Die USA, die Europäische Union und Israel bezeichnen die Hamas als Terrororganisation. Helga Baumgarten hält das für einen Fehler. Zu unpräzise ist ihr die Bezeichnung – denn zum einen verstelle diese Verkürzung den tieferen Blick auf die politische Lage in den von Israel besetzten und kontrollierten Gebieten. Und zum anderen hat die Mehrheit der Palästinenser die Hamas gewählt; das war 2006.
Baumgarten lebt in Jerusalem und lehrt Politikwissenschaft an der palästinensischen Universität Birzeit bei Ramallah im Westjordanland. Nach Büchern über die palästinensische Nationalbewegung, Yassir Arafat und die Hamas hat sie nun ein neues Buch über die beiden wichtigsten politischen Organisationen der Palästinenser geschrieben: die Fatah und eben die Hamas. Beide sind für sie zunächst einmal Organisationen der palästinensischen Nationalbewegung…
"…die mit dem Ziel angetreten sind, für die Palästinenser Freiheit von Besatzung und als politisches Ziel einen palästinensischen Staat errichten zu können. Und das bringt sie notwendigerweise in direkten Konflikt mit Israel, denn Israel ist ja auf dem Territorium des historischen Palästina 1948 errichtet worden."
Baumgartens Buch enthält drei Teile: Zunächst geht es um die beiden Organisationen. Im zweiten Teil widmet sie sich der ersten und zweiten Intifada – also den Aufständen in den besetzten Gebieten sowie dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses. Im dritten Teil schließlich analysiert sie den Bruch zwischen Hamas und Fatah seit 2007, der gleichzeitig zur Trennung von Westjordanland und Gazastreifen führte.
Obwohl die Autorin bei dieser Fülle an Aspekten auf gut 200 Seiten kaum in die Tiefe gehen kann, sind ihre Schilderungen und Analysen gut nachvollziehbar. Den ideologischen Kern von Fatah und Hamas fasst sie folgendermaßen zusammen:
Feindbild der Hamas waren abwechselnd Juden, Zionisten, zionistische Entität, Israel, aber am häufigsten war von Juden die Rede. Dagegen waren es für die Fatah die israelische Besatzung über West Bank und Gaza sowie Israel und die israelische Armee, die den Feind bildeten.
Lange Jahre dominierte die national-säkulare Fatah unter Yassir Arafat die palästinensische Politik. Die national-religiöse Hamas trat dann genau zu dem Zeitpunkt auf die politische Bühne, als die Fatah faktisch die Zweistaatenlösung akzeptiert hatte, in Verhandlungen mit Israel eintrat und schließlich, so schreibt es Baumgarten, Polizeiaufgaben für Israel übernahm. Die islamistische Hamas vertrat zunächst ein maximalistisches Programm mit Blick auf ganz Palästina. Mittlerweile sei sie aber auch zu Kompromissen bereit, so Helga Baumgarten:
"Zum Beispiel bei den Parlamentswahlen 2006 in Palästina, im Westjordanland, Ost-Jerusalem und im Gazastreifen ist die Hamas klar mit einem Wahlprogramm aufgetreten, das sich ausschließlich bezogen hat auf Westjordanland, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen. Der präzise Unterschied allerdings zwischen Fatah und Hamas ist, dass die Fatah ganz klar sagt: Wir wollen eine Zweistaatenlösung."
Die Hamas ist in dieser Frage laut Baumgarten zwar ambivalent, ihre Führer seien jedoch mittlerweile Realpolitiker. Daraus folgert die Autorin:
"Wenn eine Zweistaatenlösung nicht möglich ist, dann ist entweder nur eine Einstaatenlösung entweder als Apartheidmodell oder als binationaler Staat oder als Staat aller seiner Bürger möglich."
Das Problem der palästinensischen Politik wird dabei im ganzen Buch immer wieder deutlich: Ohne Israel gibt es keinen Fortschritt in Richtung eines eigenen Staates im Sinne einer Zweistaatenlösung oder gar eines gemeinsamen Staates. Für Baumgarten ist es vor allem die immer aggressivere israelische Siedlungspolitik im Westjordanland und in Ost-Jerusalem, die dem Frieden entgegensteht.
Problematisch sieht Helga Baumgarten auch den weiteren Druck von außen und den Streit der beiden Organisationen untereinander.
