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Ökonom fordert generelles Verbot von Staatsverschuldungen

Die Europäische Zentralbank hat angekündigt, alles für die Rettung des Euro zu tun. Der Ökonom Ulrich Kater rechnet jedoch nicht damit, dass die EZB jetzt massenhaft Staatsanleihen kauft. Zur Lösung der Krise schlägt Kater ein grundsätzliches Verbot von Staatsverschuldungen vor.

Das Gespräch führte Jürgen Liminski | 27.07.2012
    Jasper Barenberg: "Die Europäische Zentralbank ist bereit, alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir: Das wird reichen." Dass diese beiden Sätze von EZB-Chef Mario Draghi gestern ein Feuerwerk an den Börsen ausgelöst haben, das zeigt vor allem, wie nahe inzwischen auch Spanien und Italien am Abgrund stehen, von Griechenland einmal ganz abgesehen. Dort will die Regierung von Andonis Samaras den internationalen Geldgebern und ihren Kontrolleuren heute weitere Sparmaßnahmen präsentieren, um die wachsenden Zweifel am Reformwillen des Landes doch noch zu zerstreuen.
    Griechenland steht also weiter am Abgrund, Spanien steht inzwischen auf der Kippe und inzwischen geraten schließlich auch deutsche Banken ins Visier der Ratingagenturen. Mein Kollege Jürgen Liminski hat den Chefvolkswirt der Deka-Bank, Ulrich Kater, gestern Abend gefragt, ob ihn die Situation insgesamt nicht sehr nervös mache.

    Ulrich Kater: Die Märkte sind nervös und die Frage ist, wie weit lässt man sich davon anstecken. Die Analyse zeigt, dass wir große Probleme haben, zu starke Schuldenlasten aus der Vergangenheit, aber die Analyse zeigt auch, dass solche Situationen aus der Finanzgeschichte aus der Vergangenheit bekannt sind und es gibt Möglichkeiten, solche Situationen auch friedlich zu beenden, man muss nur am Ball bleiben.

    Jürgen Liminski: Brüssel hat nun dementiert, dass der Euro-Rettungsfonds EFSF den spanischen Banken Staatsanleihen abkauft, um sie zu entlasten und den Zins zu senken. Aber wenn der Rettungsfonds es nicht tut, wird die Europäische Zentralbank es tun, und sie kann es, weil sie unabhängig ist. Werden hier wieder einmal alle Haftungsregeln außer Acht gelassen, nur um Ruhe an diesen Finanzmärkten zu haben?

    Kater: Ich sehe das noch nicht ganz so, dass die Europäische Zentralbank nun in ausreichendem Umfang Anleihen aus Italien und Spanien aufkauft, sodass die Zinsen nicht über ein bestimmtes Mindestmaß hinausgehen. Präsident Draghi hat heute Nachmittag eine Rede gehalten und gesagt, dass die Zentralbank alles tun wird, um den Euro zu unterstützen und das Auseinanderfallen zu verhindern. Ich weiß nicht, ob die Märkte das nicht ein bisschen überinterpretiert haben, denn ich rechne nicht damit, dass jetzt unlimitierte Anleihekäufe verkündet werden. Die EZB handelt ja auch als Agent an den Märkten für den EFSF, und der wäre es, der diese Anleihekäufe tätigen müsste, denn es ist ein Problem der Finanzpolitik und nicht der Geldpolitik, und sofern Spanien einen Antrag stellt, würde das auch geschehen. Hier halten sich aber die Politiker noch bedeckt. Ich rechne eher damit, dass der EFSF den Spaniern und eventuell Italienern, wenn es denn sein muss, stützend unter die Arme greift.

    Liminski: Berlin sagt, das Bankenproblem in Spanien müsse gelöst werden, bevor Anleihen gekauft würden. Beißt sich da die Katze nicht in den Schwanz? Wie kann eine Lösung beziehungsweise eine Sanierung aussehen?

    Kater: Nun, das Bankenproblem in Spanien ist die sehr, sehr hohe Verschuldung aus der Vergangenheit. Es geht nicht nur darum, dass die Banken jetzt keine neuen Kredite mehr vergeben. Das ist in der Tat der Fall, das tun sie nicht mehr. Aber die aufgelaufenen Schulden aus den letzten zehn Jahren sind eben enorm und bevor man auch Staatsanleihen, die ja eng mit auch Banken an Risiken verbunden sind, kauft, ist schon zu überlegen, ob man diese enormen Schuldenlasten des Bankensystems nicht verringert. Wir haben in Irland gesehen, dass beispielsweise über die Beteiligung nachrangiger Schuldverschreibungen der Banken hier eine Verringerung möglich ist, auch über diese Dinge wird nachgedacht. Und angesichts der Höhe der Schuldenlasten ist das in der Tat ein Weg, über den man nachdenken muss.

    Liminski: Reichen denn die 100 Milliarden, die jetzt schon bewilligt wurden, nicht aus?

    Kater: Das ist schwierig zu sagen. In solchen Fällen, wo ganze Sektoren sich über sehr viele Jahre stark überschuldet haben, ist es nicht einfach, die tatsächlichen Ausfälle und damit eben auch den Abschreibungsbedarf zu ermitteln. Normalerweise überbieten sich die Schätzungen zunächst nach oben, das war im Fall der Subprime-Krise genauso, wo der IWF beispielsweise immer neue Schätzungen herausgebracht hatte. Die tatsächlichen Werte liegen dann meistens ein bisschen darunter. Aber sie sind, denke ich, immer noch in dem Bereich, wo wir eher die Schätzungen noch ein bisschen nach oben anpassen.

