Die vom Volk gewählte Präsidentin Aung San Suu Kyi steht seit 18 Jahren fast ununterbrochen unter Hausarrest. Weder der Friedensnobelpreis, der ihr 1991 verliehen wurde, noch Verhandlungen der UN mit dem Militärregime konnten daran etwas ändern. Doch die Opposition in Myanmar ist nicht vollständig gebrochen. Viele Intellektuelle und Künstler leisten der Diktatur Widerstand. Meistens verdeckt.
Nacht in Mandalay. Im Süden der staubigen, stickigen Königsstadt von Myanmar, dem früheren Burma, herrscht völlige Dunkelheit. Nach acht Uhr fällt in diesem Teil Mandalays regelmäßig der Strom aus, es gibt keine Straßenbeleuchtung und nur wenig Autoverkehr. In der 39. Straße fällt ein schwacher Lichtschein aus einem grauen, windschiefen Flachbau. Und die hohen, falsett-artigen Stimmen von drei Männern.
Hier, im Herzen Burmas, tritt eine besondere Kabarett-Gruppe auf. Die Moustache Brothers. Die Moustache Brothers, das sind Papa Lee, Lu Maw und der fast blinde Lu Zaw. Sie tragen riesige graue Schnurrbärte und Turbane aus rosafarbenem Tuch. Sie nennen sich Komödianten. Wie schon ihre Väter und Großväter. Wie auf dem Broadway, sagt Lu Maw. Doch auf dem Broadway und anderswo in der Welt dürfte es wenige Komödianten geben, die für ihre Scherze so teuer bezahlt haben wie die Moustache Brothers.
Die Bühne der Moustache Brothers, das ist ein simpler Bretterverhau mit rotem, abgewetztem Teppich. Dahinter hängen unzählige Marionetten. Sie tragen die goldenen Hüte burmesischer Höflinge und weite, wallende Gewänder. Einen Vorhang gibt es nicht. Und doch schien es lange Zeit so, als sei der Vorhang für die Moustache Brothers längst gefallen. Schuld daran hatte Burmas Geheimdienst.
Die Stasi ist wie mein Bodyguard, erklärt Lu Maw dem deutschen Gast und lacht. Er kennt sein Stammpublikum. In fast jeder Show sitzt ein Mann mit Sonnenbrille, und das, obwohl es draußen auf der 39. Straße stockfinster ist. Der Mann mit der Sonnenbrille ist ein Abgesandter des Militärregimes von Myanmar. Lu Maw weiß ziemlich genau, wie weit er gehen kann.
Er setzt einen weißen Helm auf, wie ihn die Militärpolizisten in Burma tragen. Dann streckt er die rechte Hand aus und lässt sich von einem Zuschauer einen Geldschein geben. Flink verschwindet die Hand im Bund seines Longyi. Lu Maw grinst.
Einfaches Geld. Schnell verdient. So läuft das in Burma. Vor allem ganz oben. Die reichen Einnahmen aus dem Holzverkauf und den Edelsteinminen des Landes fließen in die Taschen der Generäle. Aussprechen würde Lu Maw das nicht. Er will die Stasi nicht zu sehr reizen. Nicht noch einmal. Stattdessen tanzen er und seine Frau mit Hexenmasken über die winzige Bühne wie Kinder.
Unter den Gästen der Comedy-Show sind normalerweise viele ausländische Besucher. An diesem Abend sind es aber nur fünf. Darunter Gerhard, ein junger Student aus Wien. Er bewundert die Moustache Brothers.
Für die Moustache Brothers sind Touristen wie Gerhard eine Art Lebensversicherung gegen die Willkür der Militärregierung, sagt Lu Maw.
"Sie könnten uns jederzeit festnehmen. Jede Nacht. Deshalb brauchen wir die Touristen. Als Zeugen. Davor haben die Machthaber Angst. Durch Touristen werden wir unberührbar."
