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Ökosystem Darm

In unserem Verdauungsapparat tummeln sich mehr Bakterien, als es insgesamt Zellen im Körper gibt. Die Winzlinge sorgen für eine geregelte Verdauung und schützen unsere Gesundheit. Neue Forschungsergebnisse zeigen nun, dass die richtigen Bakterien auch gegen Durchfall helfen.

Von Michael Lange |
    Auf einer Party wird Kartoffelsalat serviert, der schon ein paar Tage im Kühlschrank hinter sich hat. Beste Bedingungen für Salmonellen und andere Durchfallerreger. Für einige Menschen ist das gefährlich, für andere nicht. Warum das so ist, will Brett Finlay von der Universität von British Columbia in Vancouver, Kanada, herausfinden.

    "Immer wenn mehrere Personen verdorbene Speisen in vergleichbarer Menge verspeisen, erkranken nur einige. Bisher vermutete man als Ursache die Unterschiede im Abwehrsystem bei verschiedenen Menschen. Das ist aber falsch. Wir konnten eindeutig zeigen: Verantwortlich sind vielmehr die Unterschiede zwischen den gewöhnlichen Bakterien im Darm."

    Brett Finlay und sein Team haben sich die Zusammensetzung des Ökosystems im Darm verschiedener Menschen genauer angeschaut und die einzelnen Bakterienarten bestimmt. Insbesondere das Ergebnis aus Durchfallproben hat sie überrascht.

    "Die krankmachenden Mikroorganismen, die den Durchfall verursachen, sind nie in der Mehrheit. Die Zahl der gewöhnlichen Darmbakterien ist auch im Krankheitsfall viel höher als die Zahl der Krankheitserreger."

    Das bedeutet: Die Überzahl der normalen Bakterien kann die kleine Minderheit der schädlichen Bakterien in Schach halten. Die guten Bakterien entscheiden, wer gesund bleibt. Sie schützen uns vor krank machenden Übeltätern, so die Vermutung der Forscher.

    Um das zu beweisen, führten sie eine sogenannte Fäkaltransplantation durch. Natürlich bei Mäusen - nicht bei Patienten. Der Darm der Tiere wurde durch Abführmittel geleert und dann gereinigt. Anschließend erhielten die Versuchstiere durch einen dünnen Schlauch den Darminhalt eines anderen Tieres.

    "Einige Mäuse waren besonders empfindlich, andere nahezu resistent. Indem wir die Darmbakterien austauschten, machten wir die empfindlichen Mäuse resistent und die resistenten Mäuse empfindlich. Die Bakterien im Darm sind also für die Resistenz verantwortlich, nicht die starke oder schwache Immunabwehr der Mäuse."

    Als vorbeugende Behandlung für Menschen käme ein derartiger Bakterientausch natürlich nicht infrage. Stattdessen will Brett Finlay die Gemeinschaft der menschlichen Darmbewohner durch Nahrungsergänzungsmittel oder Bakterienpräparate verändern. Einen Markt dafür braucht er nicht lange zu suchen.

    "Wenn Menschen aus der entwickelten Welt in gefährdete Entwicklungsländer reisen, wollen sie natürlich nicht die ganzen Ferien auf der Toilette verbringen. Deshalb macht es Sinn, sich durch resistente Bakterien zu schützen. Viel wichtiger aber wäre es, etwas für die einheimischen Kinder in den betroffenen Ländern zu tun. Jedes Jahr sterben dort Millionen Kinder an Durchfall. Deshalb wollen wir herausfinden, wie man die Bakteriengemeinschaft in ihrem Darm so verändert, dass die Kinder weniger empfindlich sind - gegenüber Durchfall und Kinderkrankheiten."

    Eine einmalige Bakterienlieferung würde allerdings nicht dauerhaft schützen. Das steht fest. Denn die Lebewelt im Darm passt sich an die Ernährung an. Kinder, die genug und abwechslungsreiches Essen erhalten, besitzen auch viele schützende Bakterien.