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Offline-Gesetz in Frankreich
Das Recht auf Ausklinken

Weg vom Stress, ausgeklinkt, unerreichbar: Seit Januar 2017 dürfen französische Arbeitnehmer außerhalb der Bürozeiten weder per Mail noch per Handy mit beruflichen Angelegenheiten behelligt werden. Sanktionen bei Zuwiderhandlung sind allerdings nicht vorgesehen. Nicht nur deswegen hapert es bei der Umsetzung.

Von Suzanne Krause | 27.07.2018
    Geschäftsmann läuft in einem Hamsterrad beobachtet von einem anderen Geschäftsmann.
    Mit der ständigen Verfügbarkeit von Arbeitnehmern will der fränzösiche Gesetzgeber Schluss machen (imago/Ikon Images)
    An seinem Büroschreibtisch stellt Jean-Claude Delgenes den Computer für sein Webseminar ein. Delgenes ist Gründer der Consulting-Firma Technologia, spezialisiert auf das Thema "Risiken am Arbeitsplatz". Mit einem Mausklick startet Jean-Claude Delgenes die Übertragung.
    Wir werden heute über das 'Recht auf Ausklinken' sprechen."
    Arbeitgeber ergreifen unterschiedliche Maßnahmen
    Routiniert führt Delgenes aus, dass die Büroarbeit immer mehr und intensiver werde, dass mittlerweile im Schnitt ein Drittel des Arbeitstags draufgehe mit der Bearbeitung von Emails. Dass wegen Tablet und Smartphone mancher Arbeitnehmer nun gezwungen sei, überall und jederzeit verfügbar zu sein. Einen ersten Schritt zur Gegenwehr biete da "le droit à la deconnexion"- das "Recht auf Ausklinken".
    Das sieht vor, dass französische Angestellte außerhalb der regulären Arbeitszeiten unbehelligt bleiben von Job-Emails und Anrufen. Bei der Umsetzung hat jeder Arbeitgeber freie Hand. Der eine lässt den Server so einstellen, dass Emails lediglich zu Bürozeiten zugestellt werden. Beim anderen bleiben Dienst-Smartphone und Tablet nach Feierabend im Büro. Oder die Arbeitnehmer sind zur Selbstkontrolle angehalten.
    Willkür bei der Umsetzung
    Das Gesetz von Januar 2017 schreibt vor, dass jedes Unternehmen ab 50 Mitarbeitern ein spezielles Abkommen aushandelt. Seit der Arbeitsrechtsreform im vergangenen Herbst ist das "Ausklink-Recht" zwar im Arbeitsgesetzbuch verankert, aber in abgeschwächter Form. Jetzt reicht es, wenn die Unternehmen sich einen Verhaltenscodex geben. Das führe zu mehr Willkür bei der Umsetzung, sagt Jean-Claude Delgenes.
    "Einige größere Unternehmen haben mittlerweile Abkommen geschlossen. Entweder wurde festgeschrieben, wie das 'Ausklink-Recht' auch technisch durchgesetzt wird. Oder es wurden zumindest Fortbildungs- und Sensibilisierungskurse eingerichtet."
    Die meisten Unternehmen allerdings hinken vehement hinterher. Weil sie vollauf damit beschäftigt sind, die neuen Vorgaben der Arbeitsrechtsreform umzusetzen.
    Angst vor Jobverlust
    Und: Weil bei vielen Arbeitnehmern, speziell Führungskräften, die Nachfrage noch nicht besonders groß sei, sagt Experte Delgenes. Denn Frankreich leidet seit drei Jahrzehnten unter hoher Arbeitslosigkeit.
    "Die Angst vor dem sozialen Abstieg beim Jobverlust ist bei uns sehr groß. Viele haben den Gedanken verinnerlicht, dass sie am Arbeitsplatz richtig ranklotzen müssen."
    80 Prozent checken in der Freizeit ihre Emails, ergibt eine Umfrage von Delgenes Unternehmen. Jeder vierte der leitenden Angestellten geht nie offline.
    Verfügbarkeit jederzeit führt zu Burnout
    Er könne seine Freizeit nun besser genießen, sagt hingegen Gilles Riou.
    "Aber ich musste mich daran gewöhnen, dass in meinem Betrieb der Server ab acht Uhr abends ausgestellt ist."
    Riou ist beim Personalberater-Unternehmen JLO tätig. Aus Erfahrung weiß er: Das Abschalten funktioniert nur, wenn im Betrieb die Arbeitsplanung komplett überdacht wird. Wenn allen bewusst ist, dass die Verfügbarkeit rund um die Uhr irgendwann zu einem Burn-Out führt. Und wenn das einen Manager aus der Chefetage trifft, kann das betriebsgefährdend sein.
    Erste Prozesse wegen Mobbings
    Gilles Riou ist überzeugt: Auf Dauer wird sich das "Ausklink-Recht" landesweit durchsetzen.
    "Ich weiß von ersten Prozessen von Managern gegen ihre Arbeitgeber wegen Mobbings. Wenn das Unternehmen nicht nachweisen kann, dass es Maßnahmen ergriffen hat, die Ruhezeit des Mitarbeiters zu garantieren, steht es schlecht da. Da geht es um sehr hohe Schadensersatzbeträge."