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"Oh it's like home"

Die Schauspielerin Sasha Rau steht auf der Bühne der Kölner Halle Kalk und ist auch Autorin von "Oh it"s like home". Ihrer "Gunda" steht Josef Ostendorf als "Egon" dicht gegenüber: Egon: "Sag mal etwas ganz Schmutziges, Dreckiges zu mir." Gunda: "Küche."

Von Christiane Enkeler | 20.01.2013
    Um sie herum: ein braun-muffiger Speisesaal, mit dem man reinlich organisiertes Gemeinwesen assoziiert. Links eine Durchreiche, rechts ein Kamin. Dazwischen ein fast leeres Regal, das sich zur Seite schieben lässt, um den Blick freizugeben auf ein Jugendherbergsetagenbett und ein Klavier. Ab und zu wäscht sich der Pianist die Hände unter einem Spiegel, der so blind ist, dass er von Weitem aussieht wie romantische Schneelandschaft. Silvia Fenz stellt sich zum Schauspielen genau unter eine funzelige Pendelleuchte, als könnte die Erkenntnis bringen. Oder wärmen und beschützen. Ein Bühnenbild von Duri Bischoff, in dem das Licht sich ändert, als wandere die Sonne im fensterlosen Raum.

    Gunda: "Ich bin in dieser chemischen Reinigung aufgewachsen. Wie soll ich mich dazu verhalten? Ich wollte den Betrieb nicht übernehmen."

    Jeder der vier reflektiert seine "Heimat": eine chemische Reinigung, etwas wie ein Kinderheim, eine Säuglingsstation, ein Schlachthof. Aber in Sasha Raus Text geht es weniger um "Figuren". Hanna und Ilse, Gunda und Egon funktionieren wie musikalische Themen mit eigener Färbung.

    Gunda: "Überall hängen Kleider in Plastikhüllen. Nummerierte gebügelte Eigenheime. Bis etwa fünf mag ich diesen Geruch. Aber dann wird die Reinigung immer chemischer."

    Gerüche dringen ein. Blicke führen in Krater oder entblättern Ebenen.

    Gunda:"Aber da sind keine Kleider mehr. Nur lauter Röntgenbilder."

    Die Geschichten bilden eine Grundtextur, die alles und alle miteinander verwebt.

    Hanna:"Ich mag es anzukommen im Schlachthof. Plötzlich seh ich, dass überall Kleider hängen. Nicht Tiere, nur Kleider."

    Einzelne Motive lösen sich und tauchen in anderen Figuren wieder auf.

    Gunda:" Als ich wieder hinschaue, werden die Röntgenbilder zu hängenden Menschen.""

    Was hier so zusammengedrängt erscheint, ist im Stück mit schwebenden Fäden verwoben. Im "Heimat"-Thema treffen sich Variationen von Reinlichkeit, Überwachung, Nummerierung, Reihung. Das Surrealistische, der Traum dominieren. Sanft gleitet der Text auch in gewaltsame Sphären.

    Ilse: "Zweite Heimat. Meine Lunge ist meine zweite Heimat."

    Auf der Bühne verschwindet Ilse mit dem Kopf im Kamin und raucht. Da raucht auch ein kleines Bühnenbildmodell aus dem Schornstein.

    Gunda:"Wie komm ich jetzt in eine Wirklichkeit. Alles ist schon vergeben."

    Dass Christoph Marthalers Inszenierungen musikalisch sind, ist das Bekannte und Schöne an ihnen. Das Spiel des Pianisten "hakt" hier, und die Lampe flackert. Die Figuren kämpfen mit der Tücke des Objekts und mit ihrer Unentschiedenheit; und sie werden erwischt, beim Naschen. Sie "marthalern" langsam durch surrealistische Konstruktionen: Ein Schrank wechselt sein Inneres. Ein Abfluss gluckst unnatürlich lang. Man hört jemanden eine Treppe hinaufgehen, bis sich seine Schritte in der Ferne verlieren - aber sofort darauf taucht er unten in der Küche wieder auf. Wunderschöne Ideen. Aber sie kommen sehr spät.

    Und es fällt kaum auf, was für ein toller Text das ist.

    Egon:"Liebe Gunda, die Welt ist leer. So leer."

    Ilse:"Ich muss zum Verhör. (...)"

    Egon:"Wie fühlst du dich?"

    Ilse: "Ich höre den Wind in den Briefkästen."

    Während Sasha Rau Figuren in Musik auflöst, inszeniert Christoph Marthaler diese Sprach-Musik wieder in erzählerischen und rhetorischen Figuren: Parallelismen und Gegensätze, Mise en abyme und Metonymie - das alles lässt sich, formbewusst, im Verhältnis von Schauspielern und Raum erkennen.
    Aber diesmal ist der Abend nicht nur eine Verlangsamung. Er zieht sich tatsächlich.