"Wir haben jetzt das Wort 'eines führenden Fatah-Mannes', der gesagt hat, wir werden zusammen mit der ägyptischen Armee von Ägypten über die Sinai-Halbinsel nach Gaza ziehen und Gaza zurückerobern. Das heißt, wir sind derzeit von einer Aussöhnung von Fatah und Hamas weiter entfernt als je zuvor."
Baumgarten vertritt eine klar pro-palästinensische Position. Das schließt für sie ein, Selbstmordanschläge und andere gewaltsame Aktionen sowohl von palästinensischer als auch von israelischer Seite scharf zu kritisieren. Ihrer Analyse zufolge erleben sowohl Fatah als auch Hamas eine Krise, da ihr gemeinsames Ziel eines eigenen Staates für die Palästinenser heute weiter entfernt scheint denn je. Vor diesem Hintergrund müssten alle Palästinenser, die beiden Organisationen eingeschlossen, nach einer neuen Strategie suchen, schreibt Baumgarten:
Die Zeichen der Zeit deuten in Richtung einer erneuten Mobilisierung der Gesellschaft für einen neuen Massenwiderstand gegen die Besatzung, die die Palästinenser immer noch als solche Tag für Tag erleben und die sie endlich beenden wollen. Dieser erneute Massenwiderstand, auch da scheint sich nach und nach ein Konsens herauszubilden, hat die besten Chancen, wenn er als gewaltloser Widerstand organisiert und geleistet wird.
Selbst wenn die Zukunft der Palästinenser vor allem in den USA, in Israel oder Ägypten entschieden wird, so ist für das tiefere Verständnis der Lage vor Ort ein Einblick in die politische Entwicklung nötig. Diesen Einblick bietet Helga Baumgarten in ihrem lesenswerten und gut geschriebenen Buch. Offen bleibt allerdings die Frage, welche politischen Positionen von Hamas und Fatah hinter ihrer Realpolitik eigentlich noch übrig geblieben sind. Zudem muss der Leser grundlegende Kenntnisse der Geschichte des Nahen Ostens mitbringen. Wer diese hat, dürfte Baumgartens Buch mit Gewinn lesen.
Helga Baumgarten: "Kampf um Palästina - Was wollen Hamas und Fatah?"
Herder Verlag, 200 Seiten, 9,99 Euro, ISBN: 978-3-451-06543-9
Baumgarten lebt in Jerusalem und lehrt Politikwissenschaft an der palästinensischen Universität Birzeit bei Ramallah im Westjordanland. Nach Büchern über die palästinensische Nationalbewegung, Yassir Arafat und die Hamas hat sie nun ein neues Buch über die beiden wichtigsten politischen Organisationen der Palästinenser geschrieben: die Fatah und eben die Hamas. Beide sind für sie zunächst einmal Organisationen der palästinensischen Nationalbewegung…
"…die mit dem Ziel angetreten sind, für die Palästinenser Freiheit von Besatzung und als politisches Ziel einen palästinensischen Staat errichten zu können. Und das bringt sie notwendigerweise in direkten Konflikt mit Israel, denn Israel ist ja auf dem Territorium des historischen Palästina 1948 errichtet worden."
Baumgartens Buch enthält drei Teile: Zunächst geht es um die beiden Organisationen. Im zweiten Teil widmet sie sich der ersten und zweiten Intifada – also den Aufständen in den besetzten Gebieten sowie dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses. Im dritten Teil schließlich analysiert sie den Bruch zwischen Hamas und Fatah seit 2007, der gleichzeitig zur Trennung von Westjordanland und Gazastreifen führte.
Obwohl die Autorin bei dieser Fülle an Aspekten auf gut 200 Seiten kaum in die Tiefe gehen kann, sind ihre Schilderungen und Analysen gut nachvollziehbar. Den ideologischen Kern von Fatah und Hamas fasst sie folgendermaßen zusammen:
Feindbild der Hamas waren abwechselnd Juden, Zionisten, zionistische Entität, Israel, aber am häufigsten war von Juden die Rede. Dagegen waren es für die Fatah die israelische Besatzung über West Bank und Gaza sowie Israel und die israelische Armee, die den Feind bildeten.
