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Ölstreit zwischen Russland und Weißrussland

Russland hat in den letzten Monaten beständig den Druck auf Weißrussland erhöht. Erst drohte eine Vervierfachung des Gaspreises für das Nachbarland und nun verteuerte Gazprom per Erlass auch noch die Ölausfuhr nach Weißrussland. Damit erreichte der ursprünglich ums Gas entbrannte Preiskrieg zwischen Weißrussland und Russland einen neuen Höhepunkt. Jetzt wurde die Durchleitung von russischem Öl gestoppt. Ein Bericht von Florian Kellermann:

09.01.2007
    Bis vor kurzem sprach der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko gerne von der ewigen Freundschaft zwischen den slawischen Nationen. In den vergangenen Wochen hat er seine Rhetorik radikal geändert. Er wirft dem großen Nachbarn Russland vor, die Wirtschaft seines Landes aus politischen Gründen in den Ruin zu treiben. Viele Weißrussen sehen das ähnlich: Erst verdoppelte Gasprom den Preis für Erdgas auf 100 Dollar pro tausend Kubikmeter. Und nun, seit Anfang Januar, liefert Russland kein billiges Öl mehr. Moskau wolle den Nachbarn letztlich zum Anschluss an Russland zwingen, meinen viele.

    Denn ohne das billige Öl müssen sich die Weißrussen auf einen niedrigeren Lebensstandard einstellen. Der Minsker Wirtschaftswissenschaftler Leonid Zlotnikow:

    "Weißrussland nahm bisher jährlich drei bis vier Milliarden Dollar dadurch ein, dass es russisches Öl verarbeitete und die Produkte in den Westen weiterverkaufte. Wenn dieses Geld wegfällt, wird der Lebensstandard sinken. Und auch die Unternehmen werden es spüren. Noch weniger Mittel werden in Investitionen fließen und die Konkurrenzfähigkeit unserer Produkte sinkt weiter. Schon bisher wird es mit jedem Jahr schwieriger, uns auf dem russischen Markt zu behaupten."

    Natürlich lieferte Russland das billige Öl nicht, um die weißrussische Wirtschaft voranzubringen. Leonid Zlotnikow:

    "Russland hat schon immer aus geopolitischen Erwägungen geholfen. Es unterstützt absichtlich ein Regime, das antiamerikanisch und antieuropäisch ist, um es an sich zu binden. Das kommt durch eine Psychose, die in Moskau häufig anzutreffen ist. Dort glaubt man, der Westen wolle Russland zerstören. Dem will man ein Bündnis mit Weißrussland und anderen ehemaligen Sowjet-Republiken entgegensetzen, um wieder zu einer Weltmacht aufzusteigen."

    Die gelenkten weißrussischen Medien sprachen in den vergangenen Jahren von einem Wirtschaftswunder und nannten Wachstumszahlen von rund zehn Prozent. In der Tat stiegen die Reallöhne. Erst 150, dann 200, nun 250 Dollar im Monat - die Regierung versprach den Weißrussen einen immer höheren Durchschnittslohn. Ohne das billige Öl aus Russland wäre das nicht möglich gewesen.

    Schon jetzt ahnen viele Weißrussen, dass ihr Wohlstand der vergangenen Jahre nicht das Verdienst von Lukaschenko war - sondern ein Geschenk aus Moskau. Die Universitätsdozentin Olga Timofejewna zum Beispiel, die einst von dem autoritären Präsidenten überzeugt war, hält seine Außen-Politik inzwischen für verfehlt.

    "Das konnte nicht mehr gut gehen. Gegenüber Moskau immer nur Versprechen geben, Treue schwören, den Verbündeten spielen - und dafür einen realen Gegenwert erwarten. Weißrussland hat seine Unabhängigkeit erklärt, ohne de facto unabhängig zu werden. Wir hatten Glück, dass Russland lange Zeit nicht an den Marionettenfäden gezogen hat, an denen wir hängen. Aber nun beginnt Moskau, mit uns zu spielen."
    In der Tat hatte Lukaschenko lange so getan, als wolle er sein Land mit Russland vereinen. Aber immer, wenn die Vorschläge aus Moskau konkret wurden, wich er aus. Oder stellte, wie Insider berichten, Forderungen, die für den Kreml unannehmbar sind. So hatte Lukaschenko eigentlich vor, bei den russischen Präsidentenwahlen anzutreten und das Oberhaupt des gemeinsamen Staates zu werden. Und tatsächlich - als noch Boris Jelzin in Moskau regierte, sahen viele Russen mit Neid auf Weißrussland und seinen autoritären Präsidenten. Aber mit jedem Jahr der Putin-Regierung sanken Lukaschenkos Chancen: Der russische Präsident stabilisierte die politische Lage, wenngleich auch mit eiserner Hand.

    Wenn es nach den jungen Menschen in Weißrussland geht, kommt eine Vereinigung ohnehin nicht in Frage. Demokratie haben sie unter Lukaschenko zwar nicht kennengelernt, aber an die Unabhängigkeit haben sie sich gewöhnt.

    Die 17-jährigen Andrej und Alexej, zwei Schüler aus Grodno:

    "Ich habe Verwandte in Russland. Wenn ich mit dem Zug von dort heimkomme, dann sehe ich den Unterschied zwischen den beiden Ländern. Dort sind die Felder mit Unkraut überwachsen, bei uns werden sie bestellt. Wir sind eine fleißigere Nation, wir sind ruhiger, besonnener und übrigens auch gastfreundlicher."

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