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Öl- und Gasförderung
Erdbebenrisiko durch verpresstes Schmutzwasser

Früher waren Erdbeben in Oklahoma kein Thema, doch seit 2009 traten sie immer häufiger auf. Forscher vermuteten, dass diese durch die Öl- und Gasförderung ausgelöst werden könnten. Dabei wird nämlich anfallendes Schmutzwasser in großem Maßstab in den Untergrund verpresst. Nun haben Geophysiker ein statistisches Modell entwickelt, mit dem sich das Verhalten des Untergrunds vorhersagen lässt.

Von Dagmar Röhrlich | 01.12.2016
    Eine Erdölpumpe im Sonnenuntergang.
    Bei der Öl- und Gasförderung in Oklahoma fällt ungewöhnlich viel Schmutzwasser an - was die Ölindustrie in tiefe Gesteinsschichten verpresst. Wird zu viel Wasser in kurzer Zeit verpresst, kommt es zu Erdbeben (imago / Levine-Roberts)
    Im September 2016 erschütterte ein Erdbeben der Magnitude 5,8 den Ort Pawnee in Oklahoma. Dieses Beben ist der bisherige Höhepunkt einer Entwicklung, die 2009 einsetzte. Denn seit 2009 hat sich in Oklahoma plötzlich die Zahl der spürbaren Erdbeben vervielfacht: von einem pro Jahr auf bis zu zwei oder drei pro Tag:
    "Zunächst einmal war es aber unklar, was denn den Anstieg der Erdbebenaktivität eigentlich verursacht. Was klar war ist, dass in Oklahoma traditionell sehr viel Öl gefördert wird. Und das Besondere bei der Ölförderung in Oklahoma ist, dass mit dem Öl auch sehr viel Wasser gefördert wird. Um dieses Schmutzwasser nun zu entsorgen, hat die Ölindustrie schon seit vielen Jahren dieses Wasser durch Bohrungen in eine tiefe Gesteinsschicht gepumpt."
    Lange gab es damit keine Probleme, erklärt Cornelius Langenbruch von der Stanford University. Doch als die Firmen aufgrund des hohen Ölpreises ihre Förderung verstärkten und deshalb auch viel mehr Abwasser in diese tiefe Gesteinsschicht injiziert wurde, reagierte der Untergrund: Das Verpressen ändert die Druckverhältnisse an den tektonischen Bruchflächen:
    "Solange wenig Wasser in den Boden verpresst wird, steigt der Druck sehr langsam an. Das heißt, die Kraft, die also diese Bruchflächen, die im Untergrund existieren, reaktivieren kann, die ist sehr gering. Wenn aber jetzt sehr viel Wasser in einem kurzen Zeitraum eingepresst wird, dann ist der Druckanstieg sehr sehr hoch, und es werden immer mehr Bruchflächen reaktiviert."
    Sprich - es werden Erdbeben ausgelöst. Bei diesem Prozess gibt es offensichtlich einen Grenzwert: Sobald dieser Grenzwert überschritten wird, steigt die Erdbebenrate proportional zur verpressten Wassermenge an - und zwar umso stärker, je mehr eingepresst wird. Diesen Zusammenhang nutzten die Forscher für ein Vorhersagemodell:
    "Wenn man also dieses Verhältnis einmal kalibriert hatte - das heißt, man braucht eine genügende Anzahl von Erdbeben und gute Kenntnis über das Injektionsvolumen -, dann kann man also dieses kalibrierte Modell benutzen, um zu verstehen, was in der Zukunft basierend auf dem geplanten Injektionsvolumen in der Zukunft passieren wird."
    Seit Senkung der Förderrate 2014 nimmt auch Erdbebenrate ab
    Dass der Ölpreis Ende 2014 abzusinken begann, brachte dann direkt einen Praxistest für das Modell. Als die Förderrate sank, sank tatsächlich rund ein halbes Jahr später auch die Erdbebenrate, berichtet Cornelius Langebruch:
    "Im Vergleich zu 2015, wo wir also ungefähr 60 bis 90 Erdbeben pro Monat registriert haben, können wir jetzt schon im November dieses Jahres, in diesem Monat, sind nur 24 Erdbeben aufgetreten. Das heißt, wir haben schon eine Reduzierung der spürbaren Erdbeben von 60 bis 70 Prozent in Oklahoma feststellen."
    Da außerdem Anfang 2016 die Behörden die Abwassermenge stark reduziert haben, die verpresst werden darf, dürfte sich die positive Entwicklung fortsetzen. Allerdings dauert es den Simulierungen von Cornelius Langenbruch zufolge noch fünf bis zehn Jahre, bis der Normalzustand aus der Zeit vor 2009 wieder hergestellt ist:
    "Selbst wenn man den Prozess abstellt und gar kein Wasser mehr in den Untergrund fördert, wird es immer noch einige Zeit dauern, bis die Erdbeben komplett abgeklungen sind."
    Die Erdbebenrate und die Wahrscheinlichkeit von größeren Erdbeben werde sich nur langsam wieder normalisieren. Dass immer noch stärkere Beben mit Magnituden von 5 und mehr möglich sind, haben allein in den vergangenen Wochen zwei Ereignisse bewiesen.
    Nein, das Modell sei keine "Spezialanfertigung" für Oklahoma. Es lasse sich überall anwenden, wo Flüssigkeiten in den Untergrund verpresst würden, erklärt Cornelius Langenbruch: Allerdings muss es jedes Mal neu kalibriert werden. Doch dafür muss ein Gebiet genau seismisch überwacht werden, denn selbst kleinste Erdbeben werden wichtig. Und es muss bekannt sein, wieviel Flüssigkeit wo verpresst wird.