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Ohne Hirn ist alles nichts

"Ohne Hirn ist alles nichts. Die ethischen Herausforderungen der Neurowissenschaften". So hieß die Tagung an der Evangelischen Akademie im Rheinland, die in Bonn-Bad-Godesberg stattfand. Den etwa hundert Interessierten wurde auch in Bad Godesberg zunächst eine Debatte zum philosophischen Dauerthema der Hirnforschung geboten: zur Frage "Gibt es menschliche Willensfreiheit?"

Von Martin Hubert |
    Wenn alle geistigen Fähigkeiten durch neuronale Aktivitäten determiniert, also ursächlich bestimmt sind, so manche Hirnforscher, dann sei Willensfreiheit eine Schimäre. Der Magdeburger Philosoph Michael Pauen unterstrich dagegen in Bad Godesberg, dass Freiheit vor allem die Fähigkeit sei, über sich selbst zu bestimmen. Dies aber würde durch die Behauptung der Hirnforscher, dass es keinen Geist, keine Überzeugung und keinen Wunsch ohne Gehirn gäbe, keineswegs in Frage gestellt.

    " Wenn man sagt, freie Handlungen sind selbstbestimmte Handlungen, dann heißt das allerdings, dass diese Handlungen nicht einfach so zustande kommen, sondern sie werden bestimmt durch Merkmale, die mir selbst zuzurechnen sind: also z.B. meine Überzeugungen, meine Glaubenszustände und auch meine Wünsche. Wenn also meine Überzeugung auf irgendeine Weise, wie man das annimmt und wie ich das auch annehme, neuronal realisiert ist, dann widerlegt mir ein Neurobiologe, der mir jetzt diesen Mechanismus erklärt, nicht meine Freiheit, sondern der zeigt mir nur, wie diese Selbstbestimmung an dieser Stelle möglich ist. "

    Der Philosoph und Psychiater Georg Northoff, der ebenfalls in Magdeburg lehrt, betonte, dass sich das Gehirn immer nur in engster Beziehung mit der Umwelt entwickelt. Daher könne Freiheit weder allein vom Gehirn noch von der isolierten Person aus verstanden werden.

    " Wir können nur in einer bestimmten Umwelt Freiheit haben. Wenn die Umwelt ganz anders wäre, hätten wir vielleicht überhaupt keine Freiheit, uns verschieden oder anderweitig zu verhalten. Das heißt die Umwelt ist eine ganz entscheidende Dimension bei der Konstitution von dem, was wir Freiheit nennen. Und wenn sie dann noch einen Schritt weitergehen, ist es eigentlich klar, dass Freiheit eigentlich nicht mehr innerhalb der Person selber verankert sein kann, sondern dass Freiheit in der Beziehung zwischen Person und Umwelt, bzw. zwischen Organismus und Umwelt ist. "

    Freiheit als Fähigkeit, aufgrund innerer Überzeugungen über sich selbst zu bestimmen. Oder als eine bestimmte Beziehung zwischen Person und Umwelt, die Handlungsalternativen ermöglicht. Beide Definitionen versuchten, Freiheit gegen die Attacken der Hirnforscher zu verteidigen. Sie provozierten aber auch die Frage: Können Hirnforscher die Grundlagen menschlicher Freiheit verändern und wo muss man ihnen Grenzen setzen? Neurowissenschaftler arbeiten etwa daran, das menschliche Gehirn über Elektroden direkt mit Computern zu verbinden. Bereichern solche künstlichen Vernetzungen den menschlichen Umweltbezug oder verkümmert er dadurch? Es war das Programm der Bonner Tagung, diese praktisch-technischen Herausforderungen der Hirnforschung mit allgemeinen philosophischen Fragen zu verbinden. Frank Vogelsang, der Direktor der Evangelischen Akademie im Rheinland.