Unberührbar. So fühlten sich die Moustache Brothers lange. Sie waren die berühmteste Kabarett-Gruppe Burmas - damals, Mitte der 90er Jahre. Sie führten im ganzen Land A-Nyeints auf. Eine Art Vaudeville-Show, die von Sonnen-Untergang bis Sonnen-Aufgang dauert. Sie tanzten, sangen, machten Scherze über die Ehe, über tollpatschige Reisbauern und raffgierige Chinesen. Manchmal auch über das Militärregime des Landes. Die Witzchen über die Generäle kamen beim Publikum besonders gut an. Kalauer über Bestechung, Behörden-Willkür und über die Uniform von Bruder Nummer 1, Burmas Staatschef General Than Shwe. Wie ein preisgekröntes Schaf sehe der General aus mit all seinen blechernen Orden. Papa Lee, der Kopf der Moustache Brothers, imitierte den General. Ironisch nannte er sich selbst "Bruder Nummer 1". Da erhielten er und sein Bruder Lu Zaw eine Einladung in die Hauptstadt Rangoon. Aung San Suu Kyi, die Tochter des in Burma verehrten Unabhängigkeits-Kämpfers Aung San, war auf die Komödianten aufmerksam geworden. Es war 1996.
Die Nobelpreisträgerin und gewählte Präsidentin stand unter Hausarrest. Papa Lee und Lu Zaw führten im Haus Aung Sans ein Anjee auf. Viele der Gäste waren Oppositionelle. In dieser Nacht - es war vor elf Jahren - zogen Papa Lee und Lu Zaw alle Register. Sie brannten ein Feuerwerk an regierungskritischen Späßen ab und sollten teuer dafür bezahlen: Eine Woche später nahm sie der Geheimdienst fest. Verleumdung, lautete die Anklage. Das Urteil nach einem kurzen Schauprozess: sieben Jahre Haft.
Die beiden Moustache Brothers kamen nicht ins Staatsgefängnis in Rangun wie die meisten politischen Häftlinge. Das Militärregime sperrte sie in ein Arbeitslager: das berüchtigte Hallewa-Camp im Norden Burmas. Hier verlor Bruder Lu Zaw ein Auge.
"Wir mussten Steine brechen, den ganzen Tag lang. Mit Eisenketten an den Füßen. Jede Woche starben zwei oder drei Häftlinge. An Erschöpfung oder Malaria. Aber wir überlebten."
Als die Brüder nach Mandalay zurückkehrten, zögerten sie. Wie würde das Regime reagieren, wenn sie erneut auf die Bühne stiegen? Da erzählten ihnen englische Touristen, dass man in Europa von den Moustache Brothers gehört habe. Sogar in einem Film seien sie erwähnt worden, in "About a Boy" mit Hugh Grant. Die Moustache Brothers beschlossen, dass die Show weitergehen müsse.
Heute besteht das Publikum der Moustache Brothers fast ausschließlich aus Touristen. Mal sind es fünf, mal fünfundzwanzig Gäste. Manchmal bleiben die wackeligen Holzschemel vor der Bühne auch ganz leer. Einheimische dürfen die Show nicht besuchen, nur wenige wagen es dennoch. Manchmal fühlt sich Lu Maw wie ein Tiger im Käfig. Er war es gewohnt, auf der Straße aufzutreten. Vor hunderten von Menschen.
"Ich vermisse mein Publikum. In Burma braucht man eine Erlaubnis der Stadtverwaltung, wenn man ein Fest veranstalten will. Zum Beispiel eine Geburtstagsfeier. Man darf nur Künstler anheuern, die die Verwaltung genehmigt. Und dann darf man von Sonnenuntergang bis Aufgang feiern. Nur: wer uns anheuern will, kriegt keine Erlaubnis."
Die Moustache Brothers hoffen auf bessere Zeiten. Sie sehnen sich nach dem Tag, an dem Nobelpreisträgerin Aung San wieder im Publikum sitzt. Wie zuletzt 2002, als die Generäle den Hausarrest gegen sie kurzzeitig aufhoben. Unzählige Menschen feierten damals auf der kleinen Theaterbühne in Mandalay eine Nacht lang mit der gewählten Präsidentin. Eine Photographie hinter der Bühne erinnert an diese Nacht. Das Papier beginnt schon zu vergilben. Jeden Abend nimmt Lu Maw das Bild von der Wand und hält es ins Publikum wie eine Monstranz. Die Photographie steht für den Traum, den die meisten Menschen in Burma nicht auszusprechen wagen: Freiheit. Das Motto des aktuellen Comedy-Programms: Ohne Schmerzen kein Gewinn.
