professor Hans-Peter Burghof von der Universität Hohenheim, dort am Lehrstuhl für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen. Er hat sich in der Vergangenheit grundsätzlich positiv über die Idee geäußert, Banken nach einheitlichen Eurostandards zu beaufsichtigen, doch an der Umsetzung der Bankenunion hatte er auch den einen oder anderen Zweifel geäußert. Guten Tag, Herr Professor Burghof!
Hans-Peter Burghof: Hallo!
"Ich glaube nicht, dass das gut konstruiert ist"
Engels: Das Bundesverfassungsgericht findet den bislang von der Politik eingeschlagenen Weg, Bankenaufsicht auf den gesamten Euroraum zu übertragen, in Ordnung. Ist damit auch Ihre Sorge beigelegt?
Burghof: Nein, natürlich nicht. Meine Sorge kommt vor allem aus der wirtschaftlichen Wirkung dieser Bankenunion. Ich glaube nicht, dass das gut konstruiert ist. Das fängt an damit, dass Bankenaufsicht und Geldpolitik unter dem Dach der EZB vereint sind, was zu eigentlich unlösbaren Interessenskonflikten führt. Es gibt viele Probleme in den Anwendungen der Bankenaufsicht. Durch die EZB teilweise kann sie sich gar nicht durchsetzen, teilweise setzt sie sich zu weitgehend durch. Wir haben in Deutschland inzwischen einen Wettbewerb der Aufsichtsbehörden der nationalen und der EZB. Wer am härtesten beaufsichtigt, das ist auch nicht richtig sachgerecht. Da gibt es sehr viele Probleme, die verbleiben. Was hier geprüft wurde, ist ja nur die rechtliche Zulässigkeit.
"Unser Bankensystem wird immer bürokratischer"
Engels: Sie sagen, die Aufsicht konkurrieren miteinander, können Sie das noch einmal deutlicher ausdrücken? Denn eigentlich kann man ja auch nach den Erfahrungen der Schieflagen von Banken sagen, besser mehr kontrollieren als zu wenig.
Burghof: Ja, das wäre schön, wenn die Kontrolle da die Missstände verhindern könnte, aber eine Kontrolle macht zunächst mal nur Kosten und führt nicht dazu, dass das System als solches per se stabiler wird. Dafür müsste die Bürokratie vorhersehen können, welche Krise kommt und wie man diese Krise verhindert. Wir sind heute sicher gut vorbereitet auf die letzte Krise, aber das hilft uns nicht gegen die nächste. Unser Bankensystem wird immer bürokratischer, immer mehr von der Regulierung bestimmt und dadurch immer inflexibler und kaum in der Lage, sich auf neue Entwicklungen einzustellen. Es kommt nicht auf immer mehr Regulierung, es kommt tatsächlich drauf an, das richtige Maß an Regulierung an, eine wirksame Regulierung zu finden.
Im Moment ist es so, die nationale Bankaufsichtsbehörde hat das Problem, dass im Prinzip die EZB überall hineinregieren kann, wo sie möchte, und das möchte man natürlich nicht. Man möchte seine Kompetenzen behalten, und deswegen ist man quasi im Wettbewerb mit der EZB, wer am härtesten reguliert – für das deutsche Bankensystem natürlich irgendwo ein Alptraum.
"Kaum noch Zeit für die eigentliche Unternehmensführung"
Engels: Dass die Bürokratie möglicherweise etwas ausufert, mag ein Problem sein. Jetzt haben auf der anderen Seite die Richter aber geurteilt, dass es auch darum geht, die Regeln dieser Kontrollen, die man sich da gegeben hat, auch streng einzuhalten. Das heißt, müssen das die Banken nicht einfach auch in Kauf nehmen, einfach deshalb, weil sie ja nun auch sehr über die Stränge geschlagen haben in der Vergangenheit?
