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"Oh, das ist gut"

Ein Mann und eine Frau treffen sich im Cafe. Sie machen einen Spaziergang im Park. Er verehrt sie seit langem. Sie aber hat ihn nie beachtet. Veronique Olmis "Ein Mann, eine Frau" ist ein Buch der Farben, der Gerüche, der Geräusche. Die Frau ist betört vom Geruch des Mannes, der übliche Geruch, der Männlichkeit symbolisieren soll, ein Geruch von Schweiß, Zigarre, Erde. Das Prasseln des Regens ist die Melodie, die der Kurzgeschichte unterlegt ist. Und in allem spiegelt sich die Farbe Blau.

Von Simone Hamm | 24.05.2006
    Leben. Nun gut. Leben. Sie näherte sich ihm. Leben. Er, zu dick auf diesem zu kleinen, zu harten, zu nassen Stuhl. Er und sein Mädchenhaar. Glatt trotz des Regens. Fein und spärlich. Blond die Farbe der Wimpern. Natürlich. Alles passte. Ein zur Augenfarbe passendes Gesicht. Ein vom Blau beherrschtes Gesicht. Diesem Blau unterworfen. Leben.

    Anfangs schreibt Veronique Olmi kurze, abgehackte Sätze, so, als ob sie ihre Protagonisten schnell aus dem Cafe, aus dem Park ins abgelegene Hotel treiben wollte, um sich dann dem Eigentlichen zu widmen. So, als sei das Treffen nur die vage angedeutete Rahmenhandlung für das, was sie dann beschreiben will: Sex in allen Facetten: zärtlichen, brutalen, hemmungslosen, tabufreien Sex.

    Es beginnt mit einer Kussszene:

    ….Ihr Gesicht näherte sich dem seinen in diesen ewigen Sekunden angehalten vor diesem Wunder, diesem einzigen nur zu zweit Möglichen, zwei Münder zwei Sehnsüchte zwei Zungen zwei Leben zwei Gesichter voreinander aneinander die Haut zum erstenmal mit dem Geschmack des anderen die unbekannte Haut an ihrer neuen Haut, erstes einzigartiges mal der erste Kuss der einzige….

    Seitenlang beschreibt Veronique Olmi diesen Kuss, ohne innezuhalten. Dieses Prinzip wird sich in den Hotelzimmerszenen noch steigern. So wie das Begehren des Mannes, der Frau nacheinander sich bis zur Ekstase steigert, so steigert sich die Sprache Veronique Olmis zu einer einzigen Hommage an die Sexualität.

    Viel erfahren wir nun nicht mehr von den Protagonisten. Außer: "Oh, das ist gut" und "Oh Gott" und "Oh, du machst die Männer verrückt", sprechen die beiden kaum miteinander. Der Mann ist verheiratet, Vater, über fünfzig, zu dick. Mehr verrät Veronique Olmi nicht. Dafür aber lernen wir den Körper des Mannes vom Scheitel bis zur Sohle von der behaarten Brust bis zu den ungeschnittenen Zehennägeln sehr genau kennen.

    Eine Frau, verletzt vom Leben, mager, die eine schreckliche Scheidung hinter sich hat, die wirklich einen Mann verrückt gemacht hat und deren Kinder von der Mutter zum Vater hin - und herreisen, öffnet sich einem fast Fremden. Sie ist zerbrechlich, fast zerbrochen an und in ihrer Ehe. Und an diesem Nachmittag will sie sich wieder zusammenfügen lassen. Die Sprache gibt dies wieder. Zuerst die Sätze, die selten mehr als fünf Wörter lang sind, dann seitenlange Beschreibungen ohne Punkt und Komma.

    In "Ein Mann, eine Frau" balanciert Veronique Olmi auf dem schmalen Grat zwischen Erotik und Pornografie. Obwohl aus der Sicht einer Frau beschrieben, bedient sie geschickt männliche Phantasien.

    Da wird der Mann in der Wanne über und unter Wasser liebkost, da ist die Frau ganz wild auf sein Sperma und dankbar und ehrerbietig und unterwürfig. Und das gefällt ihm. Er nimmt sie von vorne, von hinten und von der Seite, küsst sie sanft, wird dann brutal, wirft sie gegen eine raue Wand, presst seine Nägel in ihre zarte Haut, stößt seinen Riesenkörper gegen ihre Magerkeit, findet Vergnügen darin, sie zu verletzen. Und das gefällt ihr.

    Sie lachte darüber, denn er gab ihr ihre Kraft zurück, er gab ihr zu verstehen, dass sie würdige Gegnerin war, in diesem Moment begehrte er sie endlich als Ebenbürtige.

    Die Ebenbürtigen sind zwei vom Leben verwundete Menschen, die sich für einen Nachmittag eine Auszeit nehmen. Zunächst zeigt Veronique Olmi noch die Einsamkeit, die Traurigkeit, die Verlorenheit der beiden. Und wie der Sex sie für kurze Zeit davon erlösen kann:

    Sie bedauerte einen Moment, dass er nicht mehr gewagt hatte, sie wollte mit ihm Angst haben, sie wollte mit ihm Schmerzen leiden, sie wollte ihm geben, was sie niemals gab, und weil er womöglich ihre Enttäuschung, ihr Verlangen nach Gewalt spürte, zwang er sie, die Schultern zu beugen, sich vor ihm zu krümmen, legte ihr eine Hand auf die Hüfte, die andere auf die Schulter, fest und autoritär stieß er in sie, wütend, dann rachsüchtig, dann rasend, und je länger er stieß, desto mehr vergaß er, vergaß die Vorsicht, die Aufmerksamkeit, vergaß die Zeit, den Ort, vergaß, wer er war und was er tat, stieß zu, um andere Türen zu öffnen, andere Ausgänge zu finden, stieß mit der Energie von einem, der nichts mehr zu verlieren hatte.

    Später dann handelt die kleine Erzählung von nichts als purem Sex. Und hatte sie es dabei belassen, wären Veronique Olmis Sado - Maso Spielchen sicherlich gut ankommen .In Frankreich - und nicht nur da - verkaufen sich der kühle Michel Houllebeque und die durchs Schlüsselloch schauende Catherine Millet doch sehr gut. Doch als habe Veronique Olmi plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen, Angst davor, als banale Pornografin missverstanden zu werden, erhöht sie den one- afternoon - stand ihrer beiden Protagonisten. Sie nennt ihn einen geheiligten Akt, ein Mysterium. Und darüber ist sie dann ganz schnell beim Leiden Christi angelangt. Die Frau, die den Schmerz beim Sex so sehr genossen hat, will nun auch das Leiden im Leben akzeptieren.

    Es ist nicht schlimm zu leiden, denn alle tun es.

    Schließlich habe ja auch Jesus Christus am Kreuz gelitten. Wer immer Veronique Olmi bei der Beschreibung der verzweifelten Begegnung zweier verstörter Seelen noch gefolgt ist, dürfte sich spätestens hier verwundert die Augen reiben. Das ist mit sentimentalem Kitsch noch milde umschrieben.