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Offizielle Gedankenkontrolle?

IT.- Sylvia Johnigk ist im Vorstand des "Forums Informatikerinnen und Informatiker für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung" (FIfF). Im Interview beleuchtet sie, warum das Mitlesen des Staates von Tastatureingaben nicht in jedem Fall brauchbare Aussagen über die ausspionierte Person liefert.

    Maximilian Schönherr: Das war Pia Grund-Ludwig mit ihrem Überblick über die Jahrestagung des FIfF in München. Die Veranstaltung trägt einen philosophischen Obertitel, nämlich "Dialektik der Sicherheitstechnik". Und damit begrüße ich im Studio des Bayerischen Rundfunks nun die Informatikerin Sylvia Johnigk, Vorstandsmitglied des FIfF. Was, Frau Johnigk, hat Hegels Dialektik mit Sicherheitstechnik zu tun?

    Sylvia Johnigk: Naja, es geht einfach darum, dass es in der Sicherheitstechnik oder in der Informationssicherheit unterschiedliche Bedürfnisse gibt einzelner Bedarfsträger – wie zum Beispiel dem Staat, dem Bürger oder der Unternehmen, die zwar sich alle jetzt um die Themen Vertraulichkeit, Integrität und Authentizität drehen, aber jeweils ganz anders interpretiert werden, weil letztendlich ganz andere Werte dahinter stecken und damit natürlich jeweils eigene Thesen und Antithesen entstehen, die quasi eine Synthese benötigen. Das war jetzt vielleicht ein bisschen viel.

    Schönherr: Aber im Schnelldurchlauf. Das war jetzt Hegel – Antithese, These und Synthese. Wenn ich mir das Ganze so anhöre: Müssen Sie als Informatikerin nicht langsam auch Juristin sein? Quellen-Telekommunikationsüberwachung – alleine schon der Begriff!

    Johnigk: Ja, ein schauderhafter Begriff. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man jetzt eine reine Telefonüberwachung macht und ...

    Schönherr: ... eben dann die Webseiten abfotografiert quasi.

    Johnigk: ... oder die Webseiten abfotografiert beziehungsweise Tastatureingaben abhört. Das heißt also: Wenn ich in Überlegung habe: Ich schreibe jetzt meinetwegen einen Brief oder will eine E-Mail formulieren, dann formuliere ich X Mal um, bevor ich sie absende. Also: Da wird schon das, was ich mir die ganze Zeit überlege, mitaufgezeichnet und quasi ausgewertet, was im Grunde genommen später vielleicht gar nicht mehr gegessen wird, als was ich gar nicht abschicke.

    Schönherr: Ja genau, als das quasi, was in meinem Kopf gerade vorgeht. Ich will den jetzt eigentlich beschimpfen in der E-Mail. Dann nehme ich die Beschimpfung ein bisschen zurück. Dann formuliere ich ein bisschen um. Also diesen ganzen Gedankenprozess, den erfasst sozusagen diese Quellen-Telekommunikationsüberwachung.

    Johnigk: Genau. Und das ist ein großes Problem, weil da im Prinzip in eine Privatsphäre auch eingegriffen wird, die absolut schützenswert ist. Weil meine Gedanken gehen erst einmal überhaupt nichts an. Wenn ich dann irgendwas verschicke im Grunde genommen eigentlich auch nicht. Grundsätzlich gar nicht. Aber letztendlich kann man noch sagen: Wenn irgendjemand jetzt wirklich Straftaten begeht oder begangen hat und darüber schreibt, kann man drüber streiten, ob das jetzt so mitgezeichnet werden kann, wenn es abgeschickt wird. Aber im Vornherein, ohne dass irgendetwas vorliegt, das zu machen, finde ich, geht gar nicht.

    Schönherr: Frau Johnigk, Sie sind nun Vorstandsmitglied des FIfF. Das FIfF kommt aus der Friedensbewegung der 80er-Jahre. Damals war der Chaos Computer Club teilweise von einigen so angesehen als die Bösen. Wie ist denn Ihr Verhältnis zum CCC heute?

    Johnigk: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Die Constanze Kurz war bei uns. Und wir kennen uns eigentlich relativ gut und tauschen uns auch untereinander aus. Wir besuchen gegenseitig unsere Tagungen und diskutieren auch miteinander. Also von daher sind das überhaupt nicht die Bösen. Ich finde sie mehr als anzunehmend, weil sie im Grunde genommen eine Aufgabe übernehmen, die quasi eigentlich auch der Staat hätte.

    Schönherr: Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Anonymous und zur Piratenpartei? Das ist jetzt unfair, das in einem Satz zu nennen, aber gibt’s da Brücken?

    Johnigk: Also zu Anonymous gibt’s im Prinzip keine Brücken. Ob jemand, der FIfF-Mitglied ist auch bei Anonymous ist, entzieht sich meiner Kenntnis, sage ich mal. Wir beobachten das, was sie machen. Vieles von dem geht für meine Begriffe in Richtung ziviler Ungehorsam. Manches überschreitet die Grenzen, was Anonymous macht. Von daher beobachten wir das eigentlich auch nur. Und zu den Piraten haben wir maximal das Verhältnis, dass Mitglieder natürlich auch bei den Piraten sind. Aber sie treten nicht als Mitglied und Pirat gleichzeitig auf – bislang.

    Schönherr: Was machen Sie denn sozusagen für FIfF hauptberuflich? Lobbyarbeit bei Regierungsvertretern?

    Johnigk: Also hauptberuflich machen wir bei FIfF fast alle nichts, wir sind alle ehrenamtlich dabei und haben einen Hauptberuf nebenbei. Und wir machen schon Lobbyarbeit. Wir haben zum Beispiel zu den neunen Datenschutzverordnung oder Datenschutzrichtlinie der EU quasi eine Stellungnahme geschrieben und auch Verbesserungsvorschläge gemacht und das auch eingereicht. Und wir vernetzten uns auch europaweit. Zum Beispiel mit der EDRI, das ist die European Digital Rights Gesellschaft, und tauschen uns dann halt auch auf EU-Ebene oder auf europäischer Ebene auf und machen dort auch Eingaben.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.