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Ökonom: Schwacher Dollar bedroht Standort Europa

Professor Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, geht davon aus, dass aufgrund der Wirtschaftslage in den Vereinigten Staaten der Dollar-Kurs weiterhin schwach tendieren wird. Aus Wettbewerbsbedingungen könnte deshalb eine Verlagerung von Arbeitsplätzen in den Dollar-Raum sinnvoll sein. Gleichzeitig warnte er vor der Einstellung, mit Niedriglohnländern konkurrieren zu wollen.

    Christoph Heinemann: Starker Euro - schwacher Dollar. Immer mehr deutsche Unternehmen erwägen offenbar, zukünftig im Dollar-Raum produzieren zu lassen. Dies bestätigte jetzt der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, Hannes Hesse. "Wenn der Dollar-Kurs über Jahre auf diesem niedrigen Niveau bleibt oder sogar noch schwächer wird, dann wird das ein ernstes Thema", sagte Hesse der "Berliner Zeitung". Auch die deutsche Automobilindustrie schielt ins gelobte Land der weichen Währung. Am Wochenende hatte der VW-Konzern angekündigt, neben der Errichtung eines neuen Montagewerks in Nordamerika nun auch Motoren und Getriebe dort produzieren zu wollen. - Am Telefon ist Professor Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Guten Tag!

    Professor Norbert Walter: Guten Tag!

    Heinemann: Herr Walter, bedroht der schwache Dollar den Standort Deutschland oder den Standort Europa?

    Walter: Ja, vor allem den Standort Europa, denn die Deutschen haben wenigstens noch Kostenkontrolle im Verlauf der letzten Jahre geübt und sind deshalb wettbewerbsmäßig besser als Italiener oder Spanier. In der Tat ist das sehr wichtige, dass die Vermutung sein muss, dass der Dollar sehr lange so schwach bleibt, denn wenn er es nur ein, zwei Jahre bliebe, dann könnte man durch Wechselkurs-Sicherungsgeschäfte das ganze abwettern. Wenn das aber über Jahre geht - und das ist auch meine Vermutung, dass das noch mindestens bis zum Jahr 2010, 2011 dauern wird -, dann müssen Unternehmen das überlegen, Standorte dorthin zu verlagern, wo über Wechselkursbedingungen die Wettbewerbsbedingungen sehr viel günstiger sind.

    Heinemann: Warum bleibt der Dollar dauerhaft schwach?

    Walter: Die Amerikaner haben sich vergaloppiert. Sie haben über ihre Verhältnisse gelebt. Sie haben ein Leistungsbilanzdefizit von sechs Prozent des Sozialprodukts. Das ist nicht durchhaltbar, denn sonst müssten sie jedes Jahr 800 Milliarden US-Dollar geliehen bekommen, damit sie so weiter machen können. Das wird nicht gehen. Da muss man eine Korrektur durchführen. Entweder müssten die Amerikaner eine Rezession organisieren. dass sie das nicht tun sieht man, da sie jetzt ein Konjunkturprogramm auflegen. Damit bleibt als einziges Mittel praktisch der Wechselkurs nur übrig.

    Das ist für uns unerfreulich, aber das ist eben so. Wir können den Amerikanern nicht sagen, was sie zu tun haben. Die hören nicht zu.

    Heinemann: Und die Belohnung für einen schwachen Dollar sind Arbeitsplätze?

    Walter: Sie bekommen dafür natürlich Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit. Man sollte aber auch klar erkennen: Sie reduzieren damit ihr Realeinkommen, denn die Importpreise steigen ja. Sie müssen ja sehr viel Energie importieren. Das heißt den Amerikanern wird das Leben durchaus auch ungemütlich. Sie müssen die Einkommenseinschränkungen akzeptieren. Aber sie haben dann natürlich eine Chance, damit jedenfalls aus dem Konjunkturtal herauszukommen.

    Heinemann: Aber sie haben wenigstens Arbeitsplätze. Nun hat die Bundesbank und die Europäische Zentralbank uns immer gesagt, eine starke Währung, das wäre sozusagen ein Selbstzweck.

    Walter: Das gilt wie bei vielen Dingen bis zu einem bestimmten Grat. Alle guten Sachen, von denen man zu viel hat, an denen erstickt man. So ist das jetzt mit dem starken Euro.

    Heinemann: Sind Währungsvorteile in den USA ein so starkes Argument, dass Vorteile der gegenwärtigen Standorte - etwa des Standortes Deutschland -, also verlässliche Zulieferer, qualifizierte Arbeitnehmer, nicht mehr zählen?