Burghof: Also die Finanzkrise ist ja eine Gemeinschaftsproduktion verschiedener Stellen, auch des Staats und auch einer versagenden Regulierung. Das haben die Banken natürlich nicht in dem Sinne allein gemacht. Unser Interesse kann es nicht sein, dass unser Bankensystem nicht mehr funktioniert. Es ist tatsächlich so im Moment, dass in den Aufsichtsgremien und auch den Vorständen großer Banken die meiste Zeit inzwischen mit Aufsichtsthemen verbracht wird, mit Regulierungsthemen verbracht wird, und das heißt für die eigentliche Unternehmensführung bleibt kaum noch Zeit. Das kann eigentlich nicht sein, das ist hochgefährlich. Die Bankenaufsicht selbst prüft die Qualität von Good Governance. Da ist die Frage, wie gut die Banken geführt werden und prägt selbst durch die Intensität der Aufsicht, dass alles auf die oberste Ebene geschoben wird, dazu bei, dass diese Corporate Governance bei den deutschen Banken eigentlich nicht mehr funktionieren kann.
Es gilt immer, das richtige Maß zu finden, und im Moment sind wir ganz klar in der Phase der Überregulierung. Das ist eine ökonomische Frage. Das hat das Verfassungsgericht natürlich überhaupt nicht geprüft. Wenn sie sagen, sie müssen sich an die Regeln halten, dann bezieht sich das auf die Reichweite der Kompetenz der EZB. In der Hinsicht sind sie recht optimistisch, weil sie sagen, die EZB und die nationale Bankenaufsicht, die stehen noch nebeneinander. Ich fürchte, die stehen eher übereinander, die nationale Bankenaufsicht ist der EZB an der Stelle unterworfen.
Engels: Das zum Stichwort Aufsicht. Das ist ja nur ein Element der Europäischen Bankenunion. Ein zweites Element ist die Frage der Abwicklung. Da wird ja gerade ein gemeinsamer staatlicher Fonds aufgebaut, um im Fall der Krisenhaftigkeit eine Bank auch nach festen Standards abzuwickeln. Ist das denn Ihrer Meinung nach auf dem richtigen Weg?
Burghof: Wir sind sehr gespannt, ob eine Umsetzung gelingt. Es wäre marktwirtschaftlich natürlich sehr erfreulich, wenn es möglich wäre, Banken, die wirtschaftlich versagt haben, aus dem Markt ausscheiden zu lassen wie alle anderen Unternehmen, ohne dass dadurch Schäden entstehen wie damals bei den Lehman Brothers, wo da auch eine Bank ausgeschieden ist aus dem Markt, aber mit so großen Schäden für die Weltwirtschaft, dass wir sowas nie wieder ausprobieren. Mechanismen, die dazu führen, sind sehr, sehr kompliziert. Ob sie im Notfall in dem Zeitdruck, den man dann hat, tatsächlich funktionieren, weiß man nicht. Wir hatten einen Fall in Italien, eine relativ große Bank, die in einer Schieflage war. Man hatte es vorgezogen, es ist nicht auszuprobieren, sondern hat es vorgezogen, diese Bank zu retten. Also auch da ist die Frage eher auf der technischen Seite: Wir das wirklich funktionieren, wie wir das geplant haben, oder leben wir da in einer Wunschwelt, wo wir zwar die Mechanismen haben, aber dann, wenn es drauf ankommt, doch nicht in der Lage sind, sie umzusetzen.
Engels: Woran liegt es denn dann, dass dieser Mechanismus nicht gezündet wurde in diesem von Ihnen angesprochenen Fall Italien? Waren das nationale Interessen? Woran haperte es da?
