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Offenbach-Festival in Venedig
Humor, Geschmeidigkeit und Rouladen

Vor fast 200 Jahren wurde Jacques Offenbach geboren. Aus diesem Anlass widmete das Palazetto Bru Zane, das Zentrum für französische romantische Musik in Venedig, dem Komponisten ein Festival. Zu hören waren dort auch die von Offenbach eingesetzten Rouladen-Soprane, mit denen er das Publikum gerne zum Lachen brachte.

Von Elisabeth Richter |
    Die Decke des Palazzetto Bru Zane in Venedig
    Das Palazzetto Bru Zane in Venedig veranstaltete von September bis Oktober 2018 ein Offenbach-Festival (AFP / Andrea Pattaro)
    "Ich liebe bei Offenbach seine Lebensfreude, die sich sofort vermittelt. Dazu kommt die Klarheit seiner Schreibweise. Man weiß immer genau, was er sagen möchte und wohin sein Weg geht. Seine Vokalisen sind höllisch schwer und eine große Herausforderung. Aber das mag ich! Nicht zu vergessen sein Humor und seine Intelligenz! All das hat mich bei dieser Arbeit an Offenbach fasziniert."
    "Offenbach colorature" lautete das Motto des Recitals der jungen belgischen Sopranistin Jodie Devos mit dem Ensemble Contraste im Palazzetto Bru Zane. Jodie Devos’ Stimme, ihre Flexibilität, ihre technische Souveränität, das warme Timbre mit viel Körper und die Ausgeglichenheit der Register, scheinen wie geschaffen für die heiklen Koloraturen bei Offenbach.
    "Man benötigt eine enorme Geschmeidigkeit für Offenbach, und natürlich Agilität. Man muss die Dynamik gut gestalten und darf dabei nicht die Leichtigkeit verlieren. Offenbach kann man nicht im Stil des Belcanto singen, man muss versuchen den Klang abzurunden und ihm Tiefe zu geben. Gute Phrasierung und Atemtechnik sind wichtig. Die Vokalisen verlangen Präzision, sollten aber gleichzeitig so leicht wie Champagner perlen. Und der Text muss natürlich gut herüber gebracht werden."
    Einordnung in größeren stilistischen und historischen Kontext
    Bei den beiden Konzerten am Abschluss-Wochenende des Offenbach-Festivals im Palazzetto Bru Zane in Venedig richteten die Veranstalter den Fokus einerseits auf den bei Offenbach so wichtigen Aspekt der Koloratur für bestimmte Facetten einer Rolle. Andererseits wurden die Werke der beiden Programme in einen größeren stilistischen und historischen Kontext gestellt – wie der wissenschaftliche Direktor des Palazzetto Bru Zane Alexandre Dratwicki erklärt.
    "Es ist ein Markenzeichen des Palazzetto Raritäten zu präsentieren, und das trifft auch auf diese beiden Offenbach-Abende zu. Bei 'Offenbach colorature' gibt es selten zu hörende Arien aus 'Vert-Vert, 'Un Mari a la porte' oder 'Robinson Crusoé'. Und wir haben Instrumentalmusik von Offenbach aus seinen Operetten oder für Violoncello, die wir original oder in Arrangements spielen."
    Bei den Arrangements beruft sich der Palazzetto Bru Zane auf eine im 19. Jahrhundert gängige Praxis. Verleger arrangierten aus kommerziellen Gründen die beliebtesten "Hits" aus Offenbachs Operetten für ein kleines Musiker-Ensemble. In Venedig empfahlen sich die vier Musiker des Ensemble Contraste (zwei Streicher, ein Klarinettist und ein Pianist) nicht nur mit kammermusikalischem Esprit, sondern auch mit sicherem Instinkt für den Charme von Offenbachs Musik.
    Offenbachs Koloraturen stehen in der Tradition eines bestimmten Rollentypus in der französischen Oper und Operette. Es ist die Rolle der "chanteuse a roulade" oder "chanteuse d’agilite", der "Rouladen- oder Agilitäts-Sängerin". Alexandre Dratwicki:
    "Offenbach benutzt diese Virtuosität des "Rouladen-Soprans" meist um etwas Komisches zu zeigen. Es geht ihm nicht um Virtuosität per se, sondern er nutzt das Mittel der Koloratur um sich über etwas lustig zu machen, um die Menschen zum lachen zu bringen."
    Offenbach nutzte Koloraturen für Parodien
    Mit seinen so kunstvollen Koloraturen parodiert Offenbach aber auch seine Kollegen, etwa Rossini oder Meyerbeer. Der Witz seiner Koloraturen liege, so Alexandre Dratwicki, oft darin, dass sie wie eine "Als-ob-Meyerbeer-" oder "Als-ob-Rossini-Arie" klingen.
    "Man muss sich daran erinnern, dass einige von Offenbachs Werken auch im National-Theater der Opera comique gespielt wurden – Vert, Vert, Robinson Crusoe, Barkouf oder Fantasio. Diese Produktionen waren finanzielle Desaster und wurden schnell zurückgezogen. Und natürlich war Offenbach wütend, dass man ihm als Komponisten das Talent absprach, nur weil er als minderwertig angesehene Operetten schrieb. Psychoanalytisch betrachtet kann man seine Parodien somit auch als Rache verstehen."
    Im zweiten Konzert des Abschluss-Wochenendes beim Offenbach-Festival in Venedig wurde der Komponist im Kontext seiner Zeitgenossen und jüngeren Kollegen präsentiert. Die Sopranistin Jeanne Crousaud sang hier – begleitet von dem facettenreichen Pianisten Tanguy de Williencourt - Bravour-Arien unter anderem von so selten zu hörenden Komponisten wie André Messager, Louis Varney, Maurice Yvain oder Charles Lecocq.
    "Man merkt hier, dass es in Paris eine Generation von Komponisten im leichten lyrischen Genre gab, die wirklich ihr Handwerk verstanden. Es geht etwa bis zum Ende des ersten Weltkrieges und darüber hinaus. Maurice Yvain zum Beispiel, war ein Komponist der musikalischen Komödie der 1920er und 40erJahre! Die Idee unsers letzten Konzerts ist, ein Panorama zu zeigen, das zeitlich bis zwei Generationen nach Offenbach geht, dass damit das leichte Genre wirklich eine lange Tradition hat."
    Jacques Offenbach im Spiegel seiner Zeit und seine Wirkung darüber hinaus zu zeigen, "offenbarte" aber auch – mit Vorsicht gesagt - die Klasse dieses Komponisten. Sein Charme und sein Esprit wirken möglicherweise doch hintergründiger und subtiler als bei seinen Kollegen. Deren Arien klingen mitunter fast wie Chansons der Unterhaltungsmusik. So war es spannend zu erleben, wie vielfältig das leichte Genre der französischen Musik dieser Zeit ist.