Freitag, 19. April 2024

Archiv

Ökosystemleistungen
Die Natur gibt - der Mensch zerstört

Der Zustand der Natur verschlechtert sich beispiellos und das Artensterben beschleunigt sich - so das Fazit des globalen Zustandsberichts des Weltbiodiversitätsrats. Was das konkret bedeutet, haben Forscher nun erstmals in einem globalen Atlas der Ökosystemdienstleistungen zusammengestellt.

Von Dagmar Röhrlich | 11.10.2019
Der Weidebetrieb sorgt für die Landschaftpflege. Eine Schafherde auf einer Weide in Wiesenthal im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön
Eine Schafherde auf einer Weide in der Rhön. (picture alliance / dpa / Klaus Nowottnick)
Es gibt kaum noch einen Platz auf der Welt, den der Mensch nicht tiefgreifend verändert hat, sodass derzeit eine Million Arten vom Aussterben bedroht sind. Und Verluste in diesem Ausmaß wird die Menschheit zu spüren bekommen – denn ihr Überleben ist abhängig von funktionierenden Ökosystemen.
"Wir wissen seit einiger Zeit, dass die Natur uns auf vielfachen Wegen unterstützt und dass wir uns sehr auf sie verlassen. Doch uns fehlten die Informationen darüber, wo genau wir die Natur, die uns unterstützt, schützen müssen."
Schon heute sind die Ökosysteme weniger leistungsfähig als noch vor 50 Jahren, erklärt Rebecca Chaplin-Kramer. Sie leitet die Forschergruppe der Stanford University und der University of Minnesota, die den globalen Atlas der Ökosystemdiensteistungen erstellt hat. In ihm wird prognostiziert, wie sich bis zum Jahr 2050 drei Ökosystemdienstleistungen entwickeln werden.
Welche Komponente der Natur erbringt welche Leistung?
"Wir haben uns für unseren Atlas mit den Bienen und anderen natürlichen Bestäubern beschäftigt, die die Ernten verbessern. Zweitens mit den Pflanzen, die an Bächen und Hängen wachsen und für uns Schadstoffe aus dem Wasser filtern und es reinigen. Und drittens mit den Mangroven, Korallenriffen oder auch Salzmarschen, die uns vor Stürmen, Erosion und Überschwemmungen schützen. All diese Systeme bringen einen lokalen Nutzen. Wenn wir verstehen wollen, wo die Natur uns wie sehr nützt, brauchen wir über die ganze Welt hinweg einen Atlas mit einer sehr hohen räumlichen Auflösung."
Die ist inzwischen dank Fortschritten in der Satelliten- und Rechentechnik kein Problem mehr. Beispiel: die Wasserqualität.
"Wir berücksichtigen mit hochauflösenden Daten, welche Pflanzen in der Nähe von Seen und Flüssen wachsen, wie die Hangneigung ist, wie schnell das Wasser abläuft, die Niederschlagsmengen und wie viel Dünger in der Landwirtschaft ausgebracht wird. Und daraus berechnen wir, wo die Natur am effizientesten Schadstoffe aus dem Wasser filtert, bevor sie in die Flüsse gelangen."
Forscher berechnen Zustand des "Naturkapitals" bis 2050
Der nächste Schritt sind dann die Berechnungen, wie gut die Natur im Jahr 2050 noch funktionieren dürfte – und zwar für drei verschiedene Zukunftsszenarien mit Blick auf die Landnutzung, Klima und Bevölkerungsentwicklung:
"In einem Szenario, das wir betrachtet haben, lebt die Menschheit nachhaltiger. In einem zweiten verstärken sich nationalistische Tendenzen mit Handelshemmnissen, wodurch die Landnutzung überall stark intensiviert wird. Beim dritten steigt der Einsatz fossiler Brennstoffe und die Landnutzung und der Klimawandel verstärkt sich."
Die Ergebnisse der Berechnungen sind besorgniserregend:
"2050 werden – je nach Szenario – bis zu fünf Milliarden Menschen unter einer höheren Wasserverschmutzung leiden und darunter, dass es weniger Bestäuber gibt, sodass die Ernten schlechter werden. Weitere 500 Millionen Menschen an den Küsten werden ein höheres Risiko haben, dass Sturmfluten sie treffen und Überschwemmungen. In Afrika und Südasien wird die halbe Bevölkerung diesen zusätzlichen Risiken ausgesetzt sein."
Um die Folgen so gut es geht zu verhindern oder abzumildern, kann jeder online mit dem Atlas arbeiten und ablesen, wo lokal besonders wichtige Ökosysteme sind. Die, so hoffen die Forscher, könnten künftig dann auch besonders gut geschützt – oder durch gezielte Investitionen verbessert werden.