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Österreich rechtsaußen

Österreichs Rechts-Populisten setzen auf die Jugend. Und ihre Rechnung scheint aufzugehen. Warum fällt der National-Konservativismus in Österreich heute augenscheinlich auf so fruchtbaren Boden? Damit beschäftigen sich drei Neuerscheinungen in unserem Nachbarland.

Von Mariele Schulze-Berndt | 29.06.2009
    Jörg Haider raste in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2008 mit einer Geschwindigkeit von mindestens 142 Stundenkilometern und 1,8 Promille in den Tod. Das Land Kärnten verlor mit ihm seinen Landeshauptmann und begann mit einer ganz spezifischen Art der Trauerarbeit, die Haider zum "König der Herzen" werden ließ.

    Der Klagenfurter Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer analysiert kein ganzes Jahr nach dem Tod Haiders die Ursachen für "die überwältigende Trauer der Kärntner" und Haiders Stilisierung zum "guten Menschen". Er beleuchtet anhand vieler Beispiele, in welchen Rollen sich Haider den Menschen präsentierte und wie es ihm gelang, die Kärntner Bevölkerung aufgrund spezifischer Verhaltensweisen zutiefst zu beeindrucken. Dazu gehört zum Beispiel, dass Haider als "Robin Hood" gern persönlich und bar Almosen an Bedürftige verteilte, dass er als "sportlicher Neo-Macho" sowohl in den Trachtenvereinen als auch in der Disko zu Hause war und dass er in seiner Politik und seinen Reden tief sitzende "Kärntner Traumata" zu bedienen wusste.

    Haider konnte in der Psyche und im unbewussten Seelenhaushalt vieler Kärntner und Kärntnerinnen die Rolle eines ersehnten Vaters übernehmen.
    Ganz bewusst knüpfte Haider an die Erfahrung von Tod und Niederlage an, die in vielen Kärntner Familien zu Hause ist. Die Schlachten des Ersten Weltkriegs, die Gebietsabtrennung Südkärntens, die Besetzung durch jugoslawische Truppen und ethnische Säuberungen gegenüber den slowenischen Minderheiten in der NS-Zeit haben die Kärntner Identität geprägt. Haider ließ diese Erfahrungen im Streit um die zweisprachigen Ortstafeln wieder aufleben. Sein Slogan "Kärnten ist einsprachig" von 2006 knüpft an die Realität der Jahre 1938 - 1945 an, als das Slowenisch-Sprechen quasi lebensgefährlich war. Seine Minderheitenpolitik und der rechtlose Umgang mit Asylbewerbern fielen angesichts dieser historischen Erfahrungen auf fruchtbaren Boden.

    2005 verließ Haider mit seinen Getreuen die FPÖ und gründete das "Bündnis Zukunft Österreich", BZÖ. Von nun an legte er Wert auf die Distanzierung von noch weiter rechts stehenden Gruppierungen, auch, weil er Investoren für das völlig überschuldete Kärnten suchte. Viele Wählerstimmen außerhalb Kärntens brachte ihm das nicht. Nur durch die absolute Mehrheit im Bundesland Kärnten schaffte das BZÖ 2008 überhaupt den Einzug in den Wiener Nationalrat. Nach der Abspaltung des BZÖ hatte Heinz Christian Strache 2005 die FPÖ-Reste übernommen, den "freiheitlichen Scherbenhaufen", wie die beiden Autorinnen Nina Horaczek und Claudia Reiterer, in ihrer materialreichen Biographie mit dem Titel "Heinz Christian Strache. Sein Aufstieg. Seine Hintermänner. Seine Feinde" schreiben. Bei der österreichischen Nationalratswahl 2008 entschied sich bereits jeder sechste Österreicher für die FPÖ.

    Fast 20 Prozent der Jungwähler stimmten für die Freiheitlichen und ihren 40-jährigen Vorsitzenden, der im Disco-Wahlkampf eine noch überzeugendere Figur machte als Haider. Dass Strache Rechtsextremisten gegenüber keine Berührungsängste hat, weiß in Österreich jeder, der es wissen will, spätestens seit 2007. Damals lancierten innerparteiliche Konkurrenten - "Feinde", wie das Buch wahrscheinlich zu recht schreibt - Fotos des jungen Strache in Tarnanzug und mit Sturmhaube in die Öffentlichkeit. Auf den Fotos sind die jungen Rechten beim Paintball-Spielen und bei paramilitärischen Übungen mit Schlagstöcken und Waffen zu sehen. Im Buch werden zahlreiche Verbindungen Straches zur österreichischen und deutschen Neonazi-Szene beschrieben.

