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Öl - für Nigeria kein Segen, sondern ein Fluch

Wenn es um den Benzinpreis geht, dann wird hierzulande heftig diskutiert, sobald die Preise um ein paar Cent steigen. Wenn es sich aber darum dreht, woher der Rohstoff für Benzin kommt und unter welchen Umständen das Öl gefördert und transportiert wird, dann erhebt sich kaum eine Stimme. Solche Sachen passieren weit weg, in Russland, in Ecuador oder in Saudi-Arabien. Bilder von ölverschmutzten Landstrichen erschrecken zwar, aber damit hat es sich auch meist. Dabei sind die Auswirkungen der Ölindustrie auf die Umwelt und auf die Bevölkerung enorm, wie wieder einmal eine Informationsveranstaltung beim katholischen Hilfswerk Misereor in Aachen am Beispiel von Nigeria zeigte.

Autorin: Ulrike Zimmermann | 22.07.2004

    Das "schwarze Gold", das Erdöl, ist für Nigeria kein Segen, sondern ein Fluch. So haben die Experten auf der Informationsveranstaltung in Aachen die derzeitige Situation in dem westafrikanischen Staat zusammengefasst. Einige wenige profitieren, Umwelt und Bevölkerung leiden:

    Die Umweltzerstörungen sind katastrophal. Wenn man durch Nigeria fährt, durch die Gegenden, wo das Öl abgebaut wird, vor allem im Küstenbereich: Es wird wahnsinnig viel Gas abgefackelt, aus den Wäldern kommen hohe Flammen raus, Tag und Nacht, was auch sicherlich auf das Mikroklima dort in der Gegend ganz großen Einfluss hat. Vieles Öl, was daneben läuft, was überläuft, versickert in den Böden. Bei einem Besuch, auf der Straße von Port Harcourt nach Calabar, habe ich angehalten und war wirklich mit den Füßen im Öl.

    Adolf Wendel ist Länderreferent des katholischen Hilfswerks Misereor und unter anderem zuständig für Nigeria. Misereor setzt sich zusammen mit anderen Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen dafür ein, dass der Öl-Multi Shell, einer der führenden Ölproduzenten im Niger-Delta, seine zum Teil maroden Ölförderanlagen auf den neuesten technischen Stand bringt und die entstandenen Umweltschäden beseitigt. Die Fachleute berichten von rund 300 Pipeline-Brüchen und Lecks pro Jahr. Die Organisationen engagieren sich außerdem dafür, dass die Menschen, die in den Ölfördergebieten leben, entschädigt werden und von den dicken Gewinnen aus dem Ölgeschäft etwas abbekommen:

    Die Ölfirmen machen große Gewinne, aber diese Gewinne, die eigentlich dem Land zur Verfügung stehen sollten, fließen auf diverse europäische Konten. Sie gehen vor allem nicht dorthin, wohin sie gehen müssten, nämlich in die Gegenden, wo das Öl abgebaut wird. Dann würden die Leute von dem Öl auch wirklich etwas haben, sie würden sehen, dass Schulen gebaut werden, dass Straßen gebaut werden, dass Trinkwassersicherung geschaffen wird, dass medizinische Einrichtungen geschaffen werden. Aber das, was sich da abspielt, das ist nach außen orientiert und eine ganz kleine Clique von Nigerianern profitiert davon.

    Es gibt zwar Verträge zwischen der nigerianischen Regierung und den Ölkonzernen wie zum Beispiel Shell, dass sie für die von ihnen verursachten Umweltschäden bezahlen müssen. Dieses Geld aber, berichten die Experten auf der Veranstaltung in Aachen, verschwindet meist in den Taschen von korrupten Regierungs- und Verwaltungsbeamten. Das "Centre for Social and Corporate Responsibility" in der Stadt Port Harcourt will das verhindern. Dort arbeitet seit vielen Jahren auch der irische Priester Kevin O'Hara. Das Zentrum ist, wie er erläutert, gleichsam eine vermittelnde Instanz zwischen den betroffenen Kommunen, den Ölkonzernen und der Regierung. O'Hara berichtet von ersten Erfolgen:

    Der erste Erfolg war, dass Shell unter Druck eine Entwicklungsabteilung im Konzern selbst eingerichtet hat, um sicher zu stellen, dass die Projekte, die gemacht werden sollen, auch wirklich durchgeführt werden, und dass nicht einfach nur Geld verschwendet wird, indem es irgendwelchen Leuten gegeben wird.
    Auf eine solche Unterstützung, wie sie das Zentrum in Port Harcourt gibt, sind die Menschen im Niger-Delta dringend angewiesen, erklärt Adolf Wendel von Misereor. Sie selbst haben kaum eine Chance, sich zu wehren, dagegen, dass sie von ihren Ländereien vertrieben werden, dass ihr Trinkwasser und ihre Böden verseucht sind, dagegen, dass sie unter erbärmlichen Bedingungen leben müssen, obwohl mit dem schwarzen Gold aus ihrem Boden so viel Gewinn gemacht wird. Denn wer sich wehrt, berichtet Wendel, landet im Gefängnis:

    Viele werden in Untersuchungshaft genommen, jahrelang, kein Prozess, die Familien wissen zum Teil gar nicht, wo sie sind, sie haben auch keine Vertretung, keine Rechtsberatung. Da gibt es Gott sei Dank Einrichtungen, die auch Misereor unterstützt, die sich zur Aufgabe gemacht haben, herauszufinden, wer ist Untersuchungshäftling, wie steht es mit Akten, gibt es einen Prozess. Viele sind nach vielen Jahren als Untersuchungshäftling wirklich menschlich gebrochen.

    Nach Einschätzung der Fachleute auf der Veranstaltung in Aachen werden sich die Zustände in Nigeria nur durch internationalen Druck auf die Ölkonzerne und auf die Regierung ändern. Ändern müsste sich allerdings auch, so der moralische Appell, die Einstellung der westlichen Länder, die Öl aus Nigeria kaufen. Sie müssten darauf bestehen, dass dieses Öl sauber ist.