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Ötzi des Nordens

Archäologie. - Norddeutschland hat sein Pendant zum Südtiroler Gletschermann Ötzi: Moora, die Leiche aus dem Uchter Moor, die dort fast 2700 Jahre lang lag und vor fünf Jahren entdeckt wurde. Im Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf wurden jetzt die Resultate der ersten Untersuchungen vorgestellt.

Von Frank Grotelüschen |
    "Wir stehen hier vor dem Skelett der Moorleiche Moora. Wir haben die älteste datierte Moorleiche aus Niedersachsen vor uns. Ein wirklich ganz exquisiter Fall."

    Man hört es ihm nicht unbedingt an. Doch Klaus Püschel vom Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ist fasziniert. Fasziniert von "Moora", der Moor-Mumie aus Niedersachen. Seit Jahrzehnten ist sie der erste Moorleichenfund in Deutschland. In gut 100 Einzelteilen liegt Moora nun vor uns - die Knochen torfbraun, Hände wie Krallen, der Schädel arg ramponiert, aber ihn zieren noch einige Haarbüschel. Vor fünf Jahren, bei ihrer Entdeckung, war die Leiche von einer Torfstechmaschine zerstückelt worden. Püschel:

    "Sodass wir jetzt viele einzelne Knochen haben, die wir wie bei einem Puzzle neu zusammenlegen müssen."

    Moora ist einzigartig. Mit ihrem Alter von 2650 stammt sie aus der Eisenzeit. Und damals, sagt Püschel, waren eigentlich Feuerbestattungen üblich:

    "Im Grunde der einzig erhaltene Leichnam aus dieser Periode. Damit haben wir ganz einmalige Chancen zu versuchen, die damaligen Lebensumstände zu rekonstruieren, etwas über diese Zeit auszusagen."

    In den letzten Tagen wurde Moora von Kopf bis Fuß durchleuchtet - und zwar in 3D mit Computertomographen und Kernspintomographen.

    "Wir haben diesen Leichnam in wirklich sehr dünnen Schichten, mit 1800 Schichten untersucht, die wir nun mit allen möglichen Rekonstruktionsverfahren aufarbeiten können","

    sagt Gerhard Adam, Direktor der Radiologie in Hamburg-Eppendorf.

    ""An Details lässt sich zum Beispiel die Knochenstruktur erkennen - dass sie vergleichsweise sehr gut erhalten ist. Es lässt sich die Verletzung erkennen, die durch die Torfstechmaschine beim Fund dieser Leiche entstanden ist."

    Auf den Aufnahmen der Hand sind die konservierten Sehnen zu erkennen. Und die Röntgenbilder der Hüfte sind von denen eines lebenden Menschen nicht zu unterscheiden. Adam:

    "Sie sind qualitativ noch hochwertiger, weil sich natürlich diese Person bei der Untersuchung in keinster Weise bewegt hat."

    Die Ergebnisse: Moora war zwischen 16 und 19 Jahre alt, aber auf jeden Fall schon ausgewachsen, das zeigen die Röntgenaufnahmen der Knochen. Sie war etwa 1,50 Meter groß und hatte Phasen der Mangelernährung durchgemacht. Doch das sind nur die ersten Resultate. Die meisten Untersuchungen gehen jetzt erst los, sagt Klaus Püschel voller Vorfreude. Für ihn ist Moora das norddeutsche Pendant zum Gletschermann Ötzi. Püschel:

    "Wir haben noch keinerlei chemische Analysen, keinerlei physikalische Analysen. Alle Verfahren, die Material verbrauchen, bei denen wir Knochen an die Untersucher hergeben müssen - darüber wird erst in den nächsten Monaten zu entscheiden sein. Die wollen dann insbesondere Zähne, Haare und Haut untersuchen, um die Lebensgewohnheiten zu rekonstruieren, die Essgewohnheiten. Das ist eine Arbeit, die noch viele Jahre in Anspruch nehmen wird."

    Denn noch gibt es so einige Rätsel: Verunglückte das Mädchen, oder wurde es umgebracht? Und war es bei seinem Tod womöglich unbekleidet? Fragen, die die Experten vielleicht nie beantworten werden. Doch zumindest werden wir bald erahnen, wie es ausgesehen hat - das Moor-Mädchen aus der Eisenzeit. Püschel:

    "Zunächst einmal wird der Schädel rekonstruiert und dann in Plastik nachgegossen. Auf diesen Schädel wird dann von erfahrenen Kriminalisten und Künstlern das Gesicht modelliert. Das wird ein ganz besonderes Ziel sein, dass Moora ihr Gesicht wiederbekommt."