    Der vaterlos aufgewachsene Zahntechniker tritt im Herbst an, um das Bürgermeisteramt im zunehmend multikulturellen Wien zu erringen. Laut Umfragen liegt er mit seinem Kampf gegen den Islam und für ein christliches Abendland in der Zustimmung der Wähler gleich hinter Amtsinhaber von der SPÖ. Strache ist ein Demagoge, der "Österreich zuerst", Zuwanderungsstop, Heimatschutz und das Bekenntnis zur Deutschen Kulturnation, Geburtenförderung und soziale Gerechtigkeit zu seinem politischen Programm verschmolzen hat. Auch gehört eine verbale Distanz zur EU dazu:

    Es ist ein doppeltes Spiel, das die FPÖ auf europäischer Ebene betreibt. Während sie ihre europäischen Kontakte konsequent vertieft, sagt Strache, "der EU-Beitritt war ein Fehltritt", "die Einleitung eines Austrittsprozederes hat Charme" und führt unter dem Titel "Österreich bleibt frei" ein Anti-EU-Volksbegehren durch, das von 285.000 Österreichern unterschrieben wird.
    Die Biografie schildert facettenreich die Rolle Straches im rechten Lager. In einer Art Who is Who der österreichischen Rechtspopulisten werden zahlreiche Einzelpersonen vorgestellt und interviewt, die ihn politisch beeinflusst haben und heute noch beeinflussen. Sowohl seine Kontakte zur österreichischen als auch zur deutschen rechten Szene werden präsentiert. So wird auch plastisch, wie sehr BZÖ und FPÖ miteinander verwoben und wie fadenscheinig die beiderseitigen Abgrenzungsversuche sind. Es entsteht ein detailgetreues Bild über Intrigen und Missgunst, gegenseitige Konkurrenz und zahllose Unwahrheiten, die die Arbeit der politischen Rechten bestimmen. Woran es liegt, dass rechtspopulistische Parteien in Österreich eine besonders starke Verankerung besitzen, - diese Frage versuchen Martin Haidinger und Günther Steinbach in ihrem Buch zu beantworten. "Unser Hitler. Die Österreicher und ihr Landsmann" - heißt es provozierend.

    Welche Rolle spielte die Tatsache, dass Hitler aus Österreich stammte, für ihn, für seine Anhänger, seine Gegner.
    Es enthält Überlegungen zur Person Hitlers, aufschlussreiche Gespräche mit Zeitzeugen, die die NS-Zeit unter verschiedenen politischen und persönlichen Aspekten schildern. Daneben werden sozial- und mentalitätsgeschichtliche Kontinuitäten aufgezeigt, auf die sich die nationalsozialistische Ideologie stützen konnte: von der Reichsidee des Mittelalters zu den nationalistischen Konzepten der Romantik hin zur antisemtischen Bewegung katholischer und deutsch-nationaler Provenienz in Österreich.

    So, wie die österreichische Geschichte bis 1945 nicht zu verstehen ist, wenn man vergisst, dass sich die Österreicher als Deutsche fühlten, so übersieht man ein wichtiges Element, wenn man nicht die Bedeutung des ubiquitären Antisemitismus im Auge behält. Den hat es schon vor dem Krieg gegeben und der ist seither noch stärker geworden.
    Nach Kriegsende nahm Österreich gern die Opferrolle an, deutete die eigenen Anteile an den nationalsozialistischen Verbrechen um und schuf so die Voraussetzung für den aktuellen Erfolg der rechtspopulistischen Parteien. Dies ist die Kernthese des Buchs. Die Autoren stellen diese historischen Kontinuitäten in ihrem populärwissenschaftlichen und eingängig geschriebenen Band überzeugend dar.

    Mariele Schulze-Berndt über drei Neuerscheinungen aus Österreich: Klaus Ottomeyer: "Jörg Haider - Mythenbildung und Erbschaft", Drava Verlag, Klagenfurt 2009, 16,80 Euro. Nina Horaczek/Claudia Reiterer: "HC Strache. Sein Aufstieg, seine Hintermänner, seine Feinde", Carl Überreuter Verlag, Wien 2009, 22,95 Euro und Martin Haidinger/Günther Steinbach: "Unser Hitler. Die Österreicher und ihr Landsmann", Ecowin Verlag, Salzburg 2009, 24,00 Euro.