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Ölunfall bedroht das Wattenmeer

Umwelt. - Vor einer Woche hat der Frachter "Duncan Island" vor der niederländischen Insel Terschelling neun Container Bananen verloren. Was bloß kurios gewesen wäre, wurde zum Unglück, weil dabei einer der Tanks des Schiffes beschädigt worden ist. 90 Kubikmeter Öl liefen aus und gefährden das Wattenmeer.

Von Frank Grotelüschen | 14.11.2007

    Das Wattenmeer ist einzigartig: Lebensraum für unzählige Muscheln, Krebse und Würmer. Brutstätte und Rastplatz für zahllose Vögel. Aber das Wattenmeer ist auch hochempfindlich, und zwar besonders, wenn eine Ölpest droht. Das Öl verschmiert nicht nur das Federkleid der Vögel, es dringt auch tief in den Schlick ein. Und dort bleibt es dann erst mal, bis zu 20 Jahre lang.

    Nur: Welche Bereiche im deutschen Wattenmeer sind ganz besonders empfindlich, welche weniger? Genau diese Frage stellten sich die Leute um Karl-Heinz van Bernem, Meeresbiologe am Forschungszentrum Geesthacht.

    "Wir wussten, wie empfindlich verschiedene Lebensräume sind. Wir wussten nur nicht, wo sie sich befinden im Wattenmeer. Und diese war Gegenstand der Kartierung - herauszukriegen, wie viele dieser Lebensräume wir haben und wo sie sich befinden."

    Also marschierten die Forscher die gesamte deutschen Wattenküste ab und maßen alle 1000 Meter, wie der Boden dort beschaffen war und welche Lebewesen in ihm hausten. Außerdem sammelten sie sämtliche Infos darüber, welche Vögel zu welcher Jahreszeit im Watt brüten oder rasten. Alle diese Daten fassten Bernem und seine Mitstreiter dann per Rechner zusammen. Das Resultat ist eine Art Computerkarte der deutschen Küste, ein bunter Flickenteppich auf dem Bildschirm.

    "Man sieht unterschiedliche Färbungen, die in vier Abstufungen gewählt sind, von gering = Grün bis hochempfindlich = Magenta. Dem überlagert sind die Bereiche, die von bestimmten Vögeln zur Nahrungsaufnahme oder für ihre Brutgepflogenheiten genutzt werden. Beides zusammen ergibt dann jahreszeitlich unterschiedliche Empfindlichkeitsgrade."

    Wie empfindlich das Wattenmeer gegenüber einer Ölpest ist, hängt entscheidend von der Jahreszeit ab. In manchen Sommermonaten ist sie ganz besonders hoch, dann brüten und rasten die Vögel im Watt. Im Winter dagegen ist die Lage weniger angespannt. Die Fauna und Flora hält Winterschlaf. Diese jahreszeitlichen Schwankungen sind in der neuen Computerkarte berücksichtigt, sagt Hans-Werner Monsees, Leiter des Havariekommandos in Cuxhaven.

    "Das ist für uns eine ganz wichtige Entscheidungshilfe, um zu sehen; Wenn wir einen Ölunfall haben, welche Gebiete sind betroffen und wie sind sie zu schützen? Die Sensitivitätskarte gibt uns Hinweise, ob ich in diesem Bereich Vögel habe, die dort gerade brüten. Dann habe ich einen weiteren Einsatzschwerpunkt und muss dort meine Maßnahmen ansetzen."

    Maßnahmen, die unter anderem Ölbekämpfungsschiffe umfassen. Sie können das Öl von der Meeresoberfläche absaugen oder Ölsperren ausbringen. Und es sind Einsatzkräfte, die sich am Strand um verdreckte Vögel kümmern, sagt Karl-Heinz van Bernem.

    "Ich will ein Extrembeispiel nennen: Auf der Karte befinden sich Gebiete mausernder Vögel, die flugunfähig sind. Dann kann man sich überlegen, ob ich das Öl weit draußen im Offshore-Bereich bereits mit chemischen Mitteln dispergiere, was man sonst sehr ungern tut, um diese mausernden Vögel zu schützen."

    Heute wurde die Computerkarte offiziell übergeben. Doch zum Einsatz kam sie schon vor ein paar Tagen. Da nämlich hatte der Bananenfrachter "Duncan Island" vor den ostriesischen rund 90 Kubikmeter Öl verloren. Schnell war klar, dass vor allem die Inseln Juist und Spiekeroog betroffen sein würden. Und die neue Computerkarte hat dem Havariekommando verraten, dass sich dort vor allem Trauerenten aufhielten.

    "Das heißt, verölte Vögel werden in der Mehrzahl Trauerenten sein. Sodass sich auch die Reinigungskräfte darauf einstellen können, Denn jede Rasse muss anders behandelt werden. Das sind wichtige Informationen, die man aus einem solchen System gewinnt, sodass die Kräfte wissen, was auf sie zukommt."

    Welche Folgen der aktuelle Ölunfall hat, ist noch nicht definitiv zu sagen, meint Hans-Werner Monsees. Doch zum Glück scheinen sie überschaubar. Denn der Sturm der letzten Tage hat das Öl so stark verwirbelt, dass sich kein größerer Ölteppich bilden konnte.