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Ohne einen Funken Hoffnung

Gewalt bis hin zu brutalen Folterungen bestimmt den Alltag in britischen Gefängnissen. Die Anstalten sind überbelegt und die Rückfallquote bei jugendlichen Straftätern liegt bei rund 80 Prozent. Ruth Rach berichtet aus London.

    Generalprobe für Shakespeares Othello im Südlondoner Gefängnis Brixton. Man merkt, die jungen Häftlinge sind mit ganzer Seele dabei. Jas sagt, ohne den Drama- workshop wäre er verzweifelt.

    "Wenn du den Knast ohne einen Funken Hoffnung verlässt, dann bist du schnell wieder drin."

    In keinem anderen Land Europas sitzen so viele Straftäter hinter Gittern wie in England und Wales. Ein Mitgrund: die vielen Wiederholungstäter. Die Rückfallquote bei Jugendlichen beträgt 80 Prozent. "Das ist wie eine Drehtür", sagt Bonnie, erst kürzlich entlassen. Im Knast werde man erst richtig brutalisiert.

    Bonnie wurde mit 15 wegen schwerer Körperverletzung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Den Großteil verbrachte er in Feltham, Westlondon, der größten Jugendstrafanstalt Europas.

    "Da ging's zu wie im Irrenhaus: manchmal waren die Aufseher nett, manchmal renkten sie dir den Arm aus", erinnert sich Bonnie. Am schlimmsten seien die Mitinsassen gewesen. Die wollten die Neuankömmlinge erst mal fix und fertig machen:

    "Wenn du 23 Stunden am Tag in deiner Zelle sitzt, dann gibt’s tausend Gründe für einen Fight, tausend Gründe, um jemanden umzubringen. Und wenn du den ganzen Flügel gegen dich hast, gibt’s noch ein Ausweg. Selbstmord oder zumindest einen Selbstmordversuch, damit man dich verlegt."
    Die Waffen: Rasierklingen, auf Zahnbürsten aufmontiert; Socken, mit Batterien gefüllt. siedend heißes Teewasser, das man dem "Feind" ins Gesicht schüttet. "Manchmal kamen die Wärter angerannt", erinnert sich Bonnie. Aber manchmal hätten sie beide Augen zugedrückt oder sogar zwei Gegner in derselben Zelle eingeschlossen.

    Während Bonnie in Feltham einsaß, wurde ein asiatischer Jugendlicher von seinem Zellengenossen erschlagen. Der Täter war als Rassist bekannt – dennoch hatte man beide in dieselbe Zelle gesperrt. Das war vor sechs Jahren. Der Fall erregte Aufsehen.

    Seitdem haben sich die Zustände in Feltham und anderen Haftanstalten gebessert. Es gibt mehr Einzelzellen, mehr Ausbildungskurse, mehr Hofgang. Aber auch die Zahl der Häftlinge ist dramatisch gestiegen.

    Vor kurzem warnte Innenminister John Reid, es gebe nur noch ein paar freie Plätze im Gefängnis, man müsse auf Polizeizellen ausweichen, und eventuell sogar ein Schiff umrüsten. Inspekteure sagen: 60 Prozent der Anstalten seien überbelegt.

    "Es gibt noch weniger Personal, um dich aus deiner Zelle herauszuholen", sagt Stan, der in Wandsworth, Südlondon einsitzt. Stan, Mitte 40, bezeichnet sich als Berufsknasti. Kaum sei er entlassen, schon werde er wieder straffällig. Im normalen Leben finde er keinen Platz. Stan hat kein soziales Netz, das ihn auffangen könnte. Keine Familie, keine Wohnung, keinen Job, keine Qualifikationen. Seine Lebensstationen sind typisch für viele Gefangene: Problemfamilie, Erziehungsheim und mit 14 eine Besserungsanstalt. Stan hatte geklaut, um sich Drogen zu beschaffen.

    In Großbritannien würden weiterhin viel zu viel Jugendliche eingesperrt, warnt Rod Morgan, Vorsitzender der Jugendgerichtskommission.

    "Wir laufen Gefahr eine ganze Generation zu kriminalisieren und auf eine Täterkarriere vorzubereiten. Es wäre viel sinnvoller, die begrenzten Mittel in Präventivmaßnahmen zu stecken, möglichst früh anzusetzen und Familien zu unterstützen, die dringend Hilfe benötigen."
    Auch Jugendtherapeuten wie Camilla Batmangeligjh, Leiterin eines Zentrums für schwer gestörte Kinder, erklärt, Gefängnisse seien sinnlos.

    "Kindern, die unter den brutalsten Bedingungen aufwachsen, ist nicht damit beizukommen, dass ihnen der Staat noch ein bisschen mehr Gewalt androht. Was sie überrascht, wenn man etwas Gutes in ihnen sieht, ihnen Liebe entgegenbringt. Diese Kinder haben mit dem Leben abgeschlossen. Ihnen ist egal, ob sie sterben."
    Sozialarbeiter fordern unterdessen systematische Drogenentzugsprogramme, Ausbildungskurse, Drama und Musik Workshops. Im Gefängnis von Brixton wurde letztes Jahr ein Gamelan Rap Orchester gegründet. "Diese Musik tut mir gut, wir spielen zusammen, jetzt weiß ich, dass ich doch zu etwas imstande bin", sagt ein junger Insasse. Aber angesichts der zunehmenden Überfüllung und der immer knapperen Ressourcen, sind gerade solche Projekte, die Jugendlichen etwas bringen können, akut bedroht.