    Liminski: Wie haftet eigentlich Deutschland, wenn Draghi tatsächlich via EZB massenweise Staatsanleihen kaufen lässt?

    Kater: Das Problem ist, dass die EZB tatsächlich nicht so eine Zentralbank ist, vergleichbar wie die Fed oder die Bank of England, wo die Zentralbank eben nur für einen einzigen Staat, nämlich ihren Staat, das Währungswesen organisiert. Hier haben wir viele Staaten in Europa. Das bedeutet, dass es Teilausfälle geben kann, die dann, wenn sie sich auf der Zentralbankbilanz bemerkbar machen, so aussehen: Die angekauften Papiere müssen abgeschrieben werden im Fall eines Defaults, das heißt also eines Ausfalls eines Staates, und werden dann in Höhe des Kapitalschlüssels an die nationalen Zentralbanken weitergegeben. Die Bundesbank hat da einen Anteil von 30 Prozent. Das heißt also, in der besonderen Situation, in der der Euro-Währungsraum ist, können bei einer solchen Aktion von Ankauf von Staatsanleihen Verluste anfallen. Das unterscheidet eben die EZB von den anderen großen Währungsräumen und das macht dieses Instrument kaum oder nur sehr viel weniger effektiv einsetzbar als beispielsweise in den Vereinigten Staaten.

    Liminski: Das heißt, Deutschland würde mit 30 Prozent dann für diese Verluste haften?

    Kater: Ja, wenn diese Verluste auftreten würden. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass eine Schuldenschnitt-Aktion, wie das bei Griechenland der Fall gewesen ist, bei den Staatsanleihen vorgenommen wird, zumal die Europäische Zentralbank in gewisser Weise hier auch Vorkehrungen trifft.

    Liminski: Warum müssen eigentlich diese ominösen Finanzmärkte immer wieder beruhigt werden? Haben diese überhaupt Alternativen, um ihr Geld anzulegen?

    Kater: Das ist eine gute Frage. Es wird in der Diskussion häufig übersehen, dass die Staaten in den vergangenen Jahren ja die besten Kunden der Finanzmärkte waren, das heißt die größten Kreditnehmer in dem unersättlichen Kreditbedarf der Staaten bestehen. Es gibt also eine Symbiose von auf der einen Seite Kreditbedarf des Staates, auf der anderen Seite aber auch Verantwortung des Staates für die Banken. Insofern müsste dieses Verhältnis zwischen Staaten und Banken und überhaupt das Verhältnis des Staates zum Kredit neu überdacht werden, wenn wir aus diesem Teufelskreis herauskommen wollen.

    Liminski: Haben Sie da eine Idee?

    Kater: Man sollte insbesondere in der Zeit, in der die Staaten absehbar weniger leistungsfähig werden, beispielsweise wegen demografischer Entwicklungen, darüber nachdenken, das Instrument der Staatsverschuldung generell zu verbieten beziehungsweise nur zum Ausgleich von konjunkturellen Schwankungen einzusetzen. Genau das ist ja auch schon in die Politik vorgedrungen, genau das ist der Inhalt von Schuldenbremsen, die jetzt in den Verfassungen verankert werden. Allerdings: Man muss sich auch daran halten.

    Liminski: In Griechenland ziehen die Leute ihr Geld von den Banken ab. Dasselbe kann auch in Spanien passieren. Was passiert, wenn das Geld alle ist? Wird einfach neues gedruckt?

    Kater: Das Problem des Liquiditätsbedarfs, das kann die Europäische Zentralbank effektiv lösen. Die Banken haben Sicherheiten und sie haben vor allen Dingen hohe Guthaben auf den Konten der Zentralbank. Es ist dann eher ein physisches Problem, Bargeld tatsächlich bereitzuhalten. Aber in den Zeiten insbesondere des elektronischen Geldverkehrs findet eine andere Form von Kapitalflucht statt, und die ist eher unsichtbar. Die zeigt sich nicht in Schlangen vor den Schaltern, sondern die betrifft beispielsweise Überweisungen aus dem spanischen Bankensystem in Filialen dieser Banken in nordeuropäischen Ländern, weil sie dort eben vor einer Währungsseparierung sicher sind. Diese Bewegung ist schon eine Weile lang im Gange und belastet das europäische Zahlungsverkehrssystem.

    Liminski: Kann es dann zu einem Nord-Euro kommen?

    Kater: Die nordeuropäischen Länder, die gegenwärtig Kapitalzuströme haben, sind diejenigen, die als stark, als sichere Häfen angesehen werden, auch diejenigen, die im Falle einer Aufspaltung des Euro wahrscheinlich eine harte Kernwährungsunion bilden würden. Aber hier hat beispielsweise der EZB-Präsident ja heute auch klare Worte gesprochen und damit ist er in Übereinstimmung mit der europäischen Politik, und zwar nicht nur in Berlin und nicht nur in Paris, sondern in allen europäischen Hauptstädten: dass dieser Euro politisch zu wichtig ist für Europa, um ihn aufzugeben. Das heißt, man wird nach Lösungen suchen, aber nach Lösungen innerhalb des Euro. Diese Lösungen werden schmerzhaft sein, aber auch eine Auflösung des Euro wäre schmerzhaft.

    Barenberg: Ulrich Kater, der Chefvolkswirt der Deka-Bank, im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.