Archiv

Ohne Berührungsängste
Wie Bodo Ramelow Thüringen regiert

Von Henry Bernhard |
    Der Erfurter Landtag vor seiner November-Sitzung. Eine Regierungserklärung von Ministerpräsidenten Bodo Ramelow steht an. Noch steht man im Plenum herum, begrüßt sich; eine Abgeordnete der AfD bekommt Blumen zum Geburtstag. Der Landtagspräsident versucht, für Ruhe zu sorgen.
    Christian Carius:
    "Meine sehr verehrten Damen und Herren; ich darf sie bitten, die Plätze einzunehmen!"
    Seit einem Jahr regiert in Thüringen Rot-Rot-Grün. Die Koalition hat Ramelow mit denkbar knappster Mehrheit von einer Stimme zum Regierungschef gewählt. Große Chancen gab man dem Dreierbündnis damals nicht: Zu gewagt, zu instabil sei es, zu verschieden die Partner. Zerlegt hat sich seitdem aber nur die Opposition: Die AfD-Fraktion hat drei von elf Abgeordneten verloren; ein ehemaliger CDU-Minister hat aus Protest gegen Merkels Politik Partei und Fraktion verlassen. Deshalb reicht es nicht einmal mehr rechnerisch für die Wunsch-Koalition der CDU: Schwarz-Rot. Bodo Ramelow sitzt also fest im Sattel.
    Christian Carius:
    "Und ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zum Thüringenmonitor 2015. Ich bitte Herrn Ministerpräsidenten Ramelow um die Regierungserklärung."
    Der Thüringenmonitor ist eine soziologische Studie über politische Einstellungen der Thüringer, eine Studie, die regelmäßig in Auftrag gegeben wird. Die Schlagzeile in diesem Jahr: 24 Prozent der Thüringer haben rechtsextreme Ansichten, vor allem diejenigen, die sich in der DDR wohlfühlten. Ramelow aber steht nicht am Rednerpult, um wie in der Vergangenheit lang und breit vor der rechtsextremen Gefahr zu warnen. Ramelow ist nun Staatsmann und zitiert.
    Bodo Ramelow:
    "Den ehemaligen Thüringer Ministerpräsident, Dr. Bernhard Vogel."
    CDU. Und wenige Minuten später:
    Bodo Ramelow
    "Und hier zitiere ich wieder Dr. Bernhard Vogel."
    Vor allem der Christdemokrat Vogel ist der Zitatgeber in der Regierungserklärung. Auf den Bänken der CDU ist man darüber nicht besonders glücklich. Der Fraktionsvorsitzende Mike Mohring.
    Mike Mohring
    "Es nützt nichts, wenn Bodo Ramelow in seinen Reden den früheren Ministerpräsidenten Bernhard Vogel gar nicht mehr aufhört zu zitieren und zu loben und seine eigene Partei trotzdem eine Veränderung der Gesellschaft anstrebt - das, was genau linke Politik ausmacht."
    Aber auch in seiner Partei sind nicht alle erfreut darüber, dass Ramelow ständig Vogel und übrigens auch gerne Konrad Adenauer zitiert - und zu allem Überfluss auch noch mit der Wirtschaft gut kann. Die Linke Abgeordnete Johanna Scheringer-Wright stammt aus einer traditionsreichen thüringisch-bayerischen Dynastie von Kommunisten.
    Johanna Scheringer-Wright:
    "Ja, da könnte ich mir natürlich was anderes vorstellen; aber ich bin nicht der Redenschreiber von Bodo Ramelow!"
    Und weil der Pragmatiker Ramelow am liebsten alle umarmt, zitiert er keinen Karl Marx und handelt auch sonst oft auf eigene, mitunter auch eigenartige Rechnung.
    Bodo Ramelow:
    "In Thüringen bin ich Ministerpräsident des Freistaates und Repräsentant dreier Parteien. Das heißt: Ich bin zu 85 Prozent Sozialdemokrat, zu 95 Prozent Grün und zu 92,5 Prozent Links und zu 100 Prozent Rot-Rot-Grün!"
