Donnerstag, 25. April 2024

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Ölplattformen
"Lebensräume, in denen junge Fische sich wohlfühlen"

Fische lieben Ölplattformen - zu diesem Schluss kamen Forscher um Jeremy Claisse vom Occidental College in Los Angeles, die die Lebensräume an Bohrinseln beobachtet haben. "Unsere Studie deutet darauf hin, dass die Plattformen biologisch sehr produktive Lebensräume darstellen können", sagte der Biologe im DLF.

Jeremy Claisse im Gespräch mit Monika Seynsche | 14.10.2014
    Fische schwimmen um die Basis einer nachgebauten Ölplattform als Teil eines Ausstellungsstücks des Audubon Aquarium of the Americas in New Orleans, USA
    Ölplattformen bilden unter Wasser komplexe Strukturen, die Fischen ideale Lebensräume bieten. (AFP / Mark Ralston)
    Monika Seynsche: Warum mögen Fische Ölplattformen? Das klingt erst mal ziemlich seltsam.
    Jeremy Claisse: Die Fische, die wir untersucht haben, waren Felsenbarsche und einige andere, die sowohl als Jungtiere als auch als Erwachsene felsige, riffartige Lebensräume bewohnen. Ölplattformen wiederum fußen auf sehr komplexen Strukturen und diese Strukturen ziehen sich vom Meeresboden bis hinauf zur Meeresoberfläche. Sie stellen also ein sehr großes Habitat auf einer relativ kleinen Fläche dar und bieten oberflächennahe Lebensräume fernab des Bodens, in denen sich junge Fische wohlfühlen. Werden sie älter, wandern sie in größere Tiefen und finden am Fuß der Anlagen Lebensräume, in denen sie sich wohlfühlen. Viele der großen ausgewachsenen Tiere leben gern am Fuß der Fundamente.
    Seynsche: Woran können Sie erkennen, dass die Fische sich an den Ölplattformen wohlfühlen? Sie können Sie ja nicht fragen.
    Claisse: Das sehen wir hauptsächlich an der Zahl der Fische, die kontinuierlich an diesen Strukturen leben. Meine Koautoren fahren seit über 15 Jahren mit kleinen U-Booten hinaus und beobachten die Lebensräume an den Ölplattformen. Ihre Messungen sind in unser Modell eingeflossen, mit dem wir die Produktivität abgeschätzt haben. Dort unten finden sich stetig große Zahlen dieser Fische, die ihr Leben in der Nähe dieser Plattformen verbringen. Darüber hinaus gibt es einige Studien, die sich die Wachstumsraten von Fischen und wirbellosen Tieren angeschaut haben, wie etwa Muscheln, die direkt auf der Plattformstruktur sitzen. Und diese Studien haben gezeigt, dass die Tiere an den Plattformen genauso schnell oder sogar schneller wachsen als in natürlichen Lebensräumen. Auch das zeigt uns, wie glücklich die Fische und Wirbellosen an diesen Strukturen sind.
    Seynsche: Können Sie sich erklären wieso? Es klingt doch erst mal widersprüchlich, dass Fische solche künstlichen Strukturen einem natürlichen Lebensraum gegenüber vorziehen.
    Claisse: Der größte Vorteil für diese Fische liegt wahrscheinlich darin, dass die Plattform sich durch die ganze Wassersäule zieht. Hier verfängt sich viel Futter, wie Zooplankton und Phytoplankton. Und es gibt fernab des Meeresbodens vielfältige Strukturen, in denen die jungen Fische Verstecke finden - weit weg von möglichen Räubern. Denn die größeren Fische leben eher am Fuß der Plattform. Mein Koautor Milton Love hat diese Lebensräume deshalb als Kinderstuben bezeichnet, weil so viele junge Fische in den oberen Teilen der Plattform leben. In natürlichen Riffen finden sich typischerweise nicht so viel harte, oberflächenreiche Strukturen, in denen die Fische sich verstecken und Nahrung finden können.
    Seynsche: Aber werden die Fische nicht gestört durch die Aktivitäten auf der Plattform, durch Schadstoffe, die ins Wasser gelangen, durch Bauarbeiten auf der Plattform? Ich könnte mir vorstellen, dass da auch sehr viel Lärm entsteht bei der Förderung des Öls.
    Claisse: Genau daran wird zurzeit sehr intensiv geforscht. Marine Säugetiere wie Wale und andere, die sich mithilfe von Geräuschen orientieren, werden durch den Lärm definitiv gestört. Fische scheinen sich aber weniger daran zu stören. Was die Schadstoffe angeht, gab es vor kurzem eine Studie, die in den Geweben der Fische an den Ölplattformen nicht mehr Schadstoffe entdeckte als bei Fischen, die in natürlichen Riffen leben. In dieser Hinsicht scheinen sie also nicht beeinflusst zu werden von den Aktivitäten auf den Plattformen.
    Seynsche: Was schließen Sie denn aus Ihren Ergebnissen? Sollte man jetzt mehr Ölplattformen bauen?
    Claisse: Nun, ich denke, die Studie lässt eine Reihe von Schlüssen zu. Wir müssen zum Beispiel entscheiden, was wir mit Plattformen machen, wenn dort kein Öl oder Gas mehr gefördert wird. Sollte man dann einen Teil der Plattform stehen lassen oder sie ganz abreißen? Unsere Studie deutet darauf hin, dass diese Plattformen biologisch sehr produktive Lebensräume darstellen können und es möglicherweise sinnvoll ist, sie stehen zu lassen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.