"Die Menschen in Burma wollen frei sein. Sie wollen Demokratie. Wir geben die Hoffnung nicht auf. Aber ohne Schmerzen kein Gewinn."
Nacht in Mandalay. Im Süden der staubigen, stickigen Königsstadt von Myanmar, dem früheren Burma, herrscht völlige Dunkelheit. Nach acht Uhr fällt in diesem Teil Mandalays regelmäßig der Strom aus, es gibt keine Straßenbeleuchtung und nur wenig Autoverkehr. In der 39. Straße fällt ein schwacher Lichtschein aus einem grauen, windschiefen Flachbau. Und die hohen, falsett-artigen Stimmen von drei Männern.
Hier, im Herzen Burmas, tritt eine besondere Kabarett-Gruppe auf. Die Moustache Brothers. Die Moustache Brothers, das sind Papa Lee, Lu Maw und der fast blinde Lu Zaw. Sie tragen riesige graue Schnurrbärte und Turbane aus rosafarbenem Tuch. Sie nennen sich Komödianten. Wie schon ihre Väter und Großväter. Wie auf dem Broadway, sagt Lu Maw. Doch auf dem Broadway und anderswo in der Welt dürfte es wenige Komödianten geben, die für ihre Scherze so teuer bezahlt haben wie die Moustache Brothers.
Die Bühne der Moustache Brothers, das ist ein simpler Bretterverhau mit rotem, abgewetztem Teppich. Dahinter hängen unzählige Marionetten. Sie tragen die goldenen Hüte burmesischer Höflinge und weite, wallende Gewänder. Einen Vorhang gibt es nicht. Und doch schien es lange Zeit so, als sei der Vorhang für die Moustache Brothers längst gefallen. Schuld daran hatte Burmas Geheimdienst.
Die Stasi ist wie mein Bodyguard, erklärt Lu Maw dem deutschen Gast und lacht. Er kennt sein Stammpublikum. In fast jeder Show sitzt ein Mann mit Sonnenbrille, und das, obwohl es draußen auf der 39. Straße stockfinster ist. Der Mann mit der Sonnenbrille ist ein Abgesandter des Militärregimes von Myanmar. Lu Maw weiß ziemlich genau, wie weit er gehen kann.
Er setzt einen weißen Helm auf, wie ihn die Militärpolizisten in Burma tragen. Dann streckt er die rechte Hand aus und lässt sich von einem Zuschauer einen Geldschein geben. Flink verschwindet die Hand im Bund seines Longyi. Lu Maw grinst.
Einfaches Geld. Schnell verdient. So läuft das in Burma. Vor allem ganz oben. Die reichen Einnahmen aus dem Holzverkauf und den Edelsteinminen des Landes fließen in die Taschen der Generäle. Aussprechen würde Lu Maw das nicht. Er will die Stasi nicht zu sehr reizen. Nicht noch einmal. Stattdessen tanzen er und seine Frau mit Hexenmasken über die winzige Bühne wie Kinder.
Unter den Gästen der Comedy-Show sind normalerweise viele ausländische Besucher. An diesem Abend sind es aber nur fünf. Darunter Gerhard, ein junger Student aus Wien. Er bewundert die Moustache Brothers.
Für die Moustache Brothers sind Touristen wie Gerhard eine Art Lebensversicherung gegen die Willkür der Militärregierung, sagt Lu Maw.
"Sie könnten uns jederzeit festnehmen. Jede Nacht. Deshalb brauchen wir die Touristen. Als Zeugen. Davor haben die Machthaber Angst. Durch Touristen werden wir unberührbar."