    In dieser ganz individuellen Ramelow-Arithmetik ist der Linke sogar etwas mehr Grün als Rot. Für seine Parteifreundin ist das nicht immer einfach.
    Johanna Scheringer-Wright:
    "Es stimmt, manchmal setzt er sich dann schon auch über Prämissen oder auch Vereinbarungen, Positionen der Linken hinweg - Stichwort Bundeswehr. Ja, es gibt ein Grummeln, aber die Unterstützung ist schon voll da."
    Das erste Rot-Rot-Grüne Regierungsbündnis in Deutschland firmiert auch, vor allem in den sozialen Netzwerken, unter dem flotten Begriff "R2G" - zweimal Rot, einmal Grün. Mike Mohring, sieht eher "R3G" am Wirken.
    Mike Mohring:
    "Nämlich Rot-Rot-Grün und Ramelow! Der Ministerpräsident läuft neben der Koalition, verspricht dem Publikum, jeweils, wo er auftritt, das, was das Publikum hören möchte, und anschließend müssen es die Fachminister wieder einsammeln oder gar dementieren. Und diese Viererkoalition ist in keinem guten Fahrwasser. Das zeigt sich auch an den Debatten, die Ramelow selbst persönlich mit Spitzenpolitikern der SPD führt, die ihm vorwerfen – wir teilen das! –, dass er Thüringen isoliert auf bundespolitischem Gebiet."
    Gemeint ist Carsten Schneider, der Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion und auch der Thüringer SPD. Andere Thüringer Sozialdemokraten sehen Ramelow deutlich wohlwollender. Etwa Matthias Hey, SPD-Fraktionschef im Landtag.
    Matthias Hey:
    "Mag sein, dass das eine oder andere, was Bodo Ramelow twittert, was er sagt, wie er sich auf öffentlichen Veranstaltungen präsentiert, dass das vielleicht für Mike Mohring eine Darstellung ist, die er so in Pressemitteilungen der anderen drei Koalitionsfraktionen nicht wiedergefunden hat. Aber aus meiner Sicht macht Ramelow momentan einen guten Job, in sehr bewegten Zeiten."
    Hey schwärmt geradezu von dem linken Ministerpräsidenten. Ständig werde kommuniziert, diskutiert, abgestimmt. Dem Sozialdemokraten steckt noch das spröde Schwarz-Rote Regierungsbündnis der vorherigen Legislaturperiode in den Knochen, in denen seine Partei manches aus der Zeitung erfahren musste, was die CDU beschlossen hatte. Da fühlt er sich Ramelow deutlich näher.
    Matthias Hey:
    "Na ja, in Gotha hat neulich einer zu mir gesagt: Den müsst ihr rüber holen, der spricht doch wie ein Sozialdemokrat! Vielleicht hat er nicht so die linken Attitüden wie mancher West-Linke. Er ist ein Pragmatiker, er merkt inzwischen, dass sich Realpolitik sich nicht immer an linken Thesen festmachen lässt. Das gefällt uns natürlich sehr gut. Und ich sage mal sehr mokant: Wenn irgendwann seine politische Heimat mal nicht mehr bei den Linken zu verorten ist, dann müssen wir mal weitergucken."
    Das war ein ganz klares Angebot zum Parteiwechsel, als Rache für Oskar Lafontaine sozusagen, der von der SPD zur Linken gewechselt war.
    Matthias Hey:
    "Ja, darüber könnte man mal nachdenken, das ist richtig. Dann würde es 1:1 stehen!"
    Dennoch heißt es, vorsichtig zu sein. Ramelow kann auch anders. Er zeigt es zur Zeit nur nicht.
    Bodo Ramelow:
    "Wahrscheinlich habe ich die Mauer gebaut. Möglicherweise esse ich mit Hammer und Sichel Abendessen."