Burghof: Ich glaube, es waren zwei Sachen, erstens, dass man sich nicht sicher war, ob der Mechanismus so funktioniert, wie man sich das vorstellt – da sind sehr komplizierte Abstimmungsmechanismen erforderlich, damit man da die Bank entsprechend abwickeln kann –, und zum Zweiten natürlich ganz klar nationale Interessen. Die Aussage war dann, diese Bank ist gar nicht insolvent. Man muss dazu auch wissen, Mario Draghi war ja selbst mitverantwortlich als Chef der italienischen Nationalbank für die Bankenaufsicht in Italien für eine gewisse Zeit, das heißt, dass ist auch so ein bisschen mit seine Verantwortung. Vielleicht war es ihm ja gar nicht so unlieb, aber am Ende hat italienisches Steuerzahlergeld diese Bank auch wieder gerettet, und das war ja das, was wir eigentlich vermeiden wollten. Ich bin mir aber auch nicht sicher. Wenn in Deutschland eine entsprechende Situation aufträte, ob wir uns dann trauen würden, tatsächlich eine der zwei, drei großen deutschen Banken einfach abzuwickeln oder ob wir sagen würden, deutsches Interesse geht vor, wir können uns das nicht leisten.
"Risiken könnten vergemeinschaftet werden"
Engels: Beaufsichtigung ist ein Element der Europäischen Bankenunion, Abwicklung – wir haben es gerade angesprochen – ein zweites. Dann gibt es ein drittes Element, das geplant ist. Es geht um eine gemeinsame Einlagesicherung der Banken. Die gibt es noch gar nicht. Die Richter konnten deshalb folglich auch gar nicht noch darüber urteilen, aber über diese europäische Einlagensicherung der Banken, also mit Bankengeldern selbst wird ja auch schon lange gestritten. Wie sehen Sie die Chance, dass hier je ein Eurosystem zustande kommt?
Burghof: Also die kommt damit immer wieder, obwohl speziell Deutschland sich mit allem, was es hat, dagegen wehrt. Das ist das große Risiko, dass die Risiken vergemeinschaftet werden, ohne dass wir wirklich kontrollieren können, dass in allen europäischen Staaten ein für alle Partner erträgliches Risiko entsteht. Also das Problem, was wir jetzt haben mit dem Fonds bei den Abwicklung, das, was jetzt beim Verfassungsgericht als gerade noch akzeptabel angesehen wurde, das Problem würde sich da potenzieren, weil wir dann wirklich die Verluste abstecken müssten, die auch entstehen aus einer mangelhaften, fehlerhaften Aufsicht, aus einer falschen nationalen Bankenpolitik. Die Aussage, dass die nationale Bankenaufsicht noch eine wichtige Rolle spielt, wie es das Verfassungsgericht jetzt getroffen hat, ist ja dann zweischneidig. Das heißt auch, dass ein Versagen der nationalen Aufsicht auch zu großen Verlusten führen könnte, und die müssten wir dann abdecken. Das heißt also, deutsche Sparer würden über ihre Banken, über den Beitrag der Banken zu dieser europäischen Einlagenversicherung die Verluste aus einer fehlerhaften Bankenpolitik in Griechenland tragen. Deswegen, Deutschland wehrt sich dagegen, Deutschland sagt, wir haben ein funktionierendes System. Wir müssten, wenn wir das haben, hundertprozentig darauf vertrauen können, dass die EZB europaweit für einheitliche Sicherheitsstandards sorgen kann. Das kann sie nach meinem aktuellen Wissensstand nicht. Deswegen glaube ich nicht, dass wir damit jetzt anfangen können.
Engels: Wenn wir Bilanz ziehen, dann ziehe ich aus Ihrer Analyse die Folgerung, dass Ihrer Ansicht nach die derzeitigen Verbraucher vor einem Bankencrash nicht besser geschützt sind als vor zehn Jahren, oder?
Burghof: Ich will mal so sagen, also so pauschal kann man dazu keine Aussage machen. Ich sehe es aber so, dass die neuen Risiken anderer Art sind und teilweise auch aus der Aufsicht selbst, aus der überschießenden Aufsicht selbst erwachsen. Das führt dazu zum Beispiel, dass Risiken aus dem beaufsichtigten Raum hinaus in andere Unternehmen verlagert werden, andere Märkte verlagert werden. Das heißt also, die Risiken sind nicht einfach weg. Ich denke, dass wir uns drauf einstellen müssen, dass wir adjustieren müssen bei der Aufsicht, damit die Aufsicht effizient wird und das richtige Maß findet, sonst wird die Aufsicht selber zum systemischen Risiko.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.