Die Türkei gilt heute als muslimisches Land, doch die Wurzeln der christlichen Kultur reichen so tief, dass sie auch unter der erdrückenden Übermacht des neuen Glaubens nicht ersticken. Anatolien ist die historische Heimat des Christentums - hier gründeten die Apostel die ersten Gemeinden, hier wurden die Anhänger von Jesus Christus erstmals Christen genannt.
In Konstantinopel, wie Istanbul früher hieß, stieg das Christentum von einer verfolgten Sekte zur Staats- und Weltreligion auf. Und hier, auf heute türkischem Boden – in Nicaea und Ephesus, in Konstantinopel und Chalcedon –, wurden auf sieben Ökumenischen Konzilen die Grundlagen der christlichen Theologie erarbeitet. Daran erinnerte vor dem Besuch der Apostolische Vikar von Istanbul, Bischof Louis Pelatre:
"Die Beschlüsse dieser Konzile stellen die Fundamente des Glaubens dar, heute wie in der gesamten Geschichte der Kirche. Ebenso wie die orthodoxe Kirche bekennen auch wir Katholiken uns zu diesen sieben Konzilen."
Hier in Konstantinopel war es freilich auch, dass es zum Bruch kam zwischen dem Westen und dem Osten in der Kirche, dem Großen Schisma der Christenheit, die daran zerbrach und sich in zwei Kirchen teilte: die römisch-katholische Kirche und die Orthodoxie. Im Jahr 1054 vollzog sich dieses Zerwürfnis, als ein päpstlicher Gesandter bei einem dramatischen Auftritt in der Hagia Sophia den Patriarchen exkommunizierte.
Kirchenspaltung im Jahr 1054
Fast ein Jahrtausend später zählt die griechisch-orthodoxe Gemeinde von Istanbul zwar keine 2000 Seelen mehr. Doch der Patriarch von Konstantinopel ist noch immer der primus inter pares unter den orthodoxen Kirchenoberhäuptern, der Erste unter Gleichen, und damit spirituelles Oberhaupt von über 300 Millionen orthodoxen Christen in aller Welt. Damit ist der Patriarch auch der Ansprechpartner für den Papst in den gemeinsamen Bemühungen um eine Überwindung der fast tausendjährigen Kirchenspaltung, die nach langer Eiszeit vor 50 Jahren begannen.
Im Jahr 1964 war das, in Jerusalem: Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras beten zusammen das Vaterunser – der eine auf Latein, der andere auf Griechisch. Es war das erste Gipfeltreffen der beiden Kirchen seit Jahrhunderten und bildete den Auftakt zu einer behutsamen Annäherung. Seit dem Amtsantritt des gegenwärtigen Patriarchen Bartholomäus haben die Einigungsbemühungen neue Schubkraft entwickelt, sagt Pater Dositheos, der Sprecher des Patriarchats von Konstantinopel:
"Mit der Zeit von Bartholomäus und Johannes Paul II. beziehungsweise nachher dem deutschen Papst, da hat die Sache ein wissenschaftliches Fundament gekriegt. Das heißt, jetzt machen wir eine Prinzipiendiskussion und wollen wissen, was uns trennt, was uns eint, damit wir auf beiden Seiten aufbauen, sowohl das Positive verstärken, als auch das Negative abbauen können."
Viele weitere Schritte auf die Einheit hin haben Patriarch und Päpste in den letzten Jahren getan, mit Besuchen und Gegenbesuchen in Rom und Istanbul und mit Kommissionen, die an den theologischen Feinheiten feilen. Bei einem dieser Besuche rezitierten Bartholomäus und Benedikt gemeinsam das christliche Glaubensbekenntnis von Nicaea:
"Ich glaube an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat."
Glaubensbekenntnis eint alle Christen
Im Jahr 325 schon wurde dieses Glaubensbekenntnis ausformuliert, das alle Christen der Welt bis heute eint, und zwar beim ersten Ökumenischen Konzil in Nicaea, einer Stadt, die heute Iznik heißt und im Nordwesten der Türkei liegt. Nach Nicaea, zu ihren gemeinsamen Wurzeln, wollen die beiden Kirchen nun zurückkehren – mit einem neuen Ökumenischen Konzil in Iznik im Jahr 2025, genau 1700 Jahre nach dem ersten Konzil. Ein entsprechender Vorschlag des Patriarchen sei im Vatikan gut angekommen, sagt Pater Dositheos:
"Eine Perspektive, einen Wunsch gibt es von beiden Seiten, sowohl von der römisch-katholischen als auch von der orthodoxen Kirche, was das Nicaeum von 2025 betrifft. Da haben wir eine schöne Möglichkeit, mal wieder gemeinsam etwas Ökumenisches zu feiern, was auch einen Inhalt hat in Bezug auf die zukünftige Wiedervereinigung der großen Kirchen. Hauptsache ist, dass wir dazu erst mal wieder gemeinsam unter ein Dach kommen können."
Unter einem Dach trafen sich Papst Franziskus und Patriarch Bartholomäus gestern Abend schon einmal zu einem Gespräch im engsten Kreis. Die Erwartungen an die beiden Kirchenführer sind groß, sagt Pater Dositheos:
"2054 werden es tausend Jahre sein. Viele von uns, darunter ich auch und viele jüngere Leute, erwarten, dass es im Jahr 2054 kein Schisma mehr geben wird."