Unberührbar. So fühlten sich die Moustache Brothers lange. Sie waren die berühmteste Kabarett-Gruppe Burmas - damals, Mitte der 90er Jahre. Sie führten im ganzen Land A-Nyeints auf. Eine Art Vaudeville-Show, die von Sonnen-Untergang bis Sonnen-Aufgang dauert. Sie tanzten, sangen, machten Scherze über die Ehe, über tollpatschige Reisbauern und raffgierige Chinesen. Manchmal auch über das Militärregime des Landes. Die Witzchen über die Generäle kamen beim Publikum besonders gut an. Kalauer über Bestechung, Behörden-Willkür und über die Uniform von Bruder Nummer 1, Burmas Staatschef General Than Shwe. Wie ein preisgekröntes Schaf sehe der General aus mit all seinen blechernen Orden. Papa Lee, der Kopf der Moustache Brothers, imitierte den General. Ironisch nannte er sich selbst "Bruder Nummer 1". Da erhielten er und sein Bruder Lu Zaw eine Einladung in die Hauptstadt Rangoon. Aung San Suu Kyi, die Tochter des in Burma verehrten Unabhängigkeits-Kämpfers Aung San, war auf die Komödianten aufmerksam geworden. Es war 1996.
Die Nobelpreisträgerin und gewählte Präsidentin stand unter Hausarrest. Papa Lee und Lu Zaw führten im Haus Aung Sans ein Anjee auf. Viele der Gäste waren Oppositionelle. In dieser Nacht - es war vor elf Jahren - zogen Papa Lee und Lu Zaw alle Register. Sie brannten ein Feuerwerk an regierungskritischen Späßen ab und sollten teuer dafür bezahlen: Eine Woche später nahm sie der Geheimdienst fest. Verleumdung, lautete die Anklage. Das Urteil nach einem kurzen Schauprozess: sieben Jahre Haft.
Die beiden Moustache Brothers kamen nicht ins Staatsgefängnis in Rangun wie die meisten politischen Häftlinge. Das Militärregime sperrte sie in ein Arbeitslager: das berüchtigte Hallewa-Camp im Norden Burmas. Hier verlor Bruder Lu Zaw ein Auge.
"Wir mussten Steine brechen, den ganzen Tag lang. Mit Eisenketten an den Füßen. Jede Woche starben zwei oder drei Häftlinge. An Erschöpfung oder Malaria. Aber wir überlebten."
Als die Brüder nach Mandalay zurückkehrten, zögerten sie. Wie würde das Regime reagieren, wenn sie erneut auf die Bühne stiegen? Da erzählten ihnen englische Touristen, dass man in Europa von den Moustache Brothers gehört habe. Sogar in einem Film seien sie erwähnt worden, in "About a Boy" mit Hugh Grant. Die Moustache Brothers beschlossen, dass die Show weitergehen müsse.
Heute besteht das Publikum der Moustache Brothers fast ausschließlich aus Touristen. Mal sind es fünf, mal fünfundzwanzig Gäste. Manchmal bleiben die wackeligen Holzschemel vor der Bühne auch ganz leer. Einheimische dürfen die Show nicht besuchen, nur wenige wagen es dennoch. Manchmal fühlt sich Lu Maw wie ein Tiger im Käfig. Er war es gewohnt, auf der Straße aufzutreten. Vor hunderten von Menschen.
"Ich vermisse mein Publikum. In Burma braucht man eine Erlaubnis der Stadtverwaltung, wenn man ein Fest veranstalten will. Zum Beispiel eine Geburtstagsfeier. Man darf nur Künstler anheuern, die die Verwaltung genehmigt. Und dann darf man von Sonnenuntergang bis Aufgang feiern. Nur: wer uns anheuern will, kriegt keine Erlaubnis."
Die Moustache Brothers hoffen auf bessere Zeiten. Sie sehnen sich nach dem Tag, an dem Nobelpreisträgerin Aung San wieder im Publikum sitzt. Wie zuletzt 2002, als die Generäle den Hausarrest gegen sie kurzzeitig aufhoben. Unzählige Menschen feierten damals auf der kleinen Theaterbühne in Mandalay eine Nacht lang mit der gewählten Präsidentin. Eine Photographie hinter der Bühne erinnert an diese Nacht. Das Papier beginnt schon zu vergilben. Jeden Abend nimmt Lu Maw das Bild von der Wand und hält es ins Publikum wie eine Monstranz. Die Photographie steht für den Traum, den die meisten Menschen in Burma nicht auszusprechen wagen: Freiheit. Das Motto des aktuellen Comedy-Programms: Ohne Schmerzen kein Gewinn.
"Die Menschen in Burma wollen frei sein. Sie wollen Demokratie. Wir geben die Hoffnung nicht auf. Aber ohne Schmerzen kein Gewinn."