    " Es ist ja so, dass es nicht darum geht, Grundsatzfragen von Anwendungsfragen zu trennen, sondern zu sehen, dass beides miteinander zu tun hat. Je nachdem, welches Menschenbild ich habe, werde ich auch unterschiedlich urteilen, ob ich nun jene Möglichkeit nutzen darf oder auch nicht. "

    Wir müssen klären, welche Bilder von menschlicher Freiheit, Persönlichkeit oder Moralität wir haben, um fundiert darüber reden zu können, welche Grenzen wir der Hirnforschung setzen möchten. Unter dieser Devise soll nach dem Willen der Veranstalter in Zukunft einmal im Jahr ein Neuro-Ethikforum in Bad Godesberg stattfinden. Experten, Laien und Vertreter der Fachmedien sollen miteinander ins Gespräch kommen. Wobei an diesem Wochenende Einigkeit darüber bestand, dass die Hirnforschung wohl nicht mit einem großen Schlag, sondern eher schleichend in die Lebenswelt des Menschen eingreifen wird. Bestes Beispiel sind Medikamente, die angenehme Gefühle verschaffen, die Konzentration oder das Gedächtnis verbessern. Solche Medikamente gibt es bereits, sie könnten aber durch den Fortschritt der Hirnforschung noch viel leistungsfähiger werden. Welche Nebenwirkungen sind dabei in Zukunft hinzunehmen und wann verändern sie die Persönlichkeit? Eine andere Frage lautet: wenn das Gehirn tatsächlich den Geist determiniert - können und sollten Hirnforscher dann nicht auch darüber Aussagen machen, ob jemand sich zum Straftäter entwickeln wird oder eine Tat schuldhaft begangen hat. Christian Hoppe, Neuropsychologe an der Universitätsklinik für Epileptologie in Bonn warnte jedoch vor übertriebenen Erwartungen.

    " Dazu ist zunächst zu sagen, dass Determinismus nichts mit Vorhersagbarkeit von Verhalten zu tun hat. Determinismus ist eine Position, die einfach feststellt, dass unter dinglicher Betrachtung der Wirklichkeit die Dinge so ablaufen, wie sie ablaufen müssen, aber es gibt praktisch daraus überhaupt keine Möglichkeit, Vorhersagbarkeit abzuleiten. "

    Die Zahl der Faktoren, die menschliches Verhalten beeinflussen, ist so groß, dass man es nicht völlig vorhersagen kann, selbst wenn es völlig determiniert ist. Der Bonner Neuropsychiater Henrik Walter weigert sich aus diesem Grund, aus Hirndiagnosen Vorhersagen darüber abzuleiten, ob ehemalige Straftäter wieder rückfällig werden könnten oder nicht. Walter informierte in Bad Godesberg auch darüber, ob die Hirnforscher bereits in der Lage sind, die Gedanken des Menschen zu lesen. Sein Fazit:

    " Im Prinzip ja. Wobei ich das so umschreiben möchte: Was wir feststellen können sind Signaturen von Gedanken: d.h. sie können an Hand der Gehirnsignale feststellen: denkt jemand gerade an ein Gesicht oder an ein Haus, sie können feststellen, ob jemand an Schuhe oder an Stühle denkt? Und tatsächlich kann man sogar feststellen, ob jemand an Jennifer Anderson denkt. "

    Allerdings sind die Hirnforscher noch weit davon entfernt, den Inhalt von Gedanken sichtbar machen zu können: was denkt jemand über den Stuhl oder die Schauspielerin Anderson? Ganz ausschließen mochte Henrik Walter aber nicht, dass auch das einmal möglich sein könnte. Einige Forschergruppen arbeiten immerhin heute schon daran, bessere Lügendetektoren als bisher zu entwickeln, die auf Hirnsignale reagieren. Militär- und Geheimdienste fördern solche Forschungen. In Bad Godesberg war man sich einig, dass niemand - auch nicht vor Gericht - dazu gezwungen werden dürfe, sich einem solchen Lügendetektortest zu unterziehen, auch wenn das Verfahren größtmögliche Objektivität verspricht. Es wird eine der Zukunftsfragen der Neuroethik sein, ob die herkömmlichen ethischen Prinzipien der Freiwilligkeit und der informationellen Selbstbestimmung ausreichen, um den Fortschritt der Neurowissenschaften human zu gestalten.