Lange Jahre dominierte die national-säkulare Fatah unter Yassir Arafat die palästinensische Politik. Die national-religiöse Hamas trat dann genau zu dem Zeitpunkt auf die politische Bühne, als die Fatah faktisch die Zweistaatenlösung akzeptiert hatte, in Verhandlungen mit Israel eintrat und schließlich, so schreibt es Baumgarten, Polizeiaufgaben für Israel übernahm. Die islamistische Hamas vertrat zunächst ein maximalistisches Programm mit Blick auf ganz Palästina. Mittlerweile sei sie aber auch zu Kompromissen bereit, so Helga Baumgarten:
"Zum Beispiel bei den Parlamentswahlen 2006 in Palästina, im Westjordanland, Ost-Jerusalem und im Gazastreifen ist die Hamas klar mit einem Wahlprogramm aufgetreten, das sich ausschließlich bezogen hat auf Westjordanland, Ost-Jerusalem und den Gazastreifen. Der präzise Unterschied allerdings zwischen Fatah und Hamas ist, dass die Fatah ganz klar sagt: Wir wollen eine Zweistaatenlösung."
Die Hamas ist in dieser Frage laut Baumgarten zwar ambivalent, ihre Führer seien jedoch mittlerweile Realpolitiker. Daraus folgert die Autorin:
"Wenn eine Zweistaatenlösung nicht möglich ist, dann ist entweder nur eine Einstaatenlösung entweder als Apartheidmodell oder als binationaler Staat oder als Staat aller seiner Bürger möglich."
Das Problem der palästinensischen Politik wird dabei im ganzen Buch immer wieder deutlich: Ohne Israel gibt es keinen Fortschritt in Richtung eines eigenen Staates im Sinne einer Zweistaatenlösung oder gar eines gemeinsamen Staates. Für Baumgarten ist es vor allem die immer aggressivere israelische Siedlungspolitik im Westjordanland und in Ost-Jerusalem, die dem Frieden entgegensteht.
Problematisch sieht Helga Baumgarten auch den weiteren Druck von außen und den Streit der beiden Organisationen untereinander.
"Wir haben jetzt das Wort 'eines führenden Fatah-Mannes', der gesagt hat, wir werden zusammen mit der ägyptischen Armee von Ägypten über die Sinai-Halbinsel nach Gaza ziehen und Gaza zurückerobern. Das heißt, wir sind derzeit von einer Aussöhnung von Fatah und Hamas weiter entfernt als je zuvor."
Baumgarten vertritt eine klar pro-palästinensische Position. Das schließt für sie ein, Selbstmordanschläge und andere gewaltsame Aktionen sowohl von palästinensischer als auch von israelischer Seite scharf zu kritisieren. Ihrer Analyse zufolge erleben sowohl Fatah als auch Hamas eine Krise, da ihr gemeinsames Ziel eines eigenen Staates für die Palästinenser heute weiter entfernt scheint denn je. Vor diesem Hintergrund müssten alle Palästinenser, die beiden Organisationen eingeschlossen, nach einer neuen Strategie suchen, schreibt Baumgarten:
Die Zeichen der Zeit deuten in Richtung einer erneuten Mobilisierung der Gesellschaft für einen neuen Massenwiderstand gegen die Besatzung, die die Palästinenser immer noch als solche Tag für Tag erleben und die sie endlich beenden wollen. Dieser erneute Massenwiderstand, auch da scheint sich nach und nach ein Konsens herauszubilden, hat die besten Chancen, wenn er als gewaltloser Widerstand organisiert und geleistet wird.
Selbst wenn die Zukunft der Palästinenser vor allem in den USA, in Israel oder Ägypten entschieden wird, so ist für das tiefere Verständnis der Lage vor Ort ein Einblick in die politische Entwicklung nötig. Diesen Einblick bietet Helga Baumgarten in ihrem lesenswerten und gut geschriebenen Buch. Offen bleibt allerdings die Frage, welche politischen Positionen von Hamas und Fatah hinter ihrer Realpolitik eigentlich noch übrig geblieben sind. Zudem muss der Leser grundlegende Kenntnisse der Geschichte des Nahen Ostens mitbringen. Wer diese hat, dürfte Baumgartens Buch mit Gewinn lesen.
Helga Baumgarten: "Kampf um Palästina - Was wollen Hamas und Fatah?"
Herder Verlag, 200 Seiten, 9,99 Euro, ISBN: 978-3-451-06543-9