"De buren" heisst eine gemütliche Kneipe direkt an der Durchgangsstrasse von Witharen, einem kleinen Dorf im Osten der Niederlande.
Wer reinkommt, sieht als Erstes ein großes Ölgemälde über der Bar: Es zeigt unzählige moslemische Flüchtlinge, die sich – Verzweiflung und Angst in den Augen - auf der Militärbasis der niederländischen Blauhelme in Sicherheit zu bringen versuchen. Es ist der 11. Juli 1995, gerade hat Serben-General Ratko Mladic mit seinen Truppen Srebrenica erobert. Neben dem Gemälde hängen Zeitungsausschnitte, ein altes T-Shirt mit dem blauen Logo der UNO. Und Fotos von moslemischen Frauen und Kindern, die bei sengender Hitze in Busse steigen. Niederländische Blauhelme helfen ihnen dabei, serbische Soldaten schauen schwer bewaffnet zu.
"Sonst hätten die Serben die Frauen und Kinder in den Bus getreten", sagt Kneipenwirt Boudewijn Kok. Der heute 36-Jährige war einer dieser sogenannten Dutchbatters, wie sich die niederländischen Blauhelme nennen. Dass er sein Café mit Erinnerungen aus Srebrenica dekoriert hat, findet der langaufgeschossene Niederländer nicht weiter ungewöhnlich: "Ich bin stolz darauf, ein Dutchbatter gewesen zu sein", sagt er fast trotzig:
"Ich tat, was in meiner Macht stand, mehr war nicht möglich. Wir hatten ja kaum Munition. Dennoch konnten wir viele Menschenleben retten, bloß durch unsere Anwesenheit. Ohne uns hätte es nicht 8000 Tote gegeben, sondern 30.000!"
Viele Dutchbatters sind noch heute traumatisiert. Boudewijn hätte sich zweimal fast vor einen Zug geworfen. Nach seiner Rückkehr musste auch er sich als Feigling ausschimpfen lassen, der bei der Deportation von Moslems mitgeholfen habe. "Nazi!" wurde ihm auf offener Straße hinterhergerufen. Er begann zu trinken, verlor seine Freunde und mehrere Jobs, auch seine Beziehung ging in die Brüche.
Durch reden, immer wieder reden, gelang es ihm, die Vergangenheit zu bewältigen. außerdem fährt der Bosnien-Veteran einmal pro Jahr zurück nach Srebrenica, um mit Angehörigen der Opfer zu reden. Auch dieses Jahr wieder. Allerdings nicht zur offiziellen Gedenkfeier, zu der auch Minister und hohe Militärs aus den Niederlanden anreisen. Von ihnen fühlt sich Boudewijn verraten. Den Haag müsse endlich zugeben, damals versagt zu haben. Und Antworten finden auf die vielen noch offenen Fragen:
"Zum Beispiel, weshalb die ganze Welt damals die Dutchbatters mit den Moslems im Stich ließ, obwohl – so Boudewijn - jeder genau wusste, was passieren würde. "
Das jedoch konnte trotz einer ganzen Reihe von Untersuchungen nie genau geklärt werden. Und was die Schuldfrage betrifft: Die niederländische Regierung gibt lediglich zu, im Rahmen der UNO "politische Mitverantwortung" zu tragen. "Aber", so schimpft Dion van der Berg von der Friedensorganisation IKV Pax Christie: "Das reicht nicht!":
"Alles ist damals entsetzlich schiefgelaufen. Was bleibt, sind Schande, Scham und ein völlig zerschmettertes Selbstbild. Viele Dutchbatters und auch Bürger haben das bereits akzeptiert und in den Spiegel geschaut. Wenn SIE dazu in der Lage sind, muss die Politik das auch können!"
IKV Pax Christie plädiert deshalb für die Einführung einer speziellen nationalen Srebrenica-Gedenkfeier. Immerhin habe das EU-Parlament die Mitgliedsstaaten schon im Januar in einer Resolution dazu aufgerufen. Doch auch davon will Den Haag nichts wissen.
Nur allzu gerne würde die niederländische Regierung dieses schwärzeste Kapitel aus ihrer Geschichte endlich schließen. Aber die Vergangenheit holt sie immer wieder ein: So ist vor dem Jugoslawientribunal der Prozess gegen Radovan Karadzic in vollem Gange, im Zeugenstand werden auch niederländische Politiker und Militärs erwartet.
Außerdem haben die Angehörigen und Überlebenden von Srebrenica im Laufe der Jahre immer wieder neue juristische Prozeduren angespannt, um die Niederlande zur Verantwortung zu ziehen und Schadenersatz zu fordern – erst jetzt wieder, diese Woche: Am 6. Juli wurde bekannt, dass sich der ehemalige Dutchbat-Kommandant Thom Karremans vor einem niederländischen Gericht verantworten soll - wegen Kriegsverbrechen und Mithilfe zum Völkermord.