    Walter: Die letzten Argumente zählen und sie werden ja auch dazu führen, dass vieles bei uns bleibt. Aber dort wo es auf Kosteneffizienz ankommt, dort wird die Auslagerung relevant sein. Und man sollte bedenken: die USA sind nun keineswegs der einzige Standort, der in dieser Hinsicht attraktiv ist. Sehr viele asiatische Länder sind an den Dollar gekoppelt und haben deshalb ähnlich günstige Bedingungen. Und auch das sollten wir nicht übersehen: Die Konkurrenten aus jenen Ländern, auch aus Japan werden uns, den Deutschen, in den Wettbewerbsmärkten das Leben sehr, sehr schwer machen im Verlauf der nächsten Zeit.

    Heinemann: Herr Professor Walter, die Franzosen fordern immer wieder eine europäische Wirtschaftsregierung. Sie wollen also den Wechselkurs oder die Stärke des Euros nicht allein der Europäischen Zentralbank überlassen. Haben sie damit nicht zusätzliche Argumente jetzt?

    Walter: Die Franzosen haben ein zusätzliches Argument. Ich teile auch das Interesse am Wechselkurs. Ich wäre sehr froh gewesen, die europäische und die deutsche Wirtschaft wäre früher aufgewacht als jetzt zu Beginn des Jahres 2008. Das ist nämlich schon seit ein, eineinhalb Jahren zu sehen und alle haben vor lauter guter Aufträge diese Sachverhalte übersehen.
    Ich glaube aber, dass wir, die Europäer, auch zusammen mit den Franzosen keine Handhabe haben, den Amerikanern zu sagen, welche Wechselkurspolitik sie betreiben sollen. Ich betrachte diese Bemerkungen in Paris deshalb als interessant, aber sie werden am Ende nicht therapeutisch relevant sein. Wir werden damit keine Politik machen können.

    Heinemann: Herr Walter, die Empörung darüber, dass und in welcher Art und Weise Nokia die Mitarbeiter vor vollendete Tatsachen gestellt hat, ist groß im Lande. Mal abgesehen vom Kommunikationsstil der Unternehmensführung, inwiefern tragen Kunden, die Waren möglichst billig einkaufen wollen - Stichwort "Geiz ist geil" -, zu solchen unternehmerischen Entscheidungen bei?

    Walter: Sie sind wichtiger Teil dieses Entscheidungsprozesses und ich kann Leute, die mit ihrem knappen Einkommen möglichst preiswert einkaufen wollen, nicht kritisieren. Ich finde diese Aufregung einiger Kultureller in unserem Land außerordentlich witzig, aber nicht hilfreich. Viele gerade unserer armen Menschen sind durch Lidl und Aldi wenigstens gut versorgt worden mit Nahrungsmitteln. Statt sich darüber zu freuen, regen sich nunmehr sehr viele Leute darüber auf, dass es so etwas gibt. Wir sollten allerdings auch erkennen, dass wir in Deutschland nicht das produzieren können, was Chinesen oder was andere Länder mit niedrigen Löhnen ebenso gut können wie wir. Wir sollten lernen zu lernen. Dazu muss man aber in der Schule Mathematik ernst nehmen und dazu muss man Sprachen können. Darauf käme es an. Wir sind besser, als dass wir mit den Niedriglöhnen im asiatischen Raum konkurrieren müssten, aber dazu wäre noch einmal eine bessere Schule als das, was wir derzeit zu Stande bringen, erforderlich.

    Heinemann: Vielleicht müssen die Unternehmer auch Kommunikation lernen. Das was bei Nokia gelaufen ist, beinhaltet das nicht die Gefahr, dass die Zustimmung zur Marktwirtschaft schwindet, dass diese als nicht mehr als soziale wahrgenommen wird?

    Walter: Sie haben vollkommen Recht. Es hat keinen Sinn, nur über Kosteneffizienz und über gute Produkte nachzudenken. Wir müssen auch vermitteln, dass diese Arbeit sich für die Kunden lohnt und dass die Arbeitnehmer, wenn sie engagiert sind und weiter lernen wollen, wenn sie Weiterbildung ernst nehmen, wenn sie Anstrengung statt im Sessel sitzen ernst nehmen, auch eine wirklich gute Chance haben, ein gutes Leben an unserem Standort haben zu können.

    Heinemann: Welche Botschaft geht vom Wahlerfolg der Linkspartei für die Wirtschaft aus?

    Walter: Da bin ich nicht ganz sicher, aber ich vermute einigermaßen Erschrecken und ich glaube, dass es demnächst erst mal nur Starre gibt ob dieses Umstandes und leider noch keine konstruktiven Schlussfolgerungen. Ich beobachte immer noch viel zu viele in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, die nicht wie ich in eine Partei eingetreten sind, sondern immer noch herumschwadronieren. Nur die Beteiligung am politischen Prozess in einer Demokratie gibt eine Chance auf eine aufgeklärte Debatte, auf eine vernünftige Debatte und auf die Überwindung der derzeitigen Konfrontation.

    Heinemann: Professor Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Walter: Auf Wiederhören.