Das Massaker von Srebrenica (Bundeszentrale für Politische Bildung)
Wer reinkommt, sieht als Erstes ein großes Ölgemälde über der Bar: Es zeigt unzählige moslemische Flüchtlinge, die sich – Verzweiflung und Angst in den Augen - auf der Militärbasis der niederländischen Blauhelme in Sicherheit zu bringen versuchen. Es ist der 11. Juli 1995, gerade hat Serben-General Ratko Mladic mit seinen Truppen Srebrenica erobert. Neben dem Gemälde hängen Zeitungsausschnitte, ein altes T-Shirt mit dem blauen Logo der UNO. Und Fotos von moslemischen Frauen und Kindern, die bei sengender Hitze in Busse steigen. Niederländische Blauhelme helfen ihnen dabei, serbische Soldaten schauen schwer bewaffnet zu.
"Sonst hätten die Serben die Frauen und Kinder in den Bus getreten", sagt Kneipenwirt Boudewijn Kok. Der heute 36-Jährige war einer dieser sogenannten Dutchbatters, wie sich die niederländischen Blauhelme nennen. Dass er sein Café mit Erinnerungen aus Srebrenica dekoriert hat, findet der langaufgeschossene Niederländer nicht weiter ungewöhnlich: "Ich bin stolz darauf, ein Dutchbatter gewesen zu sein", sagt er fast trotzig:
"Ich tat, was in meiner Macht stand, mehr war nicht möglich. Wir hatten ja kaum Munition. Dennoch konnten wir viele Menschenleben retten, bloß durch unsere Anwesenheit. Ohne uns hätte es nicht 8000 Tote gegeben, sondern 30.000!"
Viele Dutchbatters sind noch heute traumatisiert. Boudewijn hätte sich zweimal fast vor einen Zug geworfen. Nach seiner Rückkehr musste auch er sich als Feigling ausschimpfen lassen, der bei der Deportation von Moslems mitgeholfen habe. "Nazi!" wurde ihm auf offener Straße hinterhergerufen. Er begann zu trinken, verlor seine Freunde und mehrere Jobs, auch seine Beziehung ging in die Brüche.
Durch reden, immer wieder reden, gelang es ihm, die Vergangenheit zu bewältigen. außerdem fährt der Bosnien-Veteran einmal pro Jahr zurück nach Srebrenica, um mit Angehörigen der Opfer zu reden. Auch dieses Jahr wieder. Allerdings nicht zur offiziellen Gedenkfeier, zu der auch Minister und hohe Militärs aus den Niederlanden anreisen. Von ihnen fühlt sich Boudewijn verraten. Den Haag müsse endlich zugeben, damals versagt zu haben. Und Antworten finden auf die vielen noch offenen Fragen:
"Zum Beispiel, weshalb die ganze Welt damals die Dutchbatters mit den Moslems im Stich ließ, obwohl – so Boudewijn - jeder genau wusste, was passieren würde. "
Das jedoch konnte trotz einer ganzen Reihe von Untersuchungen nie genau geklärt werden. Und was die Schuldfrage betrifft: Die niederländische Regierung gibt lediglich zu, im Rahmen der UNO "politische Mitverantwortung" zu tragen. "Aber", so schimpft Dion van der Berg von der Friedensorganisation IKV Pax Christie: "Das reicht nicht!":
"Alles ist damals entsetzlich schiefgelaufen. Was bleibt, sind Schande, Scham und ein völlig zerschmettertes Selbstbild. Viele Dutchbatters und auch Bürger haben das bereits akzeptiert und in den Spiegel geschaut. Wenn SIE dazu in der Lage sind, muss die Politik das auch können!"
IKV Pax Christie plädiert deshalb für die Einführung einer speziellen nationalen Srebrenica-Gedenkfeier. Immerhin habe das EU-Parlament die Mitgliedsstaaten schon im Januar in einer Resolution dazu aufgerufen. Doch auch davon will Den Haag nichts wissen.
Nur allzu gerne würde die niederländische Regierung dieses schwärzeste Kapitel aus ihrer Geschichte endlich schließen. Aber die Vergangenheit holt sie immer wieder ein: So ist vor dem Jugoslawientribunal der Prozess gegen Radovan Karadzic in vollem Gange, im Zeugenstand werden auch niederländische Politiker und Militärs erwartet.
Außerdem haben die Angehörigen und Überlebenden von Srebrenica im Laufe der Jahre immer wieder neue juristische Prozeduren angespannt, um die Niederlande zur Verantwortung zu ziehen und Schadenersatz zu fordern – erst jetzt wieder, diese Woche: Am 6. Juli wurde bekannt, dass sich der ehemalige Dutchbat-Kommandant Thom Karremans vor einem niederländischen Gericht verantworten soll - wegen Kriegsverbrechen und Mithilfe zum Völkermord.
Das Massaker von Srebrenica (Bundeszentrale